Diagnostische Stabilität bei Autismus-Spektrum-Störungen und mögliche Prädiktoren für einen Diagnosewechsel auf Item-Ebene der Diagnostischen Beobachtungsskala für autistische Störungen- eine deskriptive Analyse

Die Autismus-Spektrum-Störung (Autism spectrum disorders, ASD) gehört zu den neuronalen Entwicklungsstörungen und beeinträchtigt Betroffene deutlich in ihrem Alltag. Daher ist eine präzise Diagnostik unabdingbar, um die Betroffenen bestmöglich unterstützen und therapieren zu können. Allerdings weise...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Crommelinck, Julie
Beteiligte: Kamp-Becker, Inge (Prof. Dr. phil.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2023
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Die Autismus-Spektrum-Störung (Autism spectrum disorders, ASD) gehört zu den neuronalen Entwicklungsstörungen und beeinträchtigt Betroffene deutlich in ihrem Alltag. Daher ist eine präzise Diagnostik unabdingbar, um die Betroffenen bestmöglich unterstützen und therapieren zu können. Allerdings weisen ASD keine vollständige Diagnosestabilität auf. Das bedeutet, dass PatientInnen eine zunächst erhaltene ASD-Diagnose zu einem späteren Zeitpunkt wieder abgeben, da sie die diagnostischen Kriterien nicht mehr erfüllen oder dass PatientInnen zunächst eine andere oder keine Diagnose erhalten und erst zu einem späteren Zeitpunkt eine ASD diagnostiziert wird. Daraus ergeben sich vier Diagnosegruppen: ASD stabil (PatientInnen, welche konstant eine ASD-Diagnose erhalten), NON-ASD stabil (PatientInnen, welche konstant keine ASD-Diagnose erhalten), ASD zu NON-ASD (PatientInnen, welche von einer ASD-Diagnose zum ersten Messzeitpunkt zu keiner ASD-Diagnose zum zweiten Messzeitpunkt wechseln) und NON-ASD zu ASD (PatientInnen, welche von keiner ASD-Diagnose zum ersten Messzeitpunkt zu einer ASD-Diagnose zum zweiten Messzeitpunkt wechseln). Verschiedene Faktoren, die die Diagnosestabilität beeinflussen oder Aussagen darüber zulassen, ob jemand eine Diagnose im Verlauf abgibt bzw. erhält, werden in dieser Arbeit beschrieben (vgl. Kapitel 3 bis 3.3.5). Die vorliegende Arbeit untersucht einen zentralen Baustein der Autismusdiagnostik – die Diagnostische Beobachtungsskala für autistische Störungen (ADOS). Im Sinne einer deskriptiven Übersichtsarbeit wird die Fragestellung bearbeitet, ob es bestimmte Items des ADOS gibt, welche sich in ihrer Ausprägung bzw. Entwicklung zwischen den Diagnosegruppen unterscheiden und so zur Charakterisierung der einzelnen Gruppen dienen können. Dies soll als Grundstein dienen, um in weiteren Untersuchungen valide Prädiktoren für die Zuordnung zu einzelnen Diagnosegruppen zu identifizieren. In diesem Sinne werden 12 modulübergreifende Items sowie die einzelnen Skalen des ADOS untersucht. Zudem prüft die Arbeit zwei der transdiagnostischen Faktoren, die Einfluss auf die Diagnosestabilität nehmen. Zum einen das Alter bei Diagnosestellung, zum anderen den Zusammenhang zwischen der Entwicklung von sprachlichen Fähigkeiten und der Kommunikation bzw. der sozialen Interaktion. Die Untersuchungen zeigen, dass es unter den modulübergreifenden Items zwei Items gibt, welche sich signifikant zwischen den Diagnosegruppen unterscheiden: die Items ENJ (gemeinsame Freude an der Interaktion) und EYE (ungewöhnliche Blickkontakte). Auf Skalenebene zeigt sich eine unterschiedliche Ausprägung in den Diagnosegruppen für die Skala „Sozialer Affekt“ (SA) sowie den Comparison Score (Vergleichswert des ADOS, um ADOS-Werte über verschiedene Module hinweg vergleichbar zu machen). Die Ausprägung der Skala „Restriktive und Repetitive Verhaltensweisen“ (RRV) unterscheidet sich nicht signifikant zwischen den Diagnosegruppen. Ein positiver Zusammenhang zwischen der Entwicklung von sprachlichen Fähigkeiten (gemessen an den Items NESL; Gesamtniveau der nicht-echolalischen Sprache und IECHO; unmittelbare Echolalie) und der Entwicklung der der Kommunikation bzw. der sozialen Interaktion (gemessen am SA-Score) kann für das Item NESL gezeigt werden. Die aufgestellte Hypothese, dass Betroffene der Diagnosegruppe NON-ASD zu ASD zum ersten Diagnosezeitpunkt jünger sind, als die in den anderen Diagnosegruppen, kann in der vorliegenden Arbeit nicht belegt werden, jedoch zeigt sich eine positive Korrelation zwischen dem Abstand der Messzeitpunkte und der Abnahme der Skala SA bzw. des Comparison Scores. Die Ergebnisse der Arbeit auf Skalenebene unterstreichen die Validität des ADOS sowie seine zentrale Rolle im diagnostischen Prozess. Allerdings wird deutlich, dass die Skala RRV sich nicht eignet, um die Diagnosegruppen voneinander zu unterscheiden. Dies liegt vorwiegend daran, dass restriktive und repetitive Verhaltensweisen über alle Diagnosegruppen hinweg nur geringfügig ausgeprägt sind. Auf Itemebene rückt durch die Ergebnisse insbesondere der Bereich der wechselseitigen sozialen Interaktion der Skala SA in den Fokus. Die Items ENJ und EYE sollten als mögliche Prädiktoren evaluiert werden, sowie weitere nicht-modulübergreifende Items aus dem Bereich des Sozialen Affektes. Obwohl unter den untersuchten Items keines der sprachbezogenen Items Unterschiede in der Ausprägung vorweist, lässt sich durch den beschriebenen Zusammenhang zwischen sprachlichen Fähigkeiten und SA-Score vermuten, dass die sprachlichen Fähigkeiten trotzdem Einfluss auf die Diagnosestabilität nehmen. Die Untersuchung weiterer nicht-modulübergreifender sprachbezogenener Items ist an dieser Stelle sinnvoll. Auch mögliche Gründe für die positive Entwicklung bei Betroffenen mit größerem Abstand zwischen den beiden Messzeitpunkten (beispielsweise Therapiedauer oder Reifung) sollten in weiteren Arbeiten untersucht werden. Ausgehend von den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit, ergeben sich weitere Hypothesen, insbesondere in Bezug auf die Items ENJ und EYE. Die Ergebnisse bilden einen wichtigen Grundstein auf dem Weg zur Identifizierung von validen Prädiktoren für die Diagnosegruppenzugehörigkeit.
DOI:10.17192/z2023.0438