Zum initialen Einfluss des anterioren Führungswinkels von Oberkiefer-Äquilibrierungsschienen auf die mandibuläre Ruhelage und den minimalen inzisalen Sprechabstand

Die Gestaltung der Frontzahnführung ist klinisch bedeutsam, da sie unter Anderem den individuellen interinzisalen Freiraum definiert, in dem sich der Unterkiefer ohne Zahnkollisionen frei bewegen kann. Bei der Prätherapie von Craniomandibulären Dysfunktionen gilt die Äquilibrierungsschiene mit Fron...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Krug, Flavio
Beteiligte: Lotzmann, Ulrich (Prof.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2023
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Die Gestaltung der Frontzahnführung ist klinisch bedeutsam, da sie unter Anderem den individuellen interinzisalen Freiraum definiert, in dem sich der Unterkiefer ohne Zahnkollisionen frei bewegen kann. Bei der Prätherapie von Craniomandibulären Dysfunktionen gilt die Äquilibrierungsschiene mit Front-Eckzahn-Führung als Goldstandard. Je nach Länge, Kurvatur und Steilheilt der gewählten anterioren Führung kann der interinzisale Freiraum maßgeblich beeinflusst werden. Allgemein anerkannte Vorgaben hinsichtlich Länge, Neigung und räumlicher Ausformung der anterioren Führungsbahn von Aufbissbehelfen fehlen bislang. Änderungen der anterioren Führungsbahn und damit des individuellen interinzisalen Freiraums führen zwangsläufig zu einer veränderten kranialen Grenzführung der Mandibula und haben somit einen biomechanischen Effekt. Welchen neuromuskulären Einfluss Veränderungen der Frontzahnrelation auf nicht zahngeführte Unterkieferstellungen und -bewegungen ausüben, ist nicht ausreichend untersucht. Dies gilt insbesondere für die mandibuläre Ruhelage und den geringsten Abstand der Zähne bei der Lautbildung. Folgende Hypothesen wurden im Rahmen der vorliegenden Studie geprüft: • Bei einer Einschränkung des interinzisalen Freiraums durch artifizielle Versteilung der anterioren Führungsbahn kommt es zu einer dorsalen Verlagerung der mandibulären Ruhelage. • Die durch den Aufbissbehelf verursachte Sperrung der okklusalen Vertikaldimension führt bereits mit dem Einsetzen des Aufbissbehelfes zu einer Änderung der mandibulären Ruhelage. • Bei einer Einschränkung des interinzisalen Freiraums durch artifizielle Versteilung der anterioren Führungsbahn kommt es zu einer Veränderung des minimalen Sprechabstandes in dorsaler Richtung. • Mit Einsetzen des Aufbissbehelfes kommt es initial zu okklusalen Kontakten bei der Lautbildung.   An der Studie nahmen 13 weibliche und 8 männliche funktionsgesunde Testpersonen mit einem durchschnittlichen Alter von 25 Jahren teil. Weitere Einschlusskriterien waren eine stabile und interferenzfreie Okklusion mit Klasse I Verzahnung mit harmonischem Overbite und Overjet. Zur Prüfung der Hypothesen wurden für jede der 21 Testpersonen zwei bis auf die Steilheit der anterioren Führungsbahn nahezu identische Aufbissschienen hergestellt, wobei Variante S0 die patientenindividuelle Steilheit der Frontzahnführung enthält, Variante S2 eine um 15° steilere. Als Bestandteile des mandibulären Bewegungsmusters wurden am Unterkiefer die Parameter Ruhelage und deren Adaptation sowie aus phonetischer Sicht die Anpassung des engsten Sprechabstandes während der ersten Stunde Tragezeit der jeweiligen Testschiene untersucht. Die Bewegungsmuster des Unterkiefers wurden während einer Stunde Tragezeit zu definierten Zeitpunkten (T0-T60, ∆t=10 min) mithilfe der Magnetkinesiographie (K7) bestimmt. Hierfür wurde ein Registriermagnet (Gewicht 2 g, Abmessungen 4 x 5 x 2 mm) an den Labialflächen der unteren Inzisiven ohne okklusale Interferenzen reversibel befestigt. Der Lippenschluss blieb