Protokoll der 24. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. II, S. 34-36

[Datum: Mo, 26.02.1923 - Protokollant: Rolf Wernecke]


Am 26.II. abends fand die 24. Abendaussprache statt. W. Grundschöttel leitet sie am Flügel ein mit einem stimmungsvoll-zart wirkenden "Lied ohne Worte".

Punkt 1. Blume wiederholt sein schon neulich mittags geäußertes Befremden über die nicht zu leugnende Teilnahmslosigkeit an dem Naturleben ringsum, wenn er auch einige scharfe Ausdrücke zurücknimmt oder mildert, die ihm damals entfahren waren in dem Groll darüber, daß in der Frostzeit niemand an das Füttern der Vögel von selbst gedacht hatte. Er regt an, rechtzeitig für ein Futterhäuschen zu sorgen und die Nistkästen an den Bäumen zu ergänzen. Wernecke, Fritz, Böhm wollen sich da besonders betätigen.

Punkt 2. Wahl eines Buchbinderwartes, der den Schlüssel führt, die Materialausgaben bucht und für Schonung des Materials sorgt. Berisch wird mit 12 Stimmen gewählt.

Punkt 3. Wahl eines Ausschusses zur Anfertigung eines Inventarverzeichnisses. Die einzelnen Stuben und "Beamten" haben bis zum 5.III. ein Verzeichnis des gesamten Scharfenberger Inventars beim Ausschußmitglied Erich Gawronski abzuliefern.

Punkt 4. Neuwahl eines Bullenbauwartes, der jeden Abend die Zeitungen aus dem Rahmen nimmt und sie geschnitten zum Gebrauch an einen Drahthaken im Bullenbau aushängt. An Stelle des allzu bummligen Rolf Wernecke wird Heinz Röhrborn mit 9 Stimmen gewählt.

((35))

Punkt 5. Über Antrag Reschke auf Zusammenlegung der Pfingst- und Osterferien wird beschlossen, die Ferienfrage von der Nürnberger Exkursion abhängig zu machen.

Punkt 6. Antrag Schramm, Woldt auf Berechnung des Kantens als Stulle wird einstimmig angenommen mit der Motivierung, Brot zu sparen.

Punkt 7. Blume fragt an, warum nach den Ferien die Studientagsarbeit sich nicht weiter aufwärts entwickelt habe; überhaupt möchte er hören, ob sein Eindruck richtig sei, daß nach den Ferien der Elan im Arbeiten sowohl im Wissenschaftl. wie im Körperlichen nachgelassen habe. Er kann dafür gar keinen Grund finden, da doch sonst gerade zu Ostern ein besonderer Ruck zu beobachten sei; speziell am Studientag vermisse er jetzt das Arbeiten an selbstgewählten größeren Aufgaben oder auch zu Gunsten der zweiten Sprache. Frey antwortet, daß er für die zweite Sprache in der Sprachenwoche genug Zeit finde und daher die notwendigsten Schularbeiten wie Hausaufsätze, die auch ihres wissenschaftlichen Charakters wegen Studienarbeit seien, in den Vordergrund rücke. Schramm antwortet, daß er eine Zunahme der Gemeinschaftsarbeit beobachtet habe.

Punkt 8. Aussprache über die Erfahrungen im lehrerlosen Unterricht. Mathematik unter Ägide Baader ist in beiden Stufen gut gewesen. Während das Lateinische in beiden Abteilungen schlecht abgeschnitten hat, sind im Griechischen auch in beiden Stufen Erfolge zu notieren gewesen. Die Bereitwilligkeit des studiosus Gerhard Grüß wird besonders lobend erwähnt. Bis auf das Fernbleiben [von] 2 Kameraden von der von Baader gegebenen Physikstunde scheint der Pennälerstandpunkt überschritten zu sein (Grotjahn erhebt gegen letzteres Einspruch, da er das Fehlen für begründet hält). Herr Wahle hat keine Fehler in der Behandlung der Mathematik ohne ihn beobachtet.

