Veränderungen des Skelettmuskels bei Tumorkachexie Morphologische, metabolische und Genexpressions-Analyse des humanen Musculus rectus abdominis
Das komplexe Syndrom der Tumor-assoziierten Kachexie, ein ungewollter Verlust an Muskel- (und Fett-) Masse, stellt eine onkologische Herausforderung dar: Es mindert die Lebensqualität und kann zum Verlust von Mobilität und z.B. über eine Insuffizienz der Atemmuskulatur schließlich zum Tod führen....
Gespeichert in:
1. Verfasser: | |
---|---|
Beteiligte: | |
Format: | Dissertation |
Sprache: | Deutsch |
Veröffentlicht: |
Philipps-Universität Marburg
2020
|
Schlagworte: | |
Online-Zugang: | PDF-Volltext |
Tags: |
Tag hinzufügen
Keine Tags, Fügen Sie den ersten Tag hinzu!
|
Zusammenfassung: | Das komplexe Syndrom der Tumor-assoziierten Kachexie, ein ungewollter Verlust an Muskel-
(und Fett-) Masse, stellt eine onkologische Herausforderung dar: Es mindert die Lebensqualität
und kann zum Verlust von Mobilität und z.B. über eine Insuffizienz der Atemmuskulatur
schließlich zum Tod führen. 20% aller Karzinompatienten versterben an der Tumorkachexie,
dennoch ist sie weder befriedigend mechanistisch aufgeklärt noch therapeutisch gezielt
beeinflussbar. Studien an humanen Gewebeproben, insbesondere an der Skelettmuskulatur,
sind im Gegensatz zu solchen an Zellkulturen und Tiermodellen rar und noch wenig eindeutig.
Das Pankreaskarzinom stellt als Malignom mit der massivsten und raschesten
Kachexieentwicklung das klinisch eindrücklichste Beispiel dar. Ziel dieser Arbeit war es daher, in
Skelettmuskelbiopsien von Patienten mit Pankreaskarzinom zum Zeitpunkt der ersten
Operation, Kachexie-assoziierte Veränderungen der Muskelfaser-Morphometrie, der
Konzentration metabolisch wichtiger Aminosäuren, sowie der Expression proinflammatorischer,
-angiogenetischer, -atrophischer und -apoptotischer Signale auf RNA- und
Proteinebene zu untersuchen. Hierzu dienten intraoperativ gewonnene Skelettmuskelbiopsien
des Musculus rectus abdominis von 36 Patienten mit histologisch bestätigtem duktalen
Pankreaskarzinom. Die Patienten-Gruppe mit Kachexie (N=16) wurde mit der derjenigen ohne
Kachexie (N=22, Kontrollgruppe) verglichen, wobei Kachexie definiert wurde als ungewollte
Gewichtsabnahme von mindestens 10% innerhalb der letzten 6 Monate. In Kryoschnitten der
Muskelbiopsien wurden mittels ATPase- Färbung die Muskelfasergröße, -dichte, -komposition,
mittels CD31-Färbung die Kapillarkontakte und mittels Hämalaun-Färbung die zentralisierten
Zellkerne erfasst. Darüber hinaus wurde die Konzentration von 26 intrazellulären Aminosäuren
mittels HPLC bestimmt und die relative Expression von 29 Genen via qRT-PCR sowie 102 Gene
auf Proteinebene in Probenpools mittels Protein-Array untersucht.
Entgegen der Erwartung konnte bei Kachexie im Vergleich zur Kontrolle keine signifikante
Abnahme der Muskelfasergröße (bzw. Zunahme der –dichte) im Sinne einer Atrophie
beobachtet werden. Eine Kachexie-assoziierte Hochregulierung muskelspezifischen E3-Ligasen
des Ubiquitinsystems TRIM63 und FBXO32 als Proteolyse-Marker fehlten ebenso wie eine
signifikant erhöhte Expression der pro-apoptotische Signale BAX und CASP3. Jedoch konnte eine
2,32-fach erhöhte Protein-Expression des Fas-Liganden, sowie eine signifikant geringere RNAExpression
des antiapoptotischen BCL2 (0,49-fach, p=0,028) gemessen werden. Ein insgesamt
um 5% (p=0,085) und innerhalb des Muskelfasertyps I um 7% signifikant (p=0,031) erhöhter
Faseranteil mit zentralisierten Zellkernen könnte dabei auf eine gesteigerte Muskelregeneration
hinweisen ohne mit erhöhter PAX7-Expression assoziiert zu sein. Als wichtigster neuer Befund
konnte eine signifikant um 20% (p=0,022) erniedrigte intrazelluläre Konzentration der
proteinanabol und antiproteolytisch wirksamen Aminosäure Leucin mit Korrelation zum
Gewichtsverlust (p=0,046) gezeigt werden. Bei 1,782- und 1,822-fach erhöhter Expression der
transmembranären Transporter SNAT2 (p=0,013) und LAT1 (p=0,072) blieb die Ursache des
intrazellulären Leucinmangels jedoch unklar, zumal das extrazelluläre Leucin-Angebot mangels
Blutproben nicht bestimmt werden konnte.
Hinweise auf ein pro-inflammatorisches Milieu bei Kachexie im Vergleich zu Kontrollen ergaben
sich anhand einer signifikant erhöhten Expression von CD68 (1,48-fach, p=0,040) als Zeichen auf
eine Makrophagen-Infiltration, sowie einer signifikant verminderter Expression von der für
Synthese und Reduktion des Antioxidans Glutathion wichtigen GCS (0,831-fach, p=0,036) und
GSR (0,657-fach, p=0,026). Zugleich zeigten sich im Protein-Array folgende Entzündungsfaktoren
erhöht: IL1β (1,41-fach), IL6 (1,50-fach), IL8 (1,48-fach), TNF (1,87-fach), Interferon-y (1,14-fach),
CRP (1,55-fach) und IL32 (3,03-fach). Die mRNA Expression von IL1β, IL6, IL8, und TNF war
dagegen nicht-signifikant erhöht. Die mRNA Expression der Monoaminooxidasen als möglicher
Quelle von oxidativem Stress zeigte ein uneinheitliches Bild, sie war bei MAOA 0,19-fach
(p=0,030) dagegen bei MAOB 1,4-fach (p=0,047) verändert. Zudem zeigten sich um 33%
vermehrte Kapillarkontakte der Muskelfasern (p=0,097) und auf Proteinebene ein Trend zu proangiogenetischen
Signalen: VEGF war 1,30-fach, Angipoietin-1 2,07-fach, Angiopoietin-2 1,77-
fach erhöht und PF4 0,16-fach supprimiert bei unveränderten Genexpression von VEGFA, VEGFB
und KDR.
In der Zusammenschau dieser neuen Daten zum humanen Skelettmuskel bei Tumorkachexie
kann festgestellt werden, dass zu einem frühen, präatrophischen Zeitpunkt der Kachexie, Leucin,
als wesentliches anaboles Signal, intrazellulär signifikant erniedrigt ist. Zugleich besteht ein
inflammatorisches Milieu einhergehend mit einem Trend zur Angioneogenese und vermutlich
gesteigerter Muskelregeneration. Diese frühe metabolische und inflammatorische Störung im
noch nicht atrophierten Skelettmuskel dürfte als möglicher Präventions- und Therapieansatz der
Tumorkachexie relevant sein. Für weiterführende klinische Studien wurden in der vorliegenden
Arbeit Zeitfenster und Parameter einer „Myositis-Phase“ innerhalb des Kachexieprozesses
identifiziert. |
---|---|
Umfang: | 187 Seiten |
DOI: | 10.17192/z2020.0260 |