Psychosozial bedingte Unterschiede in Kognitionsmustern von chronischen Schmerzpatienten mit und ohne arterieller Hypertonie – Implikationen für die Arzt-Patienten Interaktion Eine multizentrische, quantitative Studie im Querschnittsdesign

Die subjektive Wahrnehmung chronischer Schmerzerkrankungen ist ein komplexes Konstrukt. Dabei erfahren Patienten sowohl funktionelle Einschränkungen als auch psychische Belastungen im sozialen Zusammenleben. Die aktuellen Therapieempfehlungen umfassen neben medikamentösen Ansätzen auch multimodale S...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Naumann, Daniel Alexander
Beteiligte: Thieme, Kati (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2023
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Die subjektive Wahrnehmung chronischer Schmerzerkrankungen ist ein komplexes Konstrukt. Dabei erfahren Patienten sowohl funktionelle Einschränkungen als auch psychische Belastungen im sozialen Zusammenleben. Die aktuellen Therapieempfehlungen umfassen neben medikamentösen Ansätzen auch multimodale Schmerztherapiekonzepte. Zur Erforschung weiterer Therapien, richtet sich der wissenschaftliche Fokus zunehmend auf die Chronifizierung von Schmerzen. In vielen wissenschaftlichen Arbeiten werden neuroanatomische Strukturen im Zusammenhang mit neuronaler Plastizität erforscht, in denen bei sich wiederholender neuronaler Impulsaktivität eine Ursache zur Schmerzchronifizierung diskutiert wird. Hierzu zählt die Reflexschleife des in der Medulla oblongata befindlichen Nucleus tractus solitarii. Dieser moduliert, vermittelt über Fasern der CVLM und RVLM, neuronale Impulse der Blutdruckregulation und Schmerzwahrnehmung. In der Literatur wird für die kognitive Schmerzverarbeitung in der zur NTS-Reflexschleife angegliederten BRS eine Schlüsselrolle gesehen. In diesem Zusammenhang wurde in der Erforschung autonomer Schmerzreaktionen unter Stressexposition in einem Cluster von Fibromyalgiepatienten bei reduzierter BRS eine höhere Schmerzintensität und eine begleitende hypertone Kreislaufreaktion nachgewiesen. In weiteren Arbeiten wurde bei chronischen Schmerzpatienten Schmerzverhalten im psychosozialen Kontext durch das MPI-D erforscht. Hier wurde nachgewiesen, dass der Prozess der kognitiven Schmerzverarbeitung heterogen in drei Clustern ausgeprägt ist. Diese sind unterteilt in AC, DYS und ID als psychosoziale Subgruppen bei chronischem Schmerz in die Literatur eingegangen. Unter Anwendung des MPI-D in der zuvor erwähnten Studie von autonomen Stressreaktionen in Fibromyalgiepatienten, konnte lediglich in der psychosozialen Subgruppe DYS eine reduzierte BRS dargestellt werden. Diesen Erkenntnissen folgend, lässt sich vermuten, dass die NTS-Reflexschleife in Abhängigkeit der BRS bei chronischen Schmerzpatienten einer unbewussten heterogenen Modulierung unterliegt. Es ist davon auszugehen, dass operant erlernte Verhaltensmuster im Rahmen der psychosozialen Interaktion mit einer unterschiedlichen Impulsaktivität der BRS verknüpft sind. Infolgedessen richtet sich das Kerninteresse dieser Arbeit auf die Identifikation Subgruppen spezifischer-, unbewusster Lernprozesse als Ansatzpunkt individueller Therapieoptionen für chronische Schmerzen und deren vegetative Belgleitreaktionen. In einem multizentrischen Querschnittsdesign wurde eine Stichprobe (n=524), unterteilt in chronische Schmerzpatienten mit und ohne arterieller Hypertonie, jeweils mittels k-means Clusteranalyse in die drei Subgruppen AC, ID und DYS kategorisiert. Im Anschluss konnten nach varianzanalytischer Evaluation subgruppenspezifische Charakteristiken identifiziert- und mittels post-hoc Analyse auf Ebene der Subtests der Fragebögen verglichen werden. Abschließend wurden anhand korrelationsanalytischer Werte Mediationsanalysen zur Identifikation von Verhaltensmustern durchgeführt. Charakteristisch für AC zeigt sich ein niedriges Schmerzniveau bei hoher eigenständiger körperlicher Tätigkeit und erfahrener Unterstützung im sozialen Zusammenleben. Insbesondere die Selbsteffizienz und die Lebenskontrolle haben eine Schlüsselrolle im Umgang mit chronischem Schmerz als Teil einer eigenständigen und aktiven Auseinandersetzung inne. Gesundheitsförderliche und gesundheitsschädigende Verhaltensweisen können voneinander differenziert werden, was es ärztlich zu fördern gilt. Für DYS zeigt sich das höchste Maß an subjektivem Schmerz und Beeinträchtigung, bei gleichzeitig niedrigstem Niveau an schmerzbezogener Lebenskontrolle und körperlicher Aktivität. Bei Bestehen einer diffusen Krankheitstheorie mit unklarem Bewusstsein über die Entstehung der Krankheit, zeigt sich ein hohes Maß an Katastrophisierung und negativen Stressbewältigungsstrategien wie Resignation und Selbstbemitleidung mit positiven Korrelationen zu dysthymem und ängstlichem Verhalten. Die Ergebnisse lassen auf eine Schmerzfokussierung als Folge eines unbewusst erlernten Schmerzverhaltens schließen. Dies hat eine Aktivierung des Schmerznetzwerks und eine Unterlassung schmerzlindernder Aktivitäten zur Folge. Therapeutische Optionen werden, unter Einbezug und Aufklärung der Bezugspersonen, in der Abwendung von aktivierenden Impulsen des Schmerzgedächtnisses sowie psychologischer Psychotherapie gesehen. Für ID zeigt sich das niedrigste Maß an zuwendendem- und ablenkendem Partnerverhalten mit höchstem Aktivitätsniveau im Haushalt bei gleichzeitig niedriger Schmerzwahrnehmung. Positive Korrelationen zwischen bestrafendem Partnerverhalten und einer Aktivitätszunahme im Haushalt weisen im Zusammenhang mit wiederum positiven Korrelationen zu Resignation auf einen paradoxen Lernprozess hin. In Anlehnung an Erkenntnisse aus vorherigen Studien können interpersonell- beeinträchtigte Schmerzpatienten, durch die psychische und körperliche Einschränkung ihrer Bezugsperson, die Ursache einer zu geringen Zuwendung durch diese nicht einschätzen. Bestrafendes Partnerverhalten wird folglich nicht als solches wahrgenommen, wodurch Sie ihre aufgebrachte Fürsorge als vermeintlich unzureichend attribuieren. Durch diesen psychosozialen Lernmechanismus verausgaben sie sich im Alltag in den Zustand der Erschöpfung. Die in der Folge erfahrene Stressanalgesie ermöglicht eine adäquate Auseinandersetzung mit der eigenen Symptomatik erst in Phasen der Entspannung. Wir sehen Therapieoptionen in der kognitiv behavioralen Schmerztherapie zur langfristigen Umsetzung von gesundem Denken, Fühlen und Handeln. Für den Vergleich charakteristischer Merkmale zwischen den drei Subgruppen in cSoaH und cSmaH wurden keine relevanten Unterschiede nachgewiesen. Die Ergebnisse dieser Arbeit dienen zum besseren Verständnis von heterogenen Verhaltensmustern bei chronischen Schmerzerkrankungen und ordnen die Relevanz individueller Therapiekonzepte ein.
DOI:10.17192/z2023.0602