Spielräume oder „Spielwiesen“? Konflikte um die innergewerkschaftliche Repräsentation Jugendlicher, Frauen und ImmigrantInnen

Diese Dissertation fragt danach, inwieweit und unter welchen Bedingungen die Repräsentation unterdrückter sozialer Gruppen in Gewerkschaften dazu beitragen kann, Ungerechtigkeit unter Gewerkschaftsmitgliedern abzubauen und die Gewerkschaften insgesamt zu stärken. Beispielhaft wurde dazu die Repräsen...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Schwenger, Rosa
Beteiligte: Kurz-Scherf, Ingrid (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2023
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Diese Dissertation fragt danach, inwieweit und unter welchen Bedingungen die Repräsentation unterdrückter sozialer Gruppen in Gewerkschaften dazu beitragen kann, Ungerechtigkeit unter Gewerkschaftsmitgliedern abzubauen und die Gewerkschaften insgesamt zu stärken. Beispielhaft wurde dazu die Repräsentation von Jugendlichen, Frauen und ImmigrantInnen in der IG Metall von 1949 bis 2020 empirisch unter folgenden Fragestellungen untersucht: Welche Formen der Gruppenrepräsentation in der IG Metall gab es und inwieweit eigneten sie sich dazu, die IG Metall gerechter zu machen? Welche Faktoren begünstigten oder erschwerten eine Gruppenrepräsentation von Jugendlichen, Frauen und ImmigrantInnen, die die IG Metall gerechter und stärker macht? Im Rückgriff auf die Grounded-Theory-Methodologie werden Erkenntnisse aus Literaturarbeit und Empirie in einer neu entstehenden Theorie eng verzahnt. Die Erkenntnisse aus der Literatur werden zusammengetragen und systematisch auf den Forschungsgegenstand bezogen. Insbesondere werden das Konzept der sozialen Gruppen von Iris Marion Young und das Konzept der Entscheidungsprämissen von Niklas Luhmann erläutert und an Gewerkschaften angepasst. Empirische Befunde werden aus einer Untersuchung von Schriftquellen aus der IG Metall mittels der Grounded-Theory-Methodologie generiert, wobei die Protokolle von bundesweiten Personengruppenkonferenzen der IG Metall die Hauptquelle bilden. Auf diesem Weg werden die Konflikte um Gruppenrepräsentation innerhalb der IG Metall, deren Ursachen, AkteurInnen, Argumente und Strategien sowie Konsequenzen beleuchtet. Das Ergebnisse der Untersuchung lautet, dass Gruppenrepräsentation Gewerkschaften gerechter und stärker machen kann. Ob das gelingt, hängt allerdings von den konfliktiven Aushandlungsprozessen um ihre Ausgestaltung ab. In den in der IG Metall beobachteten Konflikten wurde austariert, wie groß die Spielräume für Jugendliche, Frauen und ImmigrantInnen waren, d. h. wie viel Einfluss sie hatten und wie selbstbestimmt sie arbeiten konnten. Diese Konfliktkonstellation ergibt sich aus dreierlei: Betrachtet man die Unterdrückungsachsen Alter, Geschlecht und Rassismus, stellt man fest, dass sich in Gewerkschaften sowohl Menschen organisieren, die entlang dieser Achsen unterdrückt sind (Jugendliche, Frauen, ImmigrantInnen), als auch Menschen, die privilegiert sind (Erwachsene, Männer, Deutsche). Deshalb ist in Gewerkschaften beides angelegt: den Unterdrückungsmustern entgegenzuwirken und sie zu reproduzieren. In welchem Verhältnis beides steht, wird gewerkschaftsintern verhandelt. 
 Die IG Metall hatte eine zentralistische Organisation mit vergleichsweise privilegierten sozialen Gruppen im Zentrum. Dieses unmarkierte Zentrum wandelt sich zwar, erweist sich aber als im Kern dominiert durch erwachsene männliche deutsche Normalarbeitnehmer, also von auf allen untersuchten Unterdrückungsachsen privilegierten Menschen. 
 Die unterdrückten sozialen Gruppen Jugendliche, Frauen und ImmigrantInnen waren als „Andere“ konstruiert und wurden in teilautonomen Strukturen mit festgelegten Zugehörigkeitskriterien außerhalb des Machtzentrums organisatorisch abgebildet. Die Größe ihrer Spielräume wurde von ihren Machtressourcen beeinflusst. Mit dem Bild von „Spielräumen oder Spielwiesen“ wird problematisiert, dass die Einbettung der institutionalisierten Gruppenstrukturen in die IG Metall durch anhaltende Kämpfe um ihre Ausgestaltung geprägt war. „Spielwiese“ (bei den Jugendlichen) steht genauso wie „Plätzchenrezeptaustauschbörse“ (bei den Frauen) und „bunte Folklore“ (bei den ImmigrantInnen) für ein Negativbild, mit dem die Angehörigen unterdrückter sozialer Gruppen die Einbindung ihrer Gruppenstruktur in die IG Metall als paternalistische Marginalisierung kritisierten. All diese Negativbilder werfen die AktivistInnen auf das Klischee ihrer Gruppe zurück, gleichzeitig schwingt etwas Positives mit, nämlich dass (mit nicht unbeträchtlichem Ressourcenaufwand) ein geschützter Raum mit Entfaltungsmöglichkeiten für die Gruppen bereitgestellt wird. Die Arbeit endet mit organisationspolitischen Empfehlungen an die IG Metall und andere Gewerkschaften und einem Katalog der Möglichkeiten für Menschen, die sich als Gruppenangehörige in Gewerkschaften marginalisiert fühlen.
DOI:10.17192/z2023.0662