Wie lässt sich die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Traumafolgestörungen verbessern? Ansatzpunkte zur Reduktion der Science-Practitioner-Gap

Psychische Störungen, die infolge traumatischer Ereignisse auftreten, sogenannte Traumafolgestörungen, betreffen viele Kinder und Jugendliche in Deutschland und gehen mit einer starken Beeinträchtigung der Betroffenen sowie ihrer Familien einher. Zugleich erhält nur ein geringer Anteil der betroffen...

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Main Author: Szota, Katharina
Contributors: Christiansen, Hanna (Prof. Dr.) (Thesis advisor)
Format: Doctoral Thesis
Language:German
Published: Philipps-Universität Marburg 2022
Subjects:
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Description
Summary:Psychische Störungen, die infolge traumatischer Ereignisse auftreten, sogenannte Traumafolgestörungen, betreffen viele Kinder und Jugendliche in Deutschland und gehen mit einer starken Beeinträchtigung der Betroffenen sowie ihrer Familien einher. Zugleich erhält nur ein geringer Anteil der betroffenen Kinder und Jugendlichen in Deutschland eine evidenzbasierte Psychotherapie (EBP). Die Identifikation und Behandlung von Traumafolgestörungen ist mit einigen Herausforderungen aufseiten der Psychotherapeut:innen verbunden. Diese betreffen unter anderem ihr Wissen, ihr Kompetenzerleben sowie ihre Einstellungen gegenüber EBP, einschließlich Befürchtungen bei der Durchführung einer solchen. In dieser kumulativen Dissertationsschrift werden fünf Studien vorgestellt, die sich mit Ansatzpunkten zur Verbesserung der Dissemination und Implementation evidenzbasierter Behandlungen von Traumafolgestörungen auseinandersetzen. Sie erlauben erste Schlussfolgerungen, wie sich die Versorgung von betroffenen Kindern und Jugendlichen verbessern lässt. Die erste Publikation bietet basierend auf einer systematischen Literaturrecherche einen Überblick über die aktuelle Forschungslage zur Sexualentwicklung von Kindern und Jugendlichen mit sexuellen Gewalterfahrungen. Insgesamt wurden 127 Studien mit Kindern und Jugendlichen zwischen 2 und 21 Jahren eingeschlossen, die von 1985 bis 2019 publiziert wurden. Sie untersuchen acht Bereiche der Sexualität: Sexuelles Risikoverhalten (k = 58), Teenagerschwangerschaften (k = 30), Sexualstraftaten (k = 26), Überzeugungen und emotionale Reaktionen in Bezug auf Sex (k = 17), sexuelle Verhaltensauffälligkeiten (k = 16), sexuell übertragbare Krankheiten (k = 11), Prostitution (k = 5) und körperliche Symptome (k = 3). Die Studienlage ist insgesamt nicht konsistent und es besteht weiterer Forschungsbedarf. Im Hinblick auf sexuelles Risikoverhalten, Teenagerschwangerschaften und Sexualstraftaten lässt sich sexuelle Gewalt als Risikofaktor identifizieren. Die zweite Publikation untersucht den Einfluss sexueller Gewalterfahrungen auf das sexuelle Risikoverhalten von Kindern und Jugendlichen. Die Metaanalyse umfasst 19 Studien mit Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 19 Jahren. Der durchschnittliche Anteil weiblicher Teilnehmerinnen der Studien liegt bei 77.4 %. Betroffene von sexueller Gewalt weisen ein erhöhtes Risiko für Teenagerschwangerschaften (k = 10), eine größere Anzahl von Sexualpartner:innen (k = 5) und die Beteiligung an Prostitution (k = 3) auf. Kein Gruppenunterschied zeigt sich hinsichtlich des Alkohol- und Drogenkonsums während des Geschlechtsverkehrs (k = 4) und der Kondomnutzung (k = 4). Die Ergebnisse stützen die Annahme, dass sich bereits im Kindes- und Jugendalter ungünstige Auswirkungen sexueller Gewalterfahrungen auf einige Formen sexuellen Risikoverhaltens zeigen. Die dritte Publikation befasst sich mit der Effektivität von psychotherapeutischen Interventionen für Kinder und Jugendliche mit Traumafolgestörungen, die Bezugspersonen in die Behandlung einbinden. Die Metaanalyse zielt auf die Identifikation von Moderatoren für die Effektivität von Interventionen mit Bezugspersonen. Potenzielle Moderatoren waren das Alter und Geschlecht, die Symptomatik und Symptomausprägung der Kinder und Jugendlichen, die Art des traumatischen