(Thio)Carbonyl Pseudohalogenide – Synthese, Spektroskopie und Reaktivität

Der Fokuspunkt der Forschung in dieser Dissertation war die Synthese und Charakterisierung (erster Teil), sowie die Reaktivität (zweiter Teil) von Carbonyldipseudohalogeniden (CDPsH). Die Kristallstrukturen von Carbonyldiisothiocyanat (CO(NCS)2) und Oxalyldiisothiocyanat ((CONCS)2) wurden ebenso wie...

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Pfeiffer, Jonathan
Beteiligte: Tambornino, Frank (Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2024
Schlagworte:
Online-Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Der Fokuspunkt der Forschung in dieser Dissertation war die Synthese und Charakterisierung (erster Teil), sowie die Reaktivität (zweiter Teil) von Carbonyldipseudohalogeniden (CDPsH). Die Kristallstrukturen von Carbonyldiisothiocyanat (CO(NCS)2) und Oxalyldiisothiocyanat ((CONCS)2) wurden ebenso wie ihre Hirshfeld Oberflächen und spektroskopischen Signaturen aufgeklärt. Diese Erkenntnisse erweitern das Wissen über Syntheseverfahren, Konformation und Packung der Moleküle im Festkörper von kleinen Molekülen. Des Weiteren wurde eine Konformationsanalyse in Kooperation mit der Arbeitsgruppe SCHNELL (DESY in Hamburg) von Carbonyldiisothiocyanat mittels chirped-pulse Fourier-Transformation Mikrowellenspektroskopie durchgeführt, in welcher ein syn-syn zu syn-anti Verhältnis von 10:1 beobachtet wurde. Das syn-syn Konformer existiert dabei wie ein Boson in den zwei Kernspinisomeren ortho und para. Darüber hinaus wurde die photochemisch induzierte Zersetzung von Oxalyldiisothiocyanat in einer festen Argon-Matrix mittels IR-Spektroskopie in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe WAGNER (Eberhard Karls Universität Tübingen) untersucht. Bei Bestrahlung mit UV Licht wird Kohlenstoffmonoxid abgespalten und Carbonyldiisothiocyanat in seinem energetisch höherliegendem syn-anti Konformer gebildet. Tempern der Matrix nach Bestrahlung bei erhöhten Temperaturen (30 K) führt zu einer Konformationsanderung zum stabileren syn-syn Konformer. Viele Syntheseversuche von CDPsH wie z,B. Carbonyldiselenocyanat oder Thiocarbonyldiisocyanat führten nicht zu isolierbaren Produkten. Carbonyldiselenocyanat (CO(SeCN)2) wurde möglicherweise in Lösung durch 13C-NMR-Spektroskopie bei einer chemischen Verschiebung von 185.3 ppm und 98.1 ppm beobachtet. Das erhaltene feste Produkt zersetzt sich jedoch oberhalb von −30 °C oder bei Solvatisierung. Aufgrund dessen wurde das alkylsubstituierte tert-Butylcarbonylisoselenocyanat (CO(NCSe)tBu) synthetisiert, um die Existenz von Carbonylselenocyanaten zu überprüfen. Die Verbindung konnte als festes Rohprodukt aufgrund Zersetzung während dem Entfernen des Lösungsmittels nicht isoliert werden. In Lösung ist die Verbindung jedoch handhabbar und kann mittels 13C-NMR-Spektroskopie mit Resonanzsignalen bei 171.4 ppm und 144.0 ppm detektiert werden. Die Synthese von Pseudohalogeniden mit Thiocarbonylgruppe wurde zuerst für Thiocarbonyldiisocyanat (CS(NCO)2) versucht. Es konnte auf den durchgeführten Wegen nicht erhalten werden, aber es wurde in der Zwischenzeit von HENNES GÜNTHER (Arbeitsgruppe TAMBORNINO) in Lösung