Was zählt als Argument? Belege und Begründungen bei medizinischen Entscheidungen

Entscheidungen in Medizin und Gesundheitsversorgung sind ohne einen Bezug zur Evidenzbasierten Medizin (EbM1) kaum noch denkbar. Dieser Begriff steht für einen sorgfältigen, ausgewogenen und ausdrücklichen Bezug auf einschlägige klinische Studien (Sackett et al. 1996). Geht es um die Rechtfertigung...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
Veröffentlicht in:Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie
1. Verfasser: Donner-Banzhoff, Norbert
Format: Artikel (Zeitschrift)
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2024
Schlagworte:
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Beschreibung
Zusammenfassung:Entscheidungen in Medizin und Gesundheitsversorgung sind ohne einen Bezug zur Evidenzbasierten Medizin (EbM1) kaum noch denkbar. Dieser Begriff steht für einen sorgfältigen, ausgewogenen und ausdrücklichen Bezug auf einschlägige klinische Studien (Sackett et al. 1996). Geht es um die Rechtfertigung medizinischer Maßnahmen, ist die Unterscheidung von zwei Arten von Entscheidungen zentral: der a) Repertoire- und der b) klinischen Entscheidung. Die erstere trifft eine Behörde bei der Marktzulassung eines Medikaments oder ein Gesundheitssystem in Bezug auf die Kostenübernahme einer Technologie. Aber auch Praxen und Krankenhäuser müssen ihr Repertoire an diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen festlegen. Dieses stellt für die klinische Entscheidung an der einzelnen Patientin nur den Hintergrund dar. Es sind die Argumentationen über Repertoire-Entscheidungen, welche sich durch die Etablierung der EbM grundlegend verändert haben. Die Etablierung der EbM hat zu Machtverschiebungen geführt. Da Studien, welche den Kriterien der EbM genügen, sehr teuer sind, hat dies die Rolle von pharmazeutischer und Medizinprodukt-Industrie gestärkt und zu einer Oligopolisierung geführt. Traditionelles persönliches Wissen hat heute gegenüber digitalen Datenbasen, Zeitschriften und Lehrbüchern eine geringere Bedeutung. Studien im Sinne der EbM sind Voraussetzung für die Entwicklung von Entscheidungshilfen, mit welchen sich Patientinnen an Entscheidungen über ihre Behandlung beteiligen können. Vor dem Hintergrund kontroverser Diskussion um die EbM ist vor allem die weitgehende Akzeptanz der EbM-Standards bemerkenswert For several decades, Evidence-based Medicine (EBM) has become the most important frame of reference for decisions in health care. It denotes “the conscientious, explicit, and judicious use of current best evidence in making decisions about the care of individual patients” (Sackett et al. 1996). Good patient care requires decisions at two levels: a) the medical repertoire; b) the individual clinical decision. The former must be made by an authority granting market access or by the health care system regarding coverage. Hospital departments, practices and individual clinicians must also decide which components should be part of their repertoire. For the individual clinical decision, the repertoireof available treatment options provides only thebackground. It is for the repertoire decision for which EBM has fundamentally changed what counts as an argument and what does not. The global spread of EBM has resulted in shifts of power and authority. Since trials meeting the methodological requirements of EBM are very expensive, the pharmaceutical and device industry has become a more powerful player in an oligopolistic market. Traditional personal academic knowledge and influence have been superseded by impersonal sources of knowledge, such as electronic databases, journals, and textbooks. Studies as favoured by EBM are necessary to develop decision aids aiming at involving patients for decisions affecting their health care. That the standards of EBM are almost universally accepted worldwide is most remarkable.
DOI:10.17192/obst.2024.102.8639