Ereignisses, die Intensität und das Setting der Einbindung von Bezugspersonen sowie die Beziehung der Bezugspersonen zu den Kindern und ihre eigene Psychopathologie. Auf Grundlage einer systematischen Literaturrecherche wurden 44 Artikel eingeschlossen, die 19 unterschiedliche Interventionen mit 3 845 Kindern und Jugendlichen zwischen 1 und 18 Jahren untersuchen. In die quantitative Analyse wurden k = 33 Studien eingeschlossen. Es zeigt sich eine größere Effektivität von Interventionen mit Bezugspersonen verglichen mit Kontrollbedingungen für Symptome von Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), Depressionen und Angststörungen im Selbstbericht sowie internalisierende Symptome im Elternbericht. Zwölf Monate nach Beendigung der Behandlung findet sich nur für selbstberichtete PTBS-Symptome eine signifikante Effektstärke. Aufgrund fehlender Angaben können nicht alle potenziellen Moderatoren untersucht werden. Für einzelne Symptombereiche begünstigt eine größere Anzahl Studienteilnehmender mit weiblichem Geschlecht (PTBS und internalisierende Symptome) und erfüllten Diagnosekriterien (selbstberichtete PTBS, depressive und Angstsymptome) größere Effektstärken zugunsten der Interventionen mit Bezugspersonen. Die vierte Publikation untersucht die Rolle des therapeutischen Kompetenzerlebens im Umgang mit Kindern und Jugendlichen mit Gewalterfahrungen und Traumafolgestörungen für das konfrontative Vorgehen, die Einbindung von Bezugspersonen in die Behandlung, die Belastung durch eine sekundäre Traumaexposition und das Interesse an Fortbildungen. Hindernisse einer routinemäßigen Traumaexploration und einer Inanspruchnahme von Fortbildungen werden in der Online-Umfrage zusätzlich erfragt. Insgesamt wurden 323 Psychotherapeut:innen und Psychiater:innen für Kinder und Jugendliche rekrutiert. Über eine abgeschlossene Approbation verfügen 61.3 % der Teilnehmenden und 46.9 % dieser approbierten Fachkräfte haben zusätzlich eine traumaspezifische Qualifikation absolviert. Das Kompetenzerleben ist positiv mit einem konfrontativen Vorgehen und der Einbindung von Bezugspersonen in die Behandlung und negativ mit der beruflichen Belastung assoziiert. Zu dem Fortbildungsinteresse zeigt sich kein signifikanter Zusammenhang. Organisatorische Aspekte wurden am häufigsten als Barrieren der Inanspruchnahme von Fortbildungen genannt. Unter den meistgenannten Hindernissen einer routinemäßigen Exploration von Gewalterfahrungen und Traumafolgestörungen waren Befürchtungen einer Suggestion und einer Belastung der Kinder und Jugendlichen. Die fünfte Publikation stellt die Übersetzung und psychometrische Untersuchung der Evidence-based Practice Attitude Scale (EBPAS-36, deutsche Version: EBPAS-36D) dar. Zudem wird die Faktorenstruktur des Originalverfahrens überprüft und mit zwei Faktorenstrukturen zweiter Ordnung verglichen. Die prädiktive Validität der EBPAS-36D zur Vorhersage der Intention zum Einsatz von EBP wird erfasst. Zusammenhänge zu soziodemografischen sowie beruflichen Daten und dem Implementationsklima der Organisation bzw. des Gesundheitssystems werden untersucht. Die Angaben von 599 ärztlichen und psychologischen Psychotherapeut:innen für Erwachsene und für Kinder und Jugendliche wurden analysiert. Die psychometrischen Eigenschaften der EBPAS-36D sind zufriedenstellend. Die Reliabilität der Gesamtskala beträgt α = .89, die der 12 Subskalen liegt zwischen α = .65 und α = .89. Die Faktorenstruktur des Originalverfahrens lässt sich in der deutschen Stichprobe replizieren. Die Faktorenstrukturen zweiter Ordnung weisen einen noch besseren Modellfit auf. Die EBPAS-36D erlaubt die Vorhersage der Intention zum Einsatz von EBP über das Alter, Geschlecht und die Arbeit in der Wissenschaft hinaus. Teilnehmende weiblichen Geschlechts, jüngeren Alters, in Ausbildung und in Organisationen mit positivem Implementationsklima berichten positivere Einstellungen gegenüber EBP. Es zeigt sich kein Zusammenhang der Einstellungen gegenüber EBP zum Implementationsklima des Abrechnungs- und Gesundheitssystems.
Physical Description:172 Pages
DOI:10.17192/z2022.0095