Protokoll der 34. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. III, S. 34-36

[Datum: [Mai] 1923 - Protokollant: Heinz Böhm]


Nachdem Kroll und Herr Bandmann den 2. Satz der Sonate Nr. 3 von Händel gespielt hatten, las Blume, wie gewöhnlich, inzwischen eingelaufene, allgemein interessierende Schriftstücke vor. Unter denen war ein Brief von Frl. Rotten, die schon 8 Tage mit Herrn Wilker in Kohlgraben weilt und Schreiben von der Atlantic-Phototek und der deutschen Lichtbild-Gesellschaft, die unser Leben gern filmen möchten. Als Wichtigstes zeigte er uns den nun endlich unterschriebenen Kontract mit Borsig.

Dann kam als 1. Punkt die Stullenfrage . Nachdem Röhrborn den alten Nachmittagskaffee-Vorschlag aufgewärmt hatte und einzelne den Hungrigen durch Kirschen, mehr Stullen (Stullen auf die Zimmer am Nachmittag verteilen) mit vielen Gegengründen wird dafür entschieden: Wenn Kirschen vorhanden sind, gibts nachmittags eine Kirschenration; wenn keine vorhanden sind, gibts nichts. Bis zu den großen Ferien möge man sich daran gewöhnen.

Nun wurde des geschätzten Übergangs wegen erst die Kirschenfrage erledigt. Nach Feststellen bekannter Tatsachen, der Unverschämtheit der Unersättlichen und Zu-kurz-kommen der Anständigen und vor allem des rohen Schädigens der Bäume durch Herunterschlagen der Äste mit Knüppeln wird von Blume außerdem konstatiert, daß wir das Geld, das wir wegen der Landwirtschaft verpflichtet sind, zu bezahlen, nur durch die Kirschen aufgebracht werden kann. Darauf wurde sofort durch Abstimmung festgesetzt, daß nur der zu essen hat, der pflückt.

3. schlägt Wolff vor, ein Sportfest zu machen. Blume ermahnte vor allem an mehr Systematik beim Üben und hält

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den Vorschlag für gut, weil dadurch die körperliche Bewegung etwas wieder gefördert wird. Man könnte das ja mit einer kleinen Elternversammlung verbinden. Das Stattfinden eines Festes wurde angenommen und nachdem man sich besonders unter den Aufbauern herumgestritten hatte, ob einzelne Gruppen begabter Kämpfer spielen sollen oder jeder alles mitmacht oder ob Dreikampf, Leichtathletik [...] oder Faustball stattfinden sollen, wird dem Spielwart vorgeschlagen, sich mit einzelnen Sportsmännern zu überlegen und uns an einer Mahlzeit Vorschläge zu machen. Dazu wählt man außer P. Grotjahn Baader, Metz, Schmidt und Haffner. Das Spiel wird auf den letzten Sonntag vor den Ferien festgesetzt. Hoffentlich kann geschwommen werden[,] und M. Grotjahn wird so freundlich sein und den Eltern ihres dendrologischen Wertes wegen die Insel zu zeigen.

Als 4. Punkt bittet Wolff, die sonnabendliche Kahnfahrt doch nur bis um 9 Uhr auszudehnen. Neulich sei man ohne Lehrer bis 1/2 10 auf dem Wasser gewesen. Es wird außer dem Antrag noch angenommen, Sonntag Nachmittag auch unter Beisein eines Lehrers Kahnfahren zu dürfen.

Nach den viel debattierten Kleinigkeitsfragen kommt Blume mit der ernsten Frage "Facultatis". Er leitet mit den Verhältnissen in der Berthold-Otto-Schule ein. Auch da sei man von dem anfangs vollkommen freiwilligen Unterricht in einem Wahlunterricht mit obligatorischer Teilnahme am Wahlfach übergegangen. Bei uns sei vor allem die für das Abiturium durchaus wichtige 2. Sprache , da sie freiwilliges Arbeiten verlange, sehr zurückgeblieben. Zeichen- und Handfertigkeitsstunden werden kaum noch besucht. Auch die Preisausschreiben ständen unter dem gefährlichen Signum "Facultatis". Wie würde es bei uns bei völligem facultativem Unterricht sein ?

Darauf kommt er auf eine andere Schule als letzten Punkt zu sprechen, auf die Anstalt in Schulpforta, die seit 380 Jahren existiert [Anm. 1].

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Er weist darauf hin, daß gerade sie trotz ihres konservativen, zuchtmäßigem Unterricht viele berühmte Männer hervorgebracht hat [Anm. 2]. Er wurde durch einen Zeitungsartikel zu diesem Punkt angeregt, den er uns vorlas [Anm. 3].

Durch eine letzte Anregung wird angenommen, zur Schonung des Fährkahnbodens eine Landungsbrücke auf dieser Seite zu bauen. Die Spitze des Kahns soll mit Eisen beschlagen werden. Drüben möge man entweder auf dem Sand rechts von der Landungsbrücke oder an ihr selbst landen.

H. Böhm


Anmerkungen::

Anm. 1:
Zur früheren Beschäftigung mit Versuchsschulen s. vor allem: Protokoll der 26. Abendaussprache [vom März 1923] und Protokoll der 27. Abendaussprache [1927].

Anm. 2:
U.a. den Dichter Klopstock, die Philosophen Fichte und Nietzsche, den Altphilologen Wilamowitz-Moellendorf, die Historiker Ranke und Lamprecht, nicht zuletzt Lietz.

Anm. 3:
S.: HILDEBRANDT, Paul, Schulpforta als Gutsherrin. Ein Alumnat, das sich selbst erhält, in: Vossische Zeitung vom 05.06.1923, Morgenausgabe, 1. Beilage. - HILDEBRANDT, Paul, Gelehrsamkeit und Sport. Lehrer und Schüler in Schulpforta, in: Vossische Zeitung vom 07.06.1923, Morgenausgabe, 1. Beilage.



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