Strafjustiz im Nationalsozialismus bei der Staatsanwaltschaft Ulm und den Gerichten im Landgerichtsbezirk Ulm.
Die NS-Strafrichter wurden in zahlreichen Untersuchungen bisher undifferenziert als „Mörder in Robe“ bezeichnet. Dies traf zu, weil nahezu ausschließlich die mit fanatischen und karrierebewussten jungen Richtern besetzten Sondergerichte untersucht worden waren. Der grösste Anteil aller politischen S...
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Beteiligte: | |
Format: | Dissertation |
Sprache: | Deutsch |
Veröffentlicht: |
Philipps-Universität Marburg
2012
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Online-Zugang: | PDF-Volltext |
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Zusammenfassung: | Die NS-Strafrichter wurden in zahlreichen Untersuchungen bisher undifferenziert als „Mörder in Robe“ bezeichnet. Dies traf zu, weil nahezu ausschließlich die mit fanatischen und karrierebewussten jungen Richtern besetzten Sondergerichte untersucht worden waren. Der grösste Anteil aller politischen Strafverfahren wurde jedoch bei den Landgerichten bearbeitet, deren Sanktionspraxis bis heute völlig ungeklärt ist. Es wurde deshalb die Anklagepraxis der Staatsanwaltschaft und die Urteilspraxis im Landgerichtsbezirk Ulm stellvertretend für weitere Gerichte vollständig untersucht um festzustellen, ob dort vergleichbar fanatisch entschieden worden ist wie bei den Sondergerichten.
Das überraschende Ergebnis zeigte eine janusköpfige Strafjustiz:
1. Die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft unter Leitung eines fanatischen SA-Obersturmbannführers verfolgte ohne Rücksicht auf die Sach- und Rechtslage unbarmherzig und fanatisch einseitig jeden NS-Kritiker. Um möglichst hohe Strafen zu erzielen wurden selbst Bagatelldelikte an die Sondergerichte und den Volksgerichtshof unbegründet abgegeben, dort korrigierend in bis zu 50% eine Übernahme abgelehnt.
2. Die Strafkammern des Landgerichts Ulm jedoch standen dem NS-Regime deutlich distanziert gegenüber und verweigerten durchgehend und erfolgreich die unmenschlichen NS-Strafnormen. In keinem einzigen politischen Verfahren hatten die Strafkammern ein Todesurteil verhängt. Während Sondergerichte bei Diebstahl von Kleintieren oder Fahrrädern bei Verdunklung in bis zu 80 % Todesurteile fällten verhängte das Landgericht Ulm lediglich Gefängnisstrafen.
Die Richter des Landgerichts lehnten die völlig unverhältnismäßigen NS-Strafen ab, weil sie alle im Kaiserreich ausgebildet und geprägt worden waren. Sie fühlten sich weiterhin dem klassischen Schuldprinzip verpflichtet und verweigerten einen Parteibeitritt. Schon dies allein beweist ihre Ablehnung der NS-Strafideologie. Die von der Partei angestrebte Ersetzung unsicherer Beamter durch zuverlässige Parteigenossen war mangels geeigneten Personals nur für Führungspositionen möglich.
Dem Vergleich der Sanktionen wurden nur Delikte zugrunde gelegt, die sowohl bei Sonder- als auch bei Landgerichten anhängig waren.
3. Die für Ulm festgestellte Ablehnung überharter Strafnormen ist reichsweit zu erwarten, denn viele OLG-Präsidenten beklagten beim Reichsjustizministerium, die älteren Richter würden sich nicht zu den politisch erwarteten Todesstrafen bereitfinden. Die Arbeit belegt damit, dass in der Strafjustiz auch in der NS/Diktatur ein stiller aber effektiver Widerstand moeglich war und praktiziert worden war. |
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DOI: | 10.17192/z2013.0231 |