Die Entscheidung von Männern zum PSA-Screening - Eine theoriegeleitete Untersuchung -

Ein Ende der Kontroverse um den Nutzen des PSA-Screenings in der Wissenschaft und im öffentlichen Diskurs ist nicht absehbar. Kürzlich wurde ein fehlerhaftes Studienprotokoll bei der Reevaluation einer gewichtigen Studie aufgedeckt (PLCO), Leitlinien wurden angepasst (U.S. Preventive Services Task...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Becker, Miriam
Beteiligte: Donner-Banzhoff, Norbert (Prof. Dr. M.H.Sc) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2018
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Ein Ende der Kontroverse um den Nutzen des PSA-Screenings in der Wissenschaft und im öffentlichen Diskurs ist nicht absehbar. Kürzlich wurde ein fehlerhaftes Studienprotokoll bei der Reevaluation einer gewichtigen Studie aufgedeckt (PLCO), Leitlinien wurden angepasst (U.S. Preventive Services Task Force) und eine groß angelegte Studie soll nach ihrem Ablauf im Jahr 2029 beweisen, dass eine risikoadaptierte Früherkennung Überdiagnose und Übertherapie reduzieren kann (PROBASE). Bei all diesen Entwicklungen bleibt eine Situation gleich: der Mann und Patient im mittleren Alter, der vor einer Entscheidung zum PSA-Screening steht. Wie er diese Entscheidung trifft und welche Komponenten der Ent-scheidungsprozess beinhaltet, kann mithilfe der Theorie des geplanten Verhaltens (TPB) deskriptiv ausgewertet werden und zu einem besseren Verständnis des Entscheidungspro-zesses führen. Dabei zeigt sich, dass die Intention, also die Verhaltensabsicht, der stärkste Prädiktor des Verhaltens ist und in allen Fällen mit dem Verhalten übereinstimmt. Bei einer unklaren Intention bleibt demgemäß die Entscheidung aus. Grund für die Übereinstimmung scheint die relativ hürdenfreie bzw. belastungsarme Durchführung des Tests, eine Blutentnahme, zu sein. Die Intention wiederum wird vor allem von der Einstellung beeinflusst. Hierbei wird zwischen einer bewertenden und einer emotionalen Komponente unterschieden, die miteinander in Wechselwirkung stehen; teilweise auch im Widerstreit. Die Einstellung ist in allen Fällen konform mit der Intention. Weiterhin steht sie mit der Wahrgenommenen Verhaltenskontrolle (PBC) in enger Interaktion. Letztere ist gering, wenn ein Mann sich den Test aufgrund von antizipierten Belastungen wie beispielsweise Überdiagnose und Übertherapie nicht zutraut. Hoch ist jene, wenn ein Mann die negativen Konsequenzen einer Testdurchführung als unwichtig erachtet, nicht wahrnimmt oder da-durch umgeht, in dem er sich für eine schrittweise Vorgehensweise entscheidet. Prinzipiell gilt: Je höher die PBC, desto eher nimmt ein Mann am PSA-Screening teil. Weniger bedeu-tend ist der Einfluss der Subjektiven Norm auf die Entscheidung. Zwar gibt die Mehrheit der Männer an, durch ihr soziales Umfeld, Medien und Bekannte auf das Thema Prostatakrebs aufmerksam geworden zu sein. Selten werden jene Erfahrungen als ausschlaggebend für die Teilnahme oder Ablehnung des Tests erachtet. Die Erinnerung und Wiedergabe dieser Anknüpfpunkte deuten darauf hin, dass das Thema für die betreffenden Männer eine Rolle spielt. Bedeutender scheint bei verheirateten Männern die Einflussnahme der Ehefrauen zu sein, die in den meisten Fällen zugunsten des Tests ausfällt. Eine sinnvolle Erweiterung der TPB stellen die Werte dar, die mit der Subjektiven Norm in enger Beziehung stehen. Deutlich wird, dass es unter den Männern eine Tendenz zur grundsätzlichen Zustimmung von Früherkennungsmaßnahmen gibt, die vor allem aus einer gesellschaftlich verankerten, dem eigenen Körper gegenüber empfundenen Verantwortung resultiert. Der Arzt hat in der Funktion des Ratgebers und als Vertreter des verfügbaren Wissens in den meisten Fällen einen großen Einfluss auf die Entscheidung. Insbesondere Männer, die den Nutzen des PSA-Tests nicht in Frage stellen, antizipieren bei ihrem beratenden Arzt eine Befürwortung des Tests oder sind sich derer sicher. Die eindeutigen Befürworter sind mehrheitlich Männer, die bereits in der Vergangenheit an einem PSA-Screening teilgenommen haben. Damit stehen das Vorherige Verhalten und der Einfluss des Arztes in enger Wechselwirkung. Daraus ergibt sich, dass Patienten vor ihrem „Erstkontakt“ mit dem PSA-Test eine umfassende und neutrale Beratung erhalten sollten, da andernfalls ein Kreislauf entstehen kann: Eine positive Arztmeinung oder tendenziöse Beratung führt eher zur Durchführung des PSA-Tests. Ein unauffälliges Ergebnis löst beim Patienten Sicherheit und Zufriedenheit aus, woraufhin der Test zur Routine wird. Diese Verhaltensweise beeinflusst eine folgende Beratung und Bewertung neuer Information. Dies gilt lediglich dann, wenn der Arzt den Test anspricht oder empfiehlt. Im umgekehrten Szenario findet kein PSA-Screening statt, was im besten Fall folgenlos bleibt und im schlechtesten Fall fatale Folgen hat. In der Auswertung zeigten sich außerdem bestimmte Muster im Entscheidungsalgorithmus, die zu der Entwicklung einer Typologie aus fünf Entscheider-Typen führten. Der sicherheitsorientierte Typ hinterfragt die gegebenen Informationen nicht oder ignoriert nachteilige Aspekte, weshalb er den Test befürwortet. Der folgenorientierte Typ ist stark an den Nachteilen und möglichen Konsequenzen eines auffälligen Testergebnisses orientiert, weshalb er sich gegen den Test entscheidet. Der strategische Typ nimmt sowohl die Nachteile als auch die Vorteile eines PSA-Tests wahr und entscheidet sich für ein schritt-weises Vorgehen. Dieses Vorgehen soll es ihm ermöglichen, jede weitere Maßnahme bei einem auffälligen Testergebnis neu abzuwägen und dadurch die Kontrolle zu behalten. Der „Wiederholungstäter“ möchte den Test weiterhin durchführen lassen und ist dabei durch vorangegangene (unauffällige) PSA-Tests beziehungsweise die Meinung des Arztes beein-flusst. Der Verdränger-Typ ist hin- und hergerissen zwischen Vor- und Nachteilen einerseits sowie moralischen Ansprüchen andererseits, weshalb er die Entscheidung zu einem späte-ren Zeitpunkt treffen möchte. Abschließend kann gesagt werden, dass die Typologie die Einschätzung von Männern und deren Bedürfnissen im Entscheidungsprozess erleichtert. Dieses Wissen ist Grundvoraussetzung für die gezielte Ansprache der Zielgruppe im Hinblick auf zukünftige Entscheidungshilfen und Gesundheitsmaßnahmen.
Umfang:224 Seiten
DOI:10.17192/z2019.0399