durch diesen Magneten nahezu unbeeinflusst. Die Messungen erfolgten mithilfe eines Sensorbogens, welcher am Kopf der Testperson angelegt wurde. Mögliche Veränderungen der Unterkieferpositionen mit oder ohne Testschienen wurden in der Sagittal-Vertikal-Ebene dokumentiert und auf Abweichungen in der vertikalen (y-Achse) und sagittalen Achse (x-Achse) in Bezug zur Frankfurter Horizontalen (FH) geprüft. Die K7-Magnetkinesiographie erlaubt systembedingt die Erfassung nur eines Messpunktes und kann daher nicht die räumliche Position des Unterkieferkörpers in den drei Raumachsen und damit die Bewegung der Kondylen verfolgen. Durch die K7-Aufzeichnung im Bereich des Inzisalpunktes lassen sich Rückschlüsse auf die Verlagerung der Kondylen in den Gelenken in Sagittal- und Vertikalebene ziehen, da diese Punkte durch den Mandibularknochen gekoppelt sind. Je näher die registrierte Unterkieferlage an der ebenfalls aufgezeichneten retral forcierten Öffnungsbahn liegt, desto geringer ist der Translationsanteil in der Kondylenbewegung. Unterkieferpositionen, die posterior der habituellen Öffnungsbahn liegen, lassen auf eine verstärkte Aktivität der Retraktoren schließen. Mit der Hypervalenz der Retraktoren geht eine ungünstige Dorsalkippung des Kraftvektors in den Kiefergelenken einher. Für die statistische Auswertung wurde eine Power von 80% sowie ein Signifikanzniveau von 5% zugrunde gelegt. Falls die untersuchten Zielgrößen nicht einer Normalverteilung entsprachen, wurde als nichtparametrischer Test der WILCOXON-Test für Paardifferenzen verwendet. Aufgrund der Datenanalysen muss die Hypothese, dass es bei einer Einschränkung des interinzisalen Freiraums durch artifizielle Versteilung der anterioren Führungsbahn zu einer dorsokaudalen Verlagerung der mandibulären Ruhelage kommt, verworfen werden. Die eingenommene Ruhelage mit Testschiene S0 (patientenindividuelle Steilheit der anterioren Führung) und Testschiene S2 (15° Versteilung der anterioren Führung) befand sich während je einer Stunde Tragezeit in unmittelbarer Nähe der habituellen Öffnungsbahn. Eine verstärkte Aktivität der Retraktoren und daraus resultierende dorsokranial gerichtete Kraftvektoren im Kiefergelenk können somit ausgeschlossen werden. Für beide Schienenvarianten mit einer vertikalen Anhebung von 4,5 mm stellte sich sofort nach Eingliederung eine mittlere vertikale Ruhelage von 0,81 mm für Testschiene S0 und 1,00 mm für Testschiene S2 ein. Es kam bei keiner Testperson hierbei zu Zahnkontakt. Damit kann die Hypothese, dass die durch den Aufbissbehelf verursachte Sperrung der okklusalen Vertikaldimension bereits mit dem Einsetzen des Aufbissbehelfes zu einer Änderung der mandibulären Ruhelage führt, angenommen werden. Die Hypothese, dass es bei einer Einschränkung des interinzisalen Freiraums durch artifizielle Versteilung der anterioren Führungsbahn zu einer Veränderung des minimalen Sprechabstandes in dorsokaudaler Relation kommt, muss abgelehnt werden. Es kann im Mittel zu keinem Zeitpunkt eine signifikante Abweichung des mit der jeweiligen Schiene in situ eingenommenen Sprechabstandes von der habituellen Öffnungsbahn festgestellt werden; die durchschnittlichen Positionen für den Sprechabstand befanden sich zu allen Zeitpunkten in der Umgebung der habituellen Öffnungsbahn. Bei Tragen der Schiene S2 wurde durchschnittlich eine minimal weiter anterior liegende Position eingenommen. Zu keinem Zeitpunkt kam es beim Einnehmen des engsten Sprechabstandes zu Zahnkontakt, auch nicht direkt nach erstmaligem Eingliedern der Schienen. Damit muss die Hypothese, dass es mit Einsetzen des Aufbissbehelfes initial zu okklusalen Kontakten bei der Lautbildung kommt, verworfen werden.
DOI:10.17192/z2023.0445