Soziale Landwirtschaft in Deutschland – Eine qualitative Untersuchung der Strukturen und Prozesse

In den letzten Jahrzehnten hat sich in den ländlichen Gebieten Deutschlands ein Wandel vollzogen. Nicht nur, dass die Lebensmittelproduktion durch mehr Ökolandbau und kleine Betriebe nachhaltiger geworden ist, sondern auch der soziale Aspekt wurde in jüngster Zeit in die Landwirtschaft integriert. I...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Diconne, Sophie
Beteiligte: Hassler, Markus (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2022
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:In den letzten Jahrzehnten hat sich in den ländlichen Gebieten Deutschlands ein Wandel vollzogen. Nicht nur, dass die Lebensmittelproduktion durch mehr Ökolandbau und kleine Betriebe nachhaltiger geworden ist, sondern auch der soziale Aspekt wurde in jüngster Zeit in die Landwirtschaft integriert. In diesem Zusammenhang haben immer mehr Landwirte ihre Höfe und ihre Arbeit für andere Menschen geöffnet, was zur Entstehung der Sozialen Landwirtschaft geführt hat und sie kennzeichnet. Auf diesen Höfen werden verschiedene Gruppen aufgenommen: Menschen mit verschiedenen Behinderungen oder Krankheiten wie Demenz oder Autismus, alte und junge Menschen, die benachteiligt oder ausgegrenzt sind. Auch Drogenabhängige und Straftäter können von den sozialen Höfen profitieren. Aufgrund der sehr individuellen Herangehensweise und Motivationen der Landwirte ist jeder Hof auf seine eigene Weise strukturiert bzw. organisiert und unterscheidet sich von anderen. Sie lassen sich jedoch in drei Grundtypen einteilen: (1) privat geführte Höfe, (2) Höfe, die in eine soziale oder kirchliche Einrichtung eingebettet sind, (3) Höfe, die eine Kooperation mit einer Werkstatt für behinderte Menschen eingehen. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, wie Belgien, den Niederlanden und Großbritannien, ist der Forschungsstand in Deutschland weit zurück. Bekannt ist, dass die Arbeit im Bereich der Sozialen Landwirtschaft für Menschen mit Assistenzbedarf hilfreich ist, da sie neue Erfahrungen sammeln, sich sicher fühlen und neue Herausforderungen und Arbeiten bewältigen können. Darüber hinaus ist bekannt, dass die Umwelt positive Auswirkungen auf diese Menschen im Allgemeinen hat. Bislang wurden Sozialbauernhöfe grob nach ihren jeweiligen Zielen, nicht aber nach ihren strukturellen Merkmalen kategorisiert. In Deutschland gibt es nur wenige wissenschaftliche Informationen sowohl über die strukturellen als auch über die finanziellen Aspekte von Sozialen Höfen, weshalb eine detaillierte, umfassende Studie über Soziale Landwirtschaft erforderlich ist. Aus den genannten Gründen ist es das Ziel dieser kumulativen Dissertation, auf der Grundlage bisheriger wissenschaftlicher Untersuchungen in Kombination mit einer persönlichen Recherche neue Erkenntnisse über die Soziale Landwirtschaft in Deutschland zu gewinnen. Der Fokus liegt zum einen auf den innerbetrieblichen Strukturen, zum anderen auf den Finanzierungsprozessen, der Ausbildung des Personals, der lokalen Vernetzung der integrierten Gruppe in ihrer Homogenität sowie dem Nutzen von Mensch-Tier-Interaktionen. Darüber hinaus werden die sozialen, individuellen und umweltbezogenen Faktoren der Sozialen Landwirtschaft sowie die Motivation der Landwirte analysiert. Um Strukturen und Prozesse ganzheitlich zu analysieren, werden theoretische Ansätze des bisher Erforschten als Grundlage herangezogen. Aus diesem Grund wurden