Chemoanatomische Charakterisierung der Innervation der Gingiva unter dem Einfluss experimenteller Gingivitis in verschiedenen Altersgruppen

Die Parodontitis, eine multifaktoriell bedingte, entzündliche Erkrankung des Zahnhalteapparates, stellt neben Karies die Hauptursache für Zahnverlust bei Erwachsenen dar und entsteht überwiegend auf dem Boden mikrobieller Plaqueansammlung. Zudem scheinen Änderungen der vaskulären Strukturen und Funk...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Werner, Rebecca
Beteiligte: Weihe, Eberhard (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2022
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Die Parodontitis, eine multifaktoriell bedingte, entzündliche Erkrankung des Zahnhalteapparates, stellt neben Karies die Hauptursache für Zahnverlust bei Erwachsenen dar und entsteht überwiegend auf dem Boden mikrobieller Plaqueansammlung. Zudem scheinen Änderungen der vaskulären Strukturen und Funktionen nicht nur bei der Entstehung und Pathogenese entzündlicher Erkrankungen einschließlich parodontalen Entzündungen eine wichtige Rolle zu spielen, sondern auch für post-inflammatorische Regenerationsprozesse von großer Bedeutung zu sein. Als Regulator von Durchblutung und Gefäßfunktion ist die vasomotorische Innervation in anderen Geweben und Organen wie beispielsweise der Haut schon lange im Fokus wissenschaftlichen Interesses. Der genaue Phänotyp der vaskulären Innervation humaner Gingiva wurde bisher jedoch nur unzureichend charakterisiert. Ebenso wenig liegen detaillierte Daten zur möglichen Veränderung der Innervation entzündlicher Gingiva vor. Ziel der vorliegenden Arbeit war es, unter validen, kontrollierten Bedingungen die lokale monoaminerge, cholinerge und sensible Innervation auf chemoanatomischer Ebene in parodontal gesunden Probanden (n=14; 18-77 Jahre) mittels immunhistochemischer Methoden zu analysieren, mögliche Veränderungen des Phänotyps bei zunehmender Entzündung in zwei verschiedenen Altersgruppen aufzuzeichnen und diese miteinander zu vergleichen. Jedem Patienten wurden jeweils zwei maxilläre Gingivabiopsien entnommen; die erste Probe wurde zur Baselineuntersuchung aus klinisch gesunder Gingiva exzidiert, die zweite, nachdem die plaqueinduzierte experimentelle Gingivitis hervorgerufen und der Entzündungszustand anhand klinischer Parameter bestätigt worden war. Immunreaktionen gegen spezifische Marker der peripheren Transmittersysteme wurden in beiden Serien untersucht und kombinatorische Immunreaktionsmuster mit Hilfe von Doppelfluoreszenz-Komarkierung und konfokaler Laserscanmikroskopie visualisiert. Als Marker dienten Antikörper gegen die für die verschiedenen Innervationstypen jeweils charakteristischen Proteine: i) den vesikulären Monoamintransporter 2 (VMAT2), die katecholaminsynthetisierenden Enzyme Tyrosinhydroxylase (TH), L-Dopa-Decarboxylase (DDC) und Dopamin-ß-Hydroxylase (DBH) und den peptidergen Kotransmitter Neuropeptid Y (NPY) für noradrenerg, sympathische Nerven, ii) den vesikulären Acetylcholintransporter (VAChT), Cholin-Acetyltransferase (ChAT) und die peptidergen Kotransmitter Vasoaktives intestinales Polypeptid (VIP) und Peptide Histidine-Methionine (PHM) für cholinerg, parasympathische Nerven und iii) Calcitonin gene-related Peptid (CGRP) und Substanz P (SP) für sensible Nerven. Es konnte erstmals gezeigt werden, dass identische Blutgefäße in der Gingiva gleichzeitig von sympathischen VMAT2+/TH+/DDC+, parasympathischen VAChT+/ChAT+/VIP+ und sensiblen CGRP+/SP+ Nerven innerviert werden. Innerhalb der einzelnen Fasern gab es jedoch keinen Hinweis auf eine katecholaminerg-cholinerge Kolokalisation. Diese Beobachtungen waren in allen Gruppen konsistent. Abgesehen von einer sig. Reduktion von TH-ir, perivaskulären Fasern in der tiefen Lamina propria und für NPY in perivaskulären, papillären Fasern sowie in nonvaskulären Fasern, die bei steigendem Alter beobachtet wurden, gab es keine altersabhängigen Veränderungen in gesunder Gingiva. Inflammationsbedingt konnte in beiden Altersgruppen eine reziproke Plastizität der sympathischen gegenüber der cholinergen Innervation ermittelt werden. Darüber hinaus verhielt sich die Dichte beider Innervationstypen bei zunehmender Entzündung in Gingivabiopsien älterer Patienten invers zu denen junger Probanden. Während die Zahl sympathischer Nerven in jungen Patienten mit steigendem Entzündungsgrad sig. abfiel und unter gleichen Bedingungen in den Proben älterer Studienteilnehmer stieg, zeigte die cholinerge Innervation ein dazu inverses Reaktionsbild, sig. steigend in jungen und sinkend in älteren Patienten. Die Dichte sensibler Nerven stieg in beiden Altersgruppen mit zunehmender Entzündung, wobei sig. Veränderungen vordergründig für CGRP-positive Fasern zu beobachten waren. Die Zahl SP-ir Fasern nahm allein perivaskulär in der tiefen Lamina propria älterer Probanden sig. zu und zeigte ansonsten nur einen steigenden Trend. Die Daten deuten auf eine mögliche neurovaskuläre Beteiligung an der Regulation immunmodulatorischer Prozesse hin, die auf der Koinnervation identischer Gefäße durch voneinander getrennte noradrenerge, cholinerge und sensible Fasern beruht. Außerdem scheinen sich die antientzündlichen Signal-wege zwischen jungen und älteren Patienten zu unterscheiden, was mit einer veränderten neuronalen Verteilung und Immunantwort einhergeht. Aufgrund der pleiotropen vasoregulatorischen und immunmodulatorischen Eigenschaften von Noradrenalin, Acetylcholin und der Neuropeptide ist es wahrscheinlich, dass diese Dreifach-Gefäßinnervation sowie die non-vaskuläre Innervation eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Gingivitis und Parodontitis spielen.
Umfang:207 Seiten
DOI:10.17192/z2022.0281