beobachtet und ein definiertes Folgeprodukt mit Ethanol erzeugt. Die Synthese der anschließenden Verbindung Thiocarbonyldiisothiocyanat (CS(NCS)2) führte zur Isolierung von dem bekannten, wenn auch bisher schlecht charakterisierten, Thiocarbonyldithiocyanat (CS(NCS)2). Obwohl erstes das thermodynamisch stabilere Reaktionsprodukt ist, war es nicht möglich eine synthetische Herangehensweise, welche zu seiner Isolation führte, zu finden. DFT Rechnungen bestätigten, dass das kinetische Reaktionsprodukt Thiocarbonyldithiocyanat (CS(NCS)2) über einen niedrigeren Übergangszustand gebildet wird. Dessen Kristallstruktur wurde zusammen mit der des einfach substituierten Chlorthiocarbonylthiocyanats (CS(SCN)Cl) bestimmt. Dies resultiert in der sechsten bekannten Molekülstruktur von CDPsH. Zuletzt wurden Versuche zur Synthese von Thiocarbonyldiselenocyanat (CS(SeCN)2) unternommen, die zur möglichen Detektion durch 13C-NMR-Spektroskopie mit Resonanzsignalen bei 185.8 ppm und 103.2 ppm führte. Die Verschiebungen stimmen mit den Beobachtungen zum Syntheseversuch von Carbonyldiselenocyanat (CO(SeCN)2) überein und bekräftigen die oben genannten Schlussfolgerungen. Zum Abschluss des ersten Teiles wurden Oxalylchloridisothiocyanat (Cl(CO)2NCS) und Chlorcarbonylisothiocyanat (CO(NCS)Cl) synthetisiert. Im Verlauf der Synthese von Oxalylchloridisothiocyanat wurde ein Gleichgewicht von diesem und 2-Chlorothiazol-4,5-dion in Lösung festgestellt. Weitere Untersuchungen mit Einkristalldiffraktometrie und Schwingungsspektroskopie führte zu der Erkenntnis, dass nur letzteres im Festkörper vorliegt. Beide Verbindungen zersetzen sich in Lösung bei Raumtemperatur zu Chlorocarbonylisothiocyanat, welches genauer von SVEN RINGELBAND (Arbeitsgruppe TAMBORNINO) untersucht wurde. Der zweite Teil dieser Dissertation beschäftigt sich mit der Reaktivität von CDPsH. Carbonyldiisocyanat (CO(NCO)2) und Carbonyldiisothiocyanat (CO(NCS)2) reagieren mit Halogenwasserstoffen jeweils zu Carbonylbis(carbamoylhalogeniden) und halogensubstituierten 1,3,5-Thiadiazin-4-onen. Carbonyldiisocyanat addiert zwei Äquivalente des Nukleophils, wohingegen Carbonyldiisothiocyanat unter intramolekularem Ringschluss nur ein Äquivalent addiert. Die verschiedenen Reaktionspfade sind thermodynamisch gesteuert. Während Sauerstoff die Bildung von ex-Ring Doppelbindungen mit Kohlenstoff präferiert, bevorzugt Schwefel in-Ring Einfachbindungen zu bilden. Beide Verbindungsklassen zeigen im Festkörper ausgedehnte Netzwerke von Wasserstoffbrückenbindungen, welche im Detail anhand der Reaktionsprodukte zwischen Carbonyldiiso(thio)cyanat und Nukleophilen wie Alkoholen, Thiolen und Aminen erläutert wurden. N,N’-Carbonylbis(carbamate), -bis(S-thiocarbamate) und N,N’-Biscarbamoylharnstoffe werden jeweils in der Reaktion mit Carbonyldiisocyanat erzeugt. Alle Moleküle bilden eine intramolekulare und zwei intermolekulare Wasserstoffbrückenbindungen zur Bildung von Dimeren oder Ketten. Aus der Reaktion von Nukleophilen mit Carbonyldiisothiocyanat entstehen substituierte 1,3,5-Thiadiazin-4-one, die alle über intermolekulare Wasserstoffbrückenbindungen Dimere bilden. Dies steht im Gegensatz zu den Ketten bildenden