zunächst der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Forschung und einige Konzepte wie Tiergestützte Therapie, Ökosystemdienstleistungen und die anthropologische Landwirtschaft untersucht. Zur Gewinnung der Forschungsergebnisse wurden 27 qualitative Interviews durchgeführt. Die Experteninterviews liefern die Datenbasis und Ergebnisse, um Zusammenhänge, Prozesse und Strukturen herauszuarbeiten. Zu diesem Zweck wurden verschiedene Akteure der Sozialen Landwirtschaft mit Hilfe eines Leitfadens befragt. Um umfangreiche Informationen aus den jeweiligen Transkriptionen zu erhalten, wurden diese sorgfältig sortiert und kodiert. Die Ergebnisse der drei Forschungsarbeiten lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, wie z.B. Belgien oder den Niederlanden, findet in Deutschland keine Tiergestützten Therapie auf sozialen Höfen statt. Dies liegt daran, dass weder die Tiere noch die meisten Fachkräfte (insbesondere bei den privaten Landwirten) eine entsprechende spezifische Ausbildung für die Therapie absolviert haben. Dennoch können die Interaktionen als tiergestützte Aktivitäten bezeichnet werden. Diese Mensch-Tier-Beziehung hat positive Auswirkungen auf die Entwicklung der hilfsbedürftigen Menschen. 2. So erwerben sie durch die Arbeit mit Nutztieren neue Kompetenzen, die sich in folgende drei Gruppen einteilen lassen: emotionales Lernen, motorisches Lernen und soziales Lernen: Die Arbeit mit Tieren organisiert nicht nur den Tagesablauf der integrierten Menschen, sondern bringt auch eine gewisse Ruhe in ihr Leben und wirkt als Katalysator für ein besseres Zusammenleben mit anderen Menschen. 3. Bestimmt Kombinationen von Mensch und Tier können vorteilhaft sein. 4. Die Motivation und die Ziele der Betriebsleiter sind hauptsächlich auf ihre - meist anthroposophische - Einstellung zurückzuführen und umfassen vier Bereiche: Die Gesellschaft, die Umwelt, die Mitmenschen und der eigene Betrieb. Wichtig für alle vorgenannten Bereiche ist die Einbeziehung sowie die Förderung der Akzeptanz der schwächeren Mitmenschen in einen nachhaltigen (Lebens-)Raum, in dem 5. nicht nur die unterstützenden, sondern auch die kulturellen Leistungen werden gefördert, die Teil der Ökosystemleistungen sind. 6. Betriebe, die Soziale Landwirtschaft praktizieren, weisen nicht nur unterschiedliche Strukturen auf, sondern auch eine unterschiedliche Finanzierung, je nach Art der Konstitution. Während kleine, privat organisierte Betriebe einen hohen Finanzierungsanteil durch die von ihnen angebauten Produkte haben, sich durch einen langsamen Einstieg in die Soziale Landwirtschaft auszeichnen und meist peripher gelegen sind, finanzieren sich die in eine Organisation eingebetteten Betriebe meist durch Pflegesätze oder soziale Leistungen und sind im stadtnahen Bereich zu finden. Zudem ist auf diesen sozialen Höfen die Zahl der integrierten Personen und die Anzahl der verschiedenen Fachkräfte höher als auf kleinen, privat organisierten Betrieben, weshalb dort gezielt entwicklungsfördernde Maßnahmen durchgeführt werden (können). Ein Zusammenhang zwischen der Konstitutionsart und der Struktur des integrierten Personenkreises sowie der Arbeitszeit und dem Vorhandensein einer Wohngemeinschaft wurde nicht festgestellt. Für die Zukunft ist es wichtig, kleine Höfe als Betreuungsort anzuerkennen und landesweit durch Gesetze und staatliche Hilfen zu fördern, damit sie erhalten werden können, da sie viele Potenziale versprechen.
Umfang:167 Seiten
DOI:10.17192/z2023.0082