Craniomandibuläre Dysfunktionen und MRT-Befunde der Kiefergelenke bei Militärluftfahrzeugführern

Hintergrund und Ziele der Studie Craniomandibuläre Dysfunktionen (CMD) des Kiefergelenks (KG) zeigen eine multiplexe Symptomatik. CMD können Militärluftfahrzeugführer (MLFF) im Flugbetrieb einschränken und somit die militärische Auftragserfüllung gefährden. Ziel dieser Studie war die Analyse des A...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Lorenz, Claudia
Beteiligte: Frankenberger, Roland (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2023
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Hintergrund und Ziele der Studie Craniomandibuläre Dysfunktionen (CMD) des Kiefergelenks (KG) zeigen eine multiplexe Symptomatik. CMD können Militärluftfahrzeugführer (MLFF) im Flugbetrieb einschränken und somit die militärische Auftragserfüllung gefährden. Ziel dieser Studie war die Analyse des Auftretens von CMD bei MLFF der Bundeswehr. Im Detail sollte untersucht werden, ob die CMD-Prävalenz mit dem Flugzeugtyp assoziiert ist, welche Begleiterkrankungen mit einer CMD einhergehen und ob die CMD die Wehrfliegerverwendungsfähigkeit (WFV) der MLFF kompromittiert. Material und Methode Die Querschnittsstudie umfasste 1409 männliche MLFF (46 % Hubschrauberpiloten (HP), 21 % Propellerflugzeugpiloten (PP) und 33 % Strahlflugzeugpiloten (SP)), die zwischen September 2018 bis März 2020 untersucht wurden. Zusätzlich erfolgten erstmals eine Magnetresonanztomografie-(MRT)-Studie mit 48 KG von 24 MLFF mit CMD sowie eine Fall-Kontroll-Studie mit 182 MLFF. Die erhobenen Daten wurden retrospektiv ausgewertet. Dabei wurden die CMD-Prävalenz und abnorme MRT-Befunde der KG ermittelt sowie MLFF mit und ohne CMD hinsichtlich Flughöhe, Flugzeugmodell, kieferorthopädische Behandlung bei Bruxismus, Zahnhartsubstanz- und Parodontaldefekte, Zahnersatz, Komorbiditäten und dem Urteil der WFV verglichen. Die statistischen Analysen (Mann-Whitney-U-Test, Fisher-Test, biseriale Korrelation, McNemar-Test, Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test und Cochran-Q-Test) erfolgten mit einem Signifikanzniveau von α = 0,05. Zudem wurden binäre logistische Regressions- und Mediationsanalysen unter Einbeziehung von Kontrollvariablen durchgeführt. Ergebnisse Die CMD-Gesamtprävalenz (N = 1409) betrug 6,5 % (91 Fälle, mittleres Alter 40,5 ± 9,8 Jahre; Flugstunden im Mittel 2598,7 h). Die CMD-Prävalenzen in den Flugzeugtyp-Subgruppen lagen bei 6,4 % für HP, 8,7 % für PP und 5,1 % für SP. CMD traten vermehrt bei PP im Flugzeugmodell „P–3C Orion“ (Odds Ratio (OR) = 5,40; 95 %-Konfidenzintervall (KI) [2,14–13,64]) und bei HP im „Sea Lynx MK88A“ auf. Zwischen Abrasionen und CMD bestand für alle MLFF eine signifikante Korrelation; das galt insbesondere für SP mit der größten OR. PP mit CMD wiesen dagegen häufiger Erosionen auf (OR = 4,00; p = 0,040). Bei HP waren kieferorthopädische Behandlungen bei Bruxismus, Kopfschmerzsyndrome sowie – erstmals festgestellt – White Matter Lesions (OR = 1,75; p = 0,026) signifikant mit einer CMD assoziiert. Weiter bestanden bei SP ein signifikanter Zusammenhang zwischen CMD und Tinnitus (OR > 9,00; p = 0,004) und eine auffällige Assoziation zwischen CMD und einer posterioren Kondylusdislozierung mit Tinnitus (OR = 11,0; KI [2,40–50,49]). Nach 1000 Flugstunden erhöhte sich für MLFF mit CMD das Risiko für eine unilaterale KG-Arthrose um den Faktor 3,6 im Vergleich zu MLFF mit geringerer bis gar keiner Flugerfahrung. Ferner wurden MLFF mit CMD 6,2-mal so häufig von der WFV ausgeschlossen wie MLFF ohne CMD, wobei die mit CMD assoziierten Komorbiditäten nicht als Mediator fungierten. MLFF mit und ohne CMD unterschieden sich dagegen nicht bezüglich der Parameter Flughöhe, Rezession und Zahnersatz. Schlussfolgerung Innerhalb der Grenzen der vorliegenden Studie deuten die Ergebnisse darauf hin, dass flugphysiologische Belastungen in Kombination mit CMD zu zahlreichen und teilweise schwerwiegenden Symptomen bei MLFF führen, die das Risiko der Flugunfähigkeit mit steigender Flugstundenzahl signifikant erhöhen. Das Wissen um die Erkrankung CMD und deren Komorbiditäten sollte daher Bestandteil des flugmedizinischen Trainings werden. Zur Sicherung der WFV sollten überdies Kontrollen der KG in das Standardverfahren der MRT-Eingangs- und Nachuntersuchungen von MLFF aufgenommen werden, um pathologische Veränderungen rechtzeitig diagnostizieren und therapieren zu können. Die Integration der Untersuchung der KG in das MRT-Standardverfahren ist eine medizinisch gebotene, organisatorisch und wirtschaftlich sinnvolle Maßnahme, die einen Beitrag zur Sicherung der strategischen Aufgabenerfüllung der Bundeswehr leisten kann. Ein möglicher kausaler Zusammenhang zwischen vibrationsstarken Flugzeugmodellen und CMD sollte in Folgeuntersuchungen geklärt werden. Das Gleiche gilt für eine potenzielle Induktion einer Dislozierung des Diskus-Kondylus-Komplexes und nachfolgende Provokation eines Tinnitus durch Beschleunigungskräfte. Ferner sollten weitere Studien zur erstmals nachgewiesenen Assoziation zwischen White Matter Lesions und CMD erfolgen. Bei betroffenen MLFF ist zudem ein kontrolliertes Aussetzen der WFV zum Schutz vor schweren klinischen Manifestationen zu erwägen.
DOI:10.17192/z2023.0427