Punkt 9. Wie wird es mit dem Übertritt der Zwischenstufe in die Oberstufe? Herr Blume schickt voraus 1.) Wollen wir nicht prinzipiell die Möglichkeit verschließen, daß in diesem oder jenem Fach, in dem man sich unsicher fühlt, [man] noch in der Zwischenstufe bleibt, in den anderen aber in die Oberstufe übertritt? Ähnlich ist es mit der Oberstufenmathematik; wer die Trigonometrie nicht verstanden, mache sie in der zweiten Mathematikabteilung der Oberstufe nochmals mit. 2.) Ist es nicht empfehlenswert, da wir doch nicht sicher sind, ob etwa Abgehende nicht offiziell eine Einjährigenprüfung machen müssen, in einigen Wochen unter uns eine Prüfung abzuhalten mit schriftlichen Arbeiten, die das verlangen, was man bei einer Einjährigenprüfung in der Stadt leisten müßte? Zur Kontrolle des Wissenstandes und als Generalprobe, um einem etwaigen Ernstfall seinen Schrecken zu nehmen. Eine Abstimmung über diese beiden Punkte in der Unterstufe ergibt, daß 5 Mitglieder dafür, 1 aber dagegen sind. Zum Schluß der Behandlung dieses Punktes warnt Herr Blume die Zwischenstüfler davor, sich nicht etwa in Folge der etwas feierlichen Formen des Übertrittes zu einem klassenbewußten Oberstüflergefühl verleiten zu lassen. "Wir sind hier alle Kameraden ohne Alte-Herrenstand-Zunft!!"

((36))

Punkt 10. Antrag Metz, Schramm die Zimmer einmal wöchentlich tüchtig durchzuheizen, wird abgelehnt und der Antrag Grotjahn, die durch die Feuchtigkeit klamm gewordenen Federbetten zu einer einmaligen Kur in dem stark geheizten Saal auszulegen, wird mit 13 Stimmen angenommen.

Punkt 11. Antrag Baader, den Holzdienst auch nach dem Wegfall von Sägen und Hacken weiterbestehen zu lassen, wird einstimmig angenommen, d.h. der sogenannte Holzdienst bleibt für laufende Arbeiten stets in Bereitschaft. Er soll zunächst die längeren Stubben auf der Insel vorsichtig, ohne das Wurzelwerk anderer Bäume und Sträucher zu zerstören, vorsichtig ausgraben.

Punkt 12. Antrag Berisch, die Freiübungen neben dem Dauerlauf wieder einzurichten, wird gegen 1 Stimme angenommen. Es wird beschlossen vom 5.III. Morgens sofort nach dem Wecken noch vor dem Waschen einen Dauerlauf und in der "Dauerlaufpause" (10.45 - 11.00) wieder Freiübungen zu machen.

Punkt 13. Was soll geschehen bei Feuergefahr? Es wird festgesetzt, am nächsten Mittwoch die im Gartenstall stehende Feuerspritze auszuprobieren und eventuell wieder in Stand zu setzen. Ferner sollen Säcke mit Sand aufgestellt werden. Zum Schluß wird ein Antrag Blume, Wahle, das Lesen bei Licht im Bett zu verbieten, einstimmig angenommen, da diese weibische Angewohnheit für uns Scharfenberger unwürdig ist.

Anregungen: Als maßgebende Zeit in Scharfenberg gilt die von Rudolf Frey richtig zu stellende Uhr auf dem Vorraum.

Die Abendaussprache wird 9.15 geschlossen.

gez. nach Korrektur durch die Gemeinschaft (von Herrn Blume) [Anm. 1] Rolf Wernecke.


Anmerkungen::

Anm. 1:
Rolf Wernecke schrieb: "von Herrn Blume"; Blume klammerte dies ein und schrieb darüber: "durch die Gemeinschaft".



[Zum nächsten Protokoll]
[Zum Anfang "Protokolle der Abendaussprachen der Schulfarm Insel Scharfenberg 1922-1929/32"]
[Zum Anfang "Quellen zur Geschichte der Schulfarm Insel Scharfenberg"]