Zeichnungen indigener Künstler Brasiliens. Ästhetik, Komposition, Repräsentation und Funktion, in Beispielen von den Deni, Kanamari und Maxakali
Aktuell werden Zeichnungen von indigenen Künstler*innen Brasiliens in großer Zahl in den verschiedensten Kontexten angefertigt. Die Arbeit soll darlegen, dass sich die Künstler*innen das für sie relativ neue Medium in einer ganz eigenen Art einverleiben und damit bisher Unausgesprochenes ausdrück...
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Beteiligte: | |
Format: | Dissertation |
Sprache: | Deutsch |
Veröffentlicht: |
Philipps-Universität Marburg
2013
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Schlagworte: | |
Online-Zugang: | PDF-Volltext |
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Zusammenfassung: | Aktuell werden Zeichnungen von indigenen Künstler*innen Brasiliens in großer Zahl in den verschiedensten Kontexten angefertigt. Die Arbeit soll darlegen, dass sich die Künstler*innen das für sie relativ neue Medium in einer ganz eigenen Art einverleiben und damit bisher Unausgesprochenes ausdrücken.
Anhand von Zeichnungen der Völker Deni, Kanamari und Maxakali werden ästhetische Prinzipien und kompositorische Ideen herausgearbeitet und die Anverwandlung des künstlerischen Mediums auf drei Ebenen untersucht. Erstens auf einer diachronen Ebene, innerhalb derer eine Art Kunstgeschichte der Zeichnungen indigener Kunstschaffender erkennbar wird. Zweitens werden die Zeichnungen als Ausdruck einer politischen Äußerung und als Aussage zum kulturellen Weltbild analysiert und interpretiert. Hier wird die Zeichnung als Bildakt betrachtet, ihr postulierender Charakter herausgestellt. Auch Flora, Fauna und die sogenannte unbelebte Natur können Bildakte hervorbringen und Menschen zum künstlerischen Gestalten anregen. Dies führt zur dritten Betrachtungsebene: Zeichnungen werden hinsichtlich des kreativen Prozesses und des ästhetischen Vergnügens der Künstler*innen beleuchtet.
Die drei Betrachtungsebenen werden im Rahmen einer Erörterung verschiedener Forschungspositionen hauptsächlich brasilianischer und deutscher Ethnolog*innen im ersten Teil der Arbeit vorgestellt und veranschaulicht.
Weiterhin wird im ersten Teil die Geschichte der indigenen Zeichnung in Bezug zur Geschichte der indigenen Literatur Brasiliens gesetzt, weil sie oft gemeinsam mit ihr auftritt. Letzterer ist deshalb ein ausführliches Unterkapitel gewidmet. Die indigene Literatur in Brasilien basiert vor allem auf mündlicher Überlieferung traditioneller Mythen und Erzählungen. Zu beobachten sind dabei komplexe Bild-Text-Beziehungen, die daraus resultieren, dass sich die Zeichnungen häufig nicht (nur) auf die aufgezeichneten Mythenvarianten beziehen, sondern auch auf (dem Betrachter/Leser) unzugängliche Mythenvarianten und-Fragmente. Oft werden Dadurch die Komplexität des Mythenkosmos und die Widersprüchlichkeit einzelner Mythenvarianten aufgedeckt.
Auf theoretische Positionen der Kunstanthropologie und auf die Geschichte der indigenen Zeichnung/Literatur folgen im zweiten Teil Erläuterungen zu Kontaktgeschichte, künstlerischer Produktion, rituellem Leben und Kosmovision der drei Völker. Diese Einblicke schaffen eine Basis für das Verständnis der Zeichnungen. Neben dieser auf ethnografischen Informationen fußenden Herangehensweise sollen im dritten Teil der Arbeit detaillierte formale Bildanalysen eine Annäherung an die Besonderheiten und Eigenarten der einzelnen Künstler*innen sowie das Herausarbeiten von Gemeinsamem ermöglichen.
Im dritten Teil werden sowohl aus Büchern entnommene Zeichnungen als auch in Workshops in den Dörfern der Deni, Maxakali und Kanamari entstandene Arbeiten untersucht. Die Beobachtung der Arbeitsabläufe der zweiten Werkgruppe erlaubt Einblicke in die Kommunikation der Künstler*innen untereinander und verdeutlicht die Dynamik der Entstehungsprozesse.
Die Bildanalysen offenbaren verschiedene Prinzipien und Arbeitsweisen. So z.B. das teilweise oder vollständige Kopieren, meistens aus Büchern der indigenen Literatur. Der Begriff Kopieren erweist sich schnell als irreführend. Meist erfolgt ein Neuarrangement der Bildelemente der Ausgangszeichnung sowie ein Abwandeln der ursprünglichen künstlerischen Technik. Wie auch bei der Anverwandlung des Mediums der Zeichnung durch indigene Künstler*innen handelt es sich um einen kulturellen anthropophagischen Akt. Auch in der Anwendung der künstlerischen Technik zeigt sich dieses Wesensmerkmal. Viele Zeichner*innen sind begierig, neue künstlerische Techniken zu erlernen und einige von Ihnen überwinden dabei die Grenzen des Vorgegebenen und kombinieren verschiedene Arbeitsweisen miteinander.
Daneben fallen andere Charakteristika der Zeichnungen auf. So muss z.B. die Simultandarstellung v.a. in Zeichnungen, die Erzählungen und Mythen zur Seite gestellt werden, oft mehrere zeitlich entfernte Erzählsequenzen unterbringen. Simultandarstellungen können der Erzähllogik der Mythe oder einer zeichnungsimmanenten formal-kompositorischen Logik gehorchen. In den Simultandarstellungen können auch Bildelemente ohne Gegenstück im Mythentext auftauchen. Diese Bildelemente entfalten manchmal ein regelrechtes Eigenleben, welches das ästhetische Vergnügen des Künstlers veranschaulicht und die Eigenständigkeit der Zeichnung gegenüber der Erzählung hervorhebt.
Weiterhin fällt der Gebrauch von Bildrahmen auf, die Artifizialität und Zweidimensionalität der Zeichnungen betonen und ihnen häufig einen dekorativen, geradezu schmuckhaften Charakter verleihen. Letzterer kann eine große Spannung zwischen dem Abbildcharakter und dem Kunstwerkcharakter hervorrufen.
Ein abschließender Exkurs geht auf Möglichkeiten der Ausstellungspraxis indigener Kunst ein und ist dabei auf einen Ausgleich zwischen kunstreferentiellen und kontextbezogenen Perspektiven bedacht.
Die Dissertation wurde von der Gerda-Henkel-Stiftung mit einem Promotionsstipendium gefördert. |
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Umfang: | 353 Seiten |
DOI: | 10.17192/z2016.0232 |