Das Spezifische mathematischen Erkennens. Ein transversaler Vergleich zwischen mathematikphilosophischen Positionen in Antike und Gegenwart

Diese Dissertation untersucht den spezifischen Charakter des mathematischen Erkennens aus der Perspektive der antiken und modernen Philosophie der Mathematik. Ihre vier Hauptthesen befassen sich mit Parallelen zwischen platonischem Ideenrealismus und aristotelischem Abstraktionsrealismus in Bezug a...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Kortus, Kai
Beteiligte: Ramacher, Pablo (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2024
Schlagworte:
Online-Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Diese Dissertation untersucht den spezifischen Charakter des mathematischen Erkennens aus der Perspektive der antiken und modernen Philosophie der Mathematik. Ihre vier Hauptthesen befassen sich mit Parallelen zwischen platonischem Ideenrealismus und aristotelischem Abstraktionsrealismus in Bezug auf Gleichheit als Grundlage des mathematischen Erkenntnisaktes (These 1a), dem erkenntnistheoretischen Spalt zwischen der sinnlichen Welt und mathematischen Objekten, der bereits in der Antike entstand (These 1b), wie moderne Denkschulen und ausgewählte Autoren mit den metaphysischen Grundlagen der Mathematik umgehen (These 2), und wie der epistemische Spalt potenziell überbrückt werden könnte (These 3). Das erste Kapitel untersucht die mathematikphilosophischen Positionen von Platon und Aristoteles. Es wird argumentiert, dass beide zentrale Parallelen im Hinblick auf die Anerkennung der Gleichheit von zunehmend komplexeren Strukturen für den Erkenntnisakt aufweisen, welche auch die Grundlage für das mathematische Erkennen ausmacht. Die spezifischen Modi der sinnlichen und intellektuellen Erkenntnisweisen unterscheiden sich in ihrer Klarheit der Objekterfassung. Es entsteht jedoch eine erkenntnistheoretische Lücke zwischen der sinnlichen Welt und mathematischen Objekten. Das zweite Kapitel betrachtet, wie diese Lücke in der Spätantike behandelt wurde, insbesondere in den Werken von Plotin und Proklos. Proklos versucht insbesondere, die platonische Lehre der Anamnesis mit Aristotelesʼ Konzept der Abstraktion zu integrieren. Durch die Abstraktion mathematischer Inhalte aus sinnlichen Darstellungen kann der diskursive Prozess der Wiedererinnerung ausgelöst werden. Das dritte Kapitel wendet sich der modernen Philosophie der Mathematik zu. Die drei großen Schulen des Logizismus, Intuitionismus und Formalismus werden in Bezug auf ihre Beziehung zu antiken Positionen und ihrem Umgang mit metaphysischen Grundlagen untersucht. Das Kapitel analysiert dann die platonistischen Ansichten der Mathematiker und Physiker Werner Heisenberg, Kurt Gödel, Roger Penrose und Alain Connes. Obwohl sich ihre Ansätze unterscheiden, erkennen sie alle an, dass Mathematik ohne metaphysische Grundlage nicht existieren kann. Das vierte Kapitel synthetisiert die vorhergehenden Analysen, um die vier Hauptthesen zu bewerten. Es wird argumentiert, dass Proklos eine integrierte Darstellung bietet, wie die Anerkennung der Gleichheit von zunehmender Komplexität sowohl bei Platon als auch bei Aristoteles als Grundlage des mathematischen Erkenntnisaktes fungiert. Die in These 1b identifizierte epistemische Lücke bleibt ein Problem für moderne Platonisten. These 2 zeigt, wie die drei modernen Schulen und einzelne Platonisten kritisch mit metaphysischen Annahmen umgehen. These 3 schlägt eine potenzielle Lösung für die epistemische Lücke vor, die auf Konzepten aus der Antike und neurobiologischen Ansätzen wie dem von Connes beruht. Die Komplexität mathematischer Strukturen ermöglicht es, ihre metaphysische Existenz insoweit abzuleiten, als sie mit der sinnlichen Welt übereinstimmen und korrespondieren, während sie nur teilweise auf diese anwendbar sind. Ihre Komplexität, Kohärenz und Übereinstimmung bieten eine Rechtfertigung dafür, ihre metaphysische Wahrheit und Existenz zu akzeptieren. Die epistemische Lücke wird insofern überbrückt, als die physische Existenz sinnlicher Objekte und die metaphysische Existenz mathematischer Strukturen teilweise in deren Anwendung auf erstere zusammenfallen. Zusammenfassend zeigt die Dissertation die anhaltende Relevanz und Fruchtbarkeit des transversalen Vergleichs der antiken mathematischen Philosophie mit modernen Positionen, um tiefere Einblicke in den spezifischen Charakter des mathematischen Erkennens und dessen metaphysische Grundlagen zu gewinnen.
DOI:10.17192/z2024.0241