Protokoll der 88. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. VII, o.S.

[Datum: Mo, 14.01.1929 - Protokollant: Ludwig Knoll]


Zu Anfang brachte Herr Dr. Ackermann den schon gelegentlich bei Tisch erläuterten Antrag über eine neue Art der Ausschußwahl vor. Nach seinem Plan soll allen Wählern eine Liste aller Wählbaren gegeben werden und jeder soll nun hinter deren Namen, die er für fähig zum Ausschußamt hält ein "ja" schreiben. Er hat nicht nur das Recht drei Schüler und einen Lehrer, sondern theoretisch alle zu wählen. Im Ergebnis ändert die neue Wahltechnik nichts: es kommen natürlich nur die in Frage, die 2/3 aller Stimmen auf sich vereinigen und von denen wieder die, die die meisten Stimmen erhalten haben. Sollten zwei die gleiche Anzahl Stimmen haben, so müßte das Los entscheiden, denn eine Änderung der Meinung wie früher ist bei dieser Wahlart nicht möglich. Durch diesen Wahlmodus sollen in Zukunft die Stichwahlen wegfallen. Der Antrag Herrn Dr. Ackermanns wurde gegen 9 Stimmen angenommen. Herr Dr. Moslé wies auf die ungünstige Zusammensetzung des jetzigen Ausschusses (1 Lehrer, 1 Schüler) hin, weil ja naturgemäß der Erwachsene hier vorwiegen müßte. Er sprach weiter von der Sorge des Ausschusses, auch wirklich allen Gemeinschaftsmitgliedern gerecht zu werden, und er bat deshalb bei der Ausschußwahl auch etwa an die Blauen zu denken. Man soll überhaupt recht freigiebig mit den "Ja- stimmen" auf der Liste sein, damit möglichst der Ausschuß diesmal eine normale Zusammensetzung (1 Lehrer, 3 Schüler) erhalte und man solle nicht nur die augenblickliche Fähigkeit zum Ausschußamt, sondern auch die Entwicklungsmöglichkeit

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bedenken. Dr. Moslé schlägt weiter vor, ruhig Oberstüfler zu wählen und einfach zu Ostern den Nächsten an Stimmenzahl, wenn er 2/3 Stimmen hat, an die Stelle treten zu lassen. Dagegen wendet sich Teutenberg, denn er hält die Möglichkeit der Meinungsveränderung in dieser Zeit für zu groß und will lieber bei Novemberwahlen bleiben. Über diese Streitfrage wird abgestimmt und es ergibt sich gegen 2 Stimmen die Beibehaltung der eventuellen Neuwahlen zu Ostern. Vor den Ämterwahlen weisen noch Herr Scheibner und Marnitz auf die Schwierigkeit der vielen gleichzeitigen Ämter hin, etliche zu Ämtern vorgeschlagene lehnen ab, der schon durch Vorschlag gewählte Lichtwart Kroll bittet um einen Assistenten zum Anlernen, damit Ostern Scharfenberg nicht ohne Lichtwart ist. Der Entenwart als öffentliches Amt, das bei der letzten Wahl am Verfassungstag von der Liste gesetzt wurde, wird wieder eingeführt.

Dann gehen die Ausschuß- und Ämterwahlen vor sich. Bis die Ergebnisse der Ausschußwahl ausgezählt sind, spielen Bauer und Kujack ein Menuett und ein Rondo. Dann wird bekannt gemacht, daß allein Herr Dr. Ackermann mit 55 Stimmen zum Ausschuß gewählt worden ist, von den Schülern aber keiner die 2/3 Majorität erreicht hat. - Bei den Anfragen und Anregungen beschwert sich Teutenberg, daß man so spät zu Bett geht [Anm. 1]. Es müsse entweder die jetzige Regelung eingehalten werden oder wieder wie früher eine einheitliche Regelung stattfinden. Es wird angenommen, daß sowohl Oberals auch Zwischenstüfler um 9 Uhr ins Bett gehen müssen und die Oberstüfler gegen Erlaubnis des Chroniden und Entrichtung des Lichtgroschens aufbleiben dürfen. Damit war nach Meinung anderer aber der Mißstand noch nicht erledigt, denn wie sollte die Durchführung des angenommenen Antrages vor sich gehen? Teutenberg stellte den Antrag, der Lichtwart müsse wie früher üblich, abends einen Rundgang machen und das Lichtgeld kassieren. Der Antrag wurde abgelehnt. Marnitz machte dann darauf aufmerksam, daß durch Wiederher-

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stellung der alten Formulierung, wie es Teutenberg durch seinen Antrag anscheinend gewollt habe, nicht nur den Oberstüflern, sondern allen über 16 Jahren Alten die Erlaubnis gegeben sei, gegen Lichtgroschen und Chronidenerlaubnis länger als bis 9 Uhr aufzubleiben. Weil damit das späte Zubettgehen etwa der Scheune, über die man sich namentlich beschwert hatte, nicht behoben wurde und aus hygienischen Gründen wurde diese Formulierung verwiesen. Schließlich stellte Herr Dr. Moslé den Antrag, den nach seiner Ansicht merkwürdigen Lichtgroschen abzuschaffen. Der Antrag wurde abgelehnt. - Damit war die Abendaussprache beendet.

Ludwig Knoll.


Anmerkungen::

Anm. 1:
Vgl. zum Thema: Protokoll der 54. Abendaussprache vom 28.01.1925 und Protokoll der 83. Abendaussprache vom 16.05.1928.



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