Ordoliberalismus und Gerechtigkeit: Zum Verhältnis von Eucken und Kant
Der Ordoliberalismus insgesamt und speziell in der Variante von Eucken ist für die moderne Wirtschaftsethik von grosser Bedeutung. So wird von vielen Wirtschaftsethikern zu Recht immer auch die Wirtschafts‐ bzw. Gesellschaftsordnung oder allgemeiner die Rahmenordnung als ein „Ort“ der Moral geseh...
Sábháilte in:
Foilsithe in: | MAGKS - Joint Discussion Paper Series in Economics (Band 48-2009) |
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Príomhchruthaitheoirí: | , |
Formáid: | Arbeit |
Teanga: | Gearmáinis |
Foilsithe / Cruthaithe: |
Philipps-Universität Marburg
2009
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Ábhair: | |
Rochtain ar líne: | An téacs iomlán mar PDF |
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Achoimre: | Der Ordoliberalismus insgesamt und speziell in der Variante von Eucken ist für die moderne
Wirtschaftsethik von grosser Bedeutung. So wird von vielen Wirtschaftsethikern zu Recht immer
auch die Wirtschafts‐ bzw. Gesellschaftsordnung oder allgemeiner die Rahmenordnung als ein „Ort“
der Moral gesehen, ob nun zur Moralimplementierung wie bei Homann oder zur Moraldurchsetzung
wie bei Ulrich. Beide Ansätze – und natürlich auch andere wichtige Ansätze der Wirtschaftsethik –
setzen sich daher mit dem Ordoliberalismus und der Sozialen Marktwirtschaft intensiv auseinander.
Das soll und kann hier nicht weiter vertieft werden. Im Folgenden wollen wir unsere Ausführungen
kurz zusammenfassen, indem wir sie in Bezug zu Peter Ulrichs Kritik am Ordoliberalismus Euckens
setzen, wie er sie in seiner „Integrativen Wirtschaftsethik“ entfaltet.
Ulrich teilt die Wirtschaftsethik grundsätzlich in eine korrektive, funktionale und integrative Variante
ein und ordnet die ordoliberale Konzeption Euckens „bestenfalls“ dem korrektiven Ansatz zu.98 Diese
Einschätzung ist einerseits zutreffend, andererseits aber ergänzungswürdig ist. Zutreffend ist sie
insofern, dass Eucken in der Tat seine regulierenden Prinzipien als Korrektur der Marktergebnisse,
die auf Basis der konstituierenden Prinzipien eintreten, betrachtet. In zweierlei Hinsicht geht Euckens
Ansatz jedoch über eine korrektive Wirtschaftsethik hinaus: Zum einen betrachtet Eucken die
konstituierenden und regulierenden Prinzipien als einen Zusammenhang. D. h. die regulierenden
Prinzipien greifen nicht ad hoc in den Wirtschaftsprozess ein, wenn dieser unerwünschte Ergebnisse
zeigt, sondern sie sind Bestandteil der Ordnungspolitik selbst und antizipieren damit in einem
gewissen Sinn manche Schwächen der Wettbewerbsordnung. Zum anderen, und das stand im
Mittelpunkt unserer Ausführungen, gründet Eucken seine ordnungspolitische Konzeption vor allem
auf Kant, der für ihn eine Legitimationsgrundlage bietet. Insofern ist der eher pauschale Vorwurf zum
Teil unberechtigt, dass „die Ordoliberalen […] die systematisch ungenügende und unzeitgemässe
politisch‐philosophische Fundierung“ nie wirklich reflektiert hätten. Eucken verfügte über fundierte
philosophische Kenntnisse, war mit den wichtigsten philosophischen Richtungen von der Antike bis
zu seiner Zeit vertraut und kannte insbesondere das Kantsche Werk recht genau. Aber vielleicht war
Kant alleine nicht mehr zeitgemäss. Nur zu Euckens Zeit gab es kaum Alternativen. Die Politische
Philosophie bzw. normative Gerechtigkeitstheorie lag darnieder und es wurde vom „Tod der
politischen Philosophie“ gesprochen. Die intensive moderne und damit zeitgemässe politischphilosophische
Diskussion setzt erst ca. 20 Jahre nach Euckens Tod ein, und es wäre sicher spannend
zu diskutieren, wo Eucken sich hier einordnen (lassen) würde.
Ein weiterer Punkt betrifft die Frag der sozialen Gerechtigkeit bei Eucken. Wie in den obigen
Ausführungen deutlich geworden ist, erkennt Eucken „nicht nur die Sinnhaftigkeit eines über
Tauschgerechtigkeit hinausgehenden Konzeptes von sozialer Gerechtigkeit an, er sieht den Hauptteil
der Lösung des Gerechtigkeitsproblems gerade durch die geeignete ordnungspolitische Gestaltung
des Wettbewerbsprozesses gesichert“. Was aber heisst das? Ist es, wie Ulrich vermutet, ein
Rückfall „in altes neoklassisches Denken“? Für Eucken jedenfalls muss man das verneinen.
„Ordnungspolitische Gestaltung des Wettbewerbsprozesses“ bezieht sich eben auf die
Gesamtordnung, und die Wettbewerbsordnung ist nur ein Teil davon, wenn auch ein wichtiger oder
sogar der wichtigste. Oben ist aber auch deutlich geworden, dass für Eucken die Wettbewerbspolitik
alleine nicht ausreicht, um alle sozialen Probleme zu lösen. Dabei gilt Euckens Sorge immer dem
Personsein (innere Freiheit) und der (äusseren) Freiheit des Menschen. Beides zu schützen ist für ihn
Aufgabe der Ordnungspolitik, und zwar durch Integration der Wirtschafts‐ und Sozialpolitik; letztere
ist „weder für noch gegen den Markt, sondern eine Sozialpolitik, die als Sozialpolitik mit dem Markt
konzipiert ist“. Dabei ist sich Eucken sehr bewusst, dass z. B. der Arbeitsmarkt angebotsseitig ein
anomales Verhalten zeigt und sieht darin durchaus ethische Probleme (Lohndruck, Kinderarbeit,
gefährliche Arbeitsbedingungen, Rationalisierung etc.). Und so ist es nicht ganz zutreffend, wenn
Ulrich auch in Bezug auf Eucken schreibt, dass sich Ordo‐ und Neoliberale darin einig zu sein
scheinen, dass sich „aus einem funktionierenden Markt selbst vermeintlich keine ethisch‐normativen
Probleme [ergeben], auch nicht auf dem Markt der ‚Einkommensbildung‘ (also dem
Arