Protokoll der 28. Abendaussprache [Anm. 1]


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. II, S. 55f.

[Datum: , ......1923 - Protokollant: Wilhelm Blume]


In diesen Schlußwochen des Schuljahres drängten sich Gelegenheiten auf, in dieser und jener Beziehung ein Fazit zu ziehen; so gab es 3 Morgensprachen -, zu denen ich alle nach dem ersten Läuten versammelte. In der einen suchte ich in eindringlicher Weise einen Scharfenberger Übelstand zu mildern - das Fehlen konzentrierten Arbeitenkönnens bei vielen; man sieht den ganzen Tag bis Abend spät die Schüler vor den Büchern hocken, aber zwischendurch wird viel zu viel geplauscht und debattiert; einige unruhige Geister machen Besuche, durchbrechen die in den Wintermonaten anempfohlene Arbeitsplatzverteilung und stören durch ihr zweckloses Türenklappern und gleichgültiges Geplappere die, die es für angebrachter halten, einige Stunden kondensiert zu arbeiten, die andere Zeit dann ganz frei zu haben zu privater Beschäftigung oder auch zu harmlosen fröhlichen Vergnügungen, zu denen die meisten infolge dieses Zeit-

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organisationsfehlens nie "Zeit haben". -

In einer zweiten "Morgensprache" im März wies ich zur Aufklärung darauf hin, daß in den "Prüfungsarbeiten" der Zwischenstufe kein Abfall von unserer prinzipiellen Gegnerschaft gegen Zensuren liege [Anm. 2]; es sei schon den Behörden gegenüber geboten, sie aufweisen zu können; ferner müsse beim Übertritt in die Oberstufe unbedingt ein Einschnitt, eine Siebung statthaben; es werde nun sowieso für manchen eine nicht ganz ungefährliche Probe sein, ohne solchen Einschnitt in den nächsten 3 Jahren dem Abiturium zuzusteuern; eine Schwelle bei Eintritt in die Oberstufe und beim Austritt war von vornherein vorgesehen. Es kann uns beruhigen und vielleicht sogar ein klein wenig stolz machen, daß ein Zwischenstufler, der Weihnachten abging, da er nach allgemeiner Auffassung die Versetzung nicht erreichen werde, inzwischen in Berlin "das Einjährige" gemacht hat. In der gleichen Versammlung legte ich der Gemeinschaft die Frage vor, ob sie das bisher ungeschrieben gültige Hausgesetz, daß man nach 9 Uhr keine Besuche außerhalb des Hauses machen dürfe, offiziell billigen wolle; es geschah mit 19 gegen 1 Stimme, nicht mitstimmen konnte Martin Grotjahn, da er von einem Wahleschen Koffertransport noch nicht zurück war [Anm. 3].

An einem anderen Morgen (es war der 5. April) stellten wir die Punkte zusammen, die vor der Osterpause nicht im Unterricht hatten erledigt werden können; es machte sich geltend, daß das Schuljahr aus baulichen und Witterungsgründen erst am 5.V. begonnen hatte; man beschloß, die Tage bis zum Ferienbeginn (5. IV. bis 20. IV.) der Aufarbeitung der Reste zu widmen unter Absehen von einem festen Stundenplan [...].


Anmerkungen:

Anm. 1:
Wie aus dem Beginn des Protokolls der 29. Abendaussprache deutlich wird, wurden 3 Morgenaussprachen als 28. Abendaussprache aufgefaßt.

Anm. 2:
Vgl. oben Protokoll der 24. Abendaussprache vom 26.02.1923.

Anm. 3:
Vgl. Protokoll der 27. Abendaussprache vom [März 1923].



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