halogensubstituierten 1,3,5-Thiadiazin-4-onen. Die weitere Packung der Moleküle aller Verbindungsklassen ist abhängig von der Größe der substituierten Gruppe, z.B. Methyl gegen Phenyl. Bei kleinen Alkylgruppen überwiegen polare Wechselwirkungen, während mit zunehmender Größe der Alkyl- oder Arylgruppe steigend unpolare Wechselwirkungen vorherrschen. Einige Nebenprodukte der Reaktionen von Carbonyldiisocyanat und Carbonyldiisothiocyanat mit Nukleophilen konnten isoliert und als z.B. Derivate der Isocyanursäure und des Biurets identifiziert werden. Diese konnten Hinweise auf mögliche reaktive Spezies in der Lösung während der Reaktion sein. Nukleophile Additionen von Organolithium-Verbindungen an Carbonyldiisocyanat wurden mit Methyllithium, tert-Butyllithium und Lithiummethanolat getestet, aber definierte Reaktionsprodukte wurden nicht erhalten. Es wird angenommen, dass die gebildeten Anionen zur Isolierung zu instabil sind, weshalb eine saure Aufarbeitung zur Protonierung dieser notwendig sein wird. Überraschend aufregend war das Ergebnis der Reaktion von Carbonyldiisocyanat mit Eisenbis(diisopropylphenyltrimethylsilylamid), in welcher eine Reaktion mit dem Liganden und die Kristallisation eines neuartigen Metallkomplexes erreicht wurde. Dieser neue Komplex mit einem substituiertem Biuret-Liganden und einem tetraedrisch koordiniertem Eisen ist der erste über den berichtet wird. Kristalle aus derselben Reaktion mit Cobalt oder Nickel, ebenso wie Carbonyldiisothiocyanat wurden nicht erhalten. Allerdings wurde ein äquivalenter Metallkomplex aus Nickel und Carbonyldiisothiocyanat durch Massenspektrometrie beobachtet. Dies beweist, dass die Reaktions- oder Kristallisationsbedingungen angepasst werden müssen, um mehr dieser Komplexe zu erhalten. Zukünftige Perspektiven dieser Dissertation sind zunächst in Kooperation das Rotationsspektrum von Carbonyldiisocyanat, das IR-Spektrum von Oxalylchloridisothiocyanat beziehungsweise 2-Chlorthiazol-4,5-dion in fester Argon-Matrix und deren Verhalten bei Bestrahlung mit UV Licht zu untersuchen. Des Weiteren sollte die Isolierung einer reinen Probe und die Charakterisierung der Festkörper von Carbonyldiselenocyanat und Thiocarbonyldiselenocyanat durch Filtration über eine gekühlte Schlenk-Fritte oder die Verwendung von anderen Losungsmitteln wie z.B. Dioxan möglich sein. Ein komplett neuer Ansatz wäre die Synthese ausgehend von (Thio)Harnstoff, Kohlenstoffdiselenid und Quecksilberchlorid. Darüber hinaus ist es lohnenswert einen Blick auf die fehlenden NMR spektroskopischen und Molekülstrukturdaten von Carbonyldicyanid (CO(CN)2), das in der Einleitung erwähnt wurde, zu werfen. Asymmetrische Carbonyldipseudohalogenide finden in dieser Dissertation keine Beachtung, obwohl Studien zu ihrer Synthese, Charakterisierung und Reaktivität das Wissen über Konformation und Kristallpackung von kleinen Molekülen deutlich verbessern würden. Abseits der Synthese von neuen Carbonylpseudohalogeniden ist auch die Untersuchung der Edukte Phosgen, Thiophosgen und Oxalylchlorid von Interesse. So sind bereits Experimente zur Neutronenbeugung an Phosgen und Thiophosgen am ISIS in Oxford geplant.
DOI:10.17192/z2024.0123