Bildung im Mathematikunterricht. Lehrkunst im Dialog mit Heymann. Komposition, Erprobung und Interpretation von zwei Lehrstücken mit Blick auf ihre Bildungsqualität: "Das Nichtabbrechen der Primzahlfolge" und "Mit Tartaglia die kubische Gleichung lösen".

Die Verwendung der Bildungsbegriffe, die im Bestreben um eine differenzierte Beurteilung des Beitrags eines Faches oder einer Domäne an die Bildung eines Menschen herbeigezogen werden, ist oft uneinheitlich. Im ersten Teil dieser Arbeit werden deshalb die Bildungsbegriffe «Bildung», «Allgemeinbildun...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Spindler, Philipp
Beteiligte: Berg, Hans Christoph (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2022
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Die Verwendung der Bildungsbegriffe, die im Bestreben um eine differenzierte Beurteilung des Beitrags eines Faches oder einer Domäne an die Bildung eines Menschen herbeigezogen werden, ist oft uneinheitlich. Im ersten Teil dieser Arbeit werden deshalb die Bildungsbegriffe «Bildung», «Allgemeinbildung», «Bildungspotential», «Bildungsgehalt» und «Bildungswert» unter Berücksichtigung der Arbeiten Wolfgang Klafkis, Hans Werner Heymanns und Otto Willmanns herauspräpariert und verschiedenen Betrachtungsebenen des Bildungsgeschehens zugeordnet. Betrachtet wird im Folgenden der Mathematikunterricht. Um ein Prüfkriterium für einen authentischen und dem Fachlichen gerecht werdenden Mathematikunterricht zu schaffen, wird mit der Mathemaion-Skizze erstmalig ein Modell vorgestellt, das die Mathematik als Gesamt aus Kernbereichen beschreibt, die mit spezifischen Werkzeugen bearbeitet und in eine für die Mathematik charakteristische Form gebracht werden, dabei stets einen Zweck erfüllend. Mit diesem Modell können Bildungspotential und -gehalt von Mathematikunterricht zum Gegenstand eines rationalen Diskurses gemacht werden. Um den Bildungsgehalt einer mathematischen Unterrichtseinheit beurteilen zu können, werden die kategoriale Planungstabelle von Hans Christoph Berg und Wolfgang Klafki sowie ein eigens entwickelter Katalog der Grunderfahrungen und -einsichten herbeigezogen. Auf der Ebene des Bildungspotentials der Mathematik helfen die sieben Aufgaben einer allgemeinbildenden Schule von Hans Werner Heymann (2013). Didaktische Konzepte müssen sich jedoch konkretisieren, um in Form von Bildungsprozessen an die Lernenden heranzutreten. Es ist deshalb unabdingbar, konkrete Unterrichtseinheiten hinsichtlich ihrer bildenden Wirkung zu untersuchen. Die Lehrkunstdidaktik verfolgt das Ziel, in Lehrstücken wesentliche Errungenschaften und Durchbrüche der Wissenschaft und Kultur in die Klasse zu bringen und dabei kategorialen Aufschluss, Bildungsgehalt und Bildungswert in der Tradition Klafkis im Auge zu behalten. Es ergibt deshalb Sinn, solche Unterrichtsexempel hinsichtlich ihrer bildenden Wirkung zu untersuchen. Im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit wird das Konzept der Lehrkunstdidaktik entwickelt und ausführlich erläutert. Zwei Lehrstücke - sorgfältig fachlich aufbereitet, kompositorisch erläutert, in Unterrichtsberichten beschrieben und hinsichtlich ihrer Lehrkunstkonformität analysiert - bilden den Mittelteil der Arbeit. Es handelt sich hierbei um das Lehrstück «Das Nichtabbrechen der Primzahlfolge», welches auf Vorlagen von Wagenschein (1949), Werner (1995), Brüngger (2004) und Gerwig (2013) zurückgreift und nach einem Optimierungsprozess in einer neuen Version vorgestellt wird. Das neukomponierte Lehrstück «Mit Tartaglia die kubische Gleichung lösen» re-inszeniert das mathematische Duell um Nicolo Tartaglia und Antoniomaria Fior 1535 in Venedig und macht mit der Lösungsformel für einen speziellen Typ der kubischen Gleichung und der späteren Erfindung der komplexen Zahlen zwei Sternstunden der Mathematikgeschichte erlebbar. Im letzten Teil der vorliegenden Arbeit werden die vorgestellten und neuentwickelten Instrumente und Modelle angewendet. Heymanns Aufgaben der allgemeinbildenden Schule, um die Aufgabe «Ermöglichen von ästhetischen Wahrnehmungserfahrungen» ergänzt, helfen beim Einschätzen des Bildungspotentials und des Bildungsgehaltes von Mathematikunterricht sowie vom Lehrstückunterricht im Allgemeinen und von den zwei Lehrstücken im Speziellen. Es zeigt sich, dass der Lehrstückunterricht in der Dimension «Entfaltung des Menschlichen» besonders wirkungsvoll ist und auch der Dimension «Befähigung zur Erkenntnis» genügen kann. Die zwei vorgestellten Lehrstücke ermöglichen überdies vielfältige Gelegenheiten für ästhetische Wahrnehmungserfahrungen und machen zahlreiche Wesenszüge der Mathematik transparent, wie ein Abgleich mit dem Mathemaion-Modell aufzeigt. Auf der Ebene des Bildungsgehaltes vermag der Katalog der Grunderfahrungen und -einsichten der Mathematik den Reichtum der durch die Lehrstücke geförderten fundamentalen Erfahrungen herauszupräparieren. Es wird auch offensichtlich, dass die beiden Lehrstücke einen mannigfaltigen kategorialen Aufschluss bieten. Eine kleine, am Primzahlen-Lehrstück durchgeführte Studie liefert Indizien für eine besondere Wirkung der Unterrichtseinheit in denjenigen Aufgaben, die einen Beitrag zur Entfaltung des Menschlichen leisten.
Umfang:565 Seiten
DOI:10.17192/z2023.0236