Protokoll der 54. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. V, S. 124-127

[Datum: Mi, 28.01.1925 - Protokollant: Hans Samter]


Zur Einleitung improvisierte Peter Völkner "Das Glück von Edenhall" als Melodram.

Beim 1. Punkt, den Mitteilungen, stellte Blume zuerst Frau Braun, die neue Küchenfrau, vor. Dann teilte er der Gemeinschaft die Weihnachtsstiftungen mit, so waren uns Küchenhandtücher und Bücher, wie Dantes "Göttliche Komödie" und ein neues Werk von Arno Holz gestiftet worden [Anm. 1]. Darauf las Röhrborn alle neu hinzugekommenen Bücher vor. Stenger hat dem D.K.S. einen Brief aus Freiburg mit Ansichten vom Dom geschickt, Erwin Sommer aus Brasilien einige Zeitungen und Photographien nebst Grüßen. Die anderen Landerziehungsheime und freien Schulen, wie Wickersdorf, Juist, Luserkes Neugründung, und D.L.E.H. sandten Lehrpläne, Zeitschriften und Prospekte. Veckenstedt am Harz auch ein Angebot für kostenlose Jugendherbergsunterkunft für wandernde Scharfenberger.

Zum 2. Punkt, der Streichhölzerversorgung, wird auf Steinauers Bitte, daß in jedem Arbeitsraum einer mit Streichhölzern sitzen solle, vom Lichtwart entgegnet, daß dies schon so sei. Darauf wird der Antrag zurückgezogen.

Als Vertreter des 3. Punktes: Arbeitsplätze !! bittet Blume, sich doch nicht soviel im sogenannten Blumezimmer aufzuhalten, wenn man dort kein Platzrecht hätte. Er fragte, warum der Gartensaal, der doch viel luftiger sei, viel weniger besetzt sei, und schloß mit der Bitte, doch auch in den anderen Arbeitsräumen sich zu plazieren, da er sonst eines Tages mit seinen Nerven am Ende wäre und vor allem die Bewohner des Blumezimmers niemals dazu kämen, in dem dort herrschenden Lärm ihre Aufgaben zu erledigen oder nur ernsthaft zu lesen und ihnen so die Zeit zur Erholung mangele.

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Den 4. Punkt: Wann soll man schlafen gehen? vertritt wieder Blume. Er führt aus, daß besonders die Jüngeren es lieben, bis 10 oder 11 Uhr aufzubleiben und daß sie dann natürlich bis zum Unterricht und auch weiter am nächsten Morgen verschlafen seien. Er schlägt vor, daß alle unter 16 Jahren um 9 Uhr ins Bett gehen. Wernecke unterstützt den Antrag und ruft dabei Kant, Schopenhauer und Descartes zu Hilfe! Wolff weist darauf hin, daß beim Eintritt des Aufbaus einige Eltern um ausgiebige Schlafenszeit ihrer Jungen gebeten hätten; Geister erzählt, daß er vor kurzem eines Abends um 1/4 10 5 Aufbauer im Bett gefunden hätte. Bandmann meint, es sei schlimmer, einen Abend bis 1 Uhr als 5 Abende bis 10 Uhr aufgeblieben zu sein und beantragt, daß nach Theater- oder Konzertbesuchen, die sich an den Unterricht anschließen, jeder abends nach Hause fahren solle. Frey findet es besser, wenn alle nach Scharfenberg fahren, und dort bis 8 1/2 Uhr schlafen. Metz will das Vergnügen nicht auf Kosten der Arbeitszeit haben, worauf Bandmann erwidert, daß sonst im Unterricht doch die Meisten schliefen. Auf Blumes Anfrage, ob dieser für Scharfenberger Milieu so neue Antrag bei jeder Besucherzahl in Kraft treten solle, nicht bloß, wenn das Gros ausgeflogen sei, bejaht dies der Antragsteller. Bei der ersten Abstimmung ergeben sich 19 Stimmen dafür und 18 dagegen. Zur Genauigkeit wird noch einmal gezählt; diesmal ist das Verhältnis 20:19. Also ist der Antrag Bandmann angenommen. Blume bittet, zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Nach kurzer Debatte wird angenommen, daß alle unter 16 Jahren um 9 Uhr ins Bett müssen.

Auch der 5. Punkt: Die Flügelbenutzung, geht von Blume aus, der vorschlägt, zum Üben ein besonderes Klavier zu mieten, da besonders die mittleren Lagen durch das fortwährende Üben ruiniert würden. Bandmann ist sehr dafür, fragt aber, wer auf dem gemieteten Instrument spielen dürfe. Berisch ist dafür, daß auch die Fortgeschrittenen ihre Übungen darauf machen. Blume meint, wenn die Geiger und Cellisten ihre zersprungenen Saiten alleine bezahlen und sich ihr Instrument selbst beschaffen,

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so können es die Klavierspieler auch so machen. Blume will sich erst noch nach dem Mietpreis erkundigen.

Zu dem 6. Punkt: Der Anfrage über den weiteren Verlauf des Musikunterrichts fragt Schramm, was man noch zu erwarten habe? Ob der Wagnerzyklus fortgesetzt werden solle? Heinrichsdorff erkundigt sich, warum wir nicht gleich das Wesentliche an Wagner gehört hätten. Bandmann erklärt, daß er nicht mit der Erkrankung seiner Hand gerechnet habe, andernfalls er den Erstlingswerken nicht so viel Platz eingeräumt hätte und sagt dann, daß er noch 3 Werke von Wagner aufführen und dann auf Wunsch der Abiturienten noch eine Brucknerstunde veranstalten wolle. Die Opern hätten wir nur gehört, weil unsere Stimmbegabtesten wahrscheinlich Ostern abgehen würden. Dann bittet Bandmann um Antwort, woher die starke Wagnerkritik käme, und bittet die Chormitglieder um ihre Meinung. Reschke empfindet den Mangel an Volkslied[ern] schmerzlich, hält aber den angeführten Grund für ausreichend. Geister glaubt, daß Wagnersingen der Stimme schade. Jandt bestätigt es aus seiner Erfahrung. Auf wiederholtes Ersuchen von Bandmann um weitere Antworten erklärt Glasenapp, daß er von den Opern viel mehr erwartet habe, daß das Können unserer Sänger nicht zu so großen Opern heranreiche, und daß er es bedauere, zu diesen Veranstaltungen gegangen zu sein. Da sich kein Widerspruch erhebt, antwortet Bandmann, daß er daraufhin keine Oper mehr zu Gehör bringen wolle. Vor einer weiteren Debatte wurde diese Angelegenheit auf eine Chorbesprechung am Freitag vertagt, von deren Ergebnis die Gemeinschaft benachrichtigt werden soll.

Den 7. Punkt, die Zeitungsfrage, teilt Blume in 2 Teile.

1. fragt er, ob die 3 aus der Verpflegungskasse bezahlten Zeitungen weiter gehalten werden sollen. Dies wird für die D.A.Z. und Umschau angenommen, für Westermanns Monatshefte abgelehnt. Dafür schlägt Berisch vor, eine künstlerische Zeitschrift, die "Kunst", anzuschaffen und wird mit der Besorgung einer Probenummer beauftragt.

2. regt er an, um das Wertvolle aus unseren vielen Zeitungen vor dem Untergange zu bewahren, Sammelmappen für verschiedene Gebiete anzulegen, und es melden sich sofort für Volkswirtschaft: Schramm, Literatur: Opalka, Kunst: Berisch, Technik: Oeser, Sport: Haffner, Rätsel: Faas.

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Zum 8. Punkt: Anfragen und Anregungen meldet sich Samter und bittet um die Wahl eines Diensttafelwarts, der täglich in der Diensttafel das Datum und den Namen des Chroniden hineinsteckt, da der dafür verantwortliche Ausschuß anscheinend keine Zeit dazu habe; es wird beschlossen die Anregung an das gerade kranke, dafür zuständige Ausschußmitglied weiterzuleiten. Link ist nicht zufrieden mit dem Sportteil des Feuilleton-Zeitungsberichts. Da für die Wahl eines Sportberichterstatters kein Interesse vorhanden ist, verspricht Völkner es besser zu machen. Opalka wünscht, daß die Fährdienste Sonntags abends von 5 Uhr ab auf der Insel sind und sich in der Nähe der Fähre aufhalten oder einen Vertreter stellen.

Zum Schluß spielt W. Grundschöttel das d-Moll Largo aus der D-Dur Sonate von Beethoven.

Schluß der Abendaussprache: 10 1/2 Uhr.

H. Samter.


Anmerkungen::

Anm. 1:
Wohl eines dieser drei Werke: HOLZ, Arno, Sozialaristokraten. Komödie, Berlin 1924; DERS., Der erste Schultag, Berlin 1924; DERS., Kindheitsparadies. [Dichtung], Berlin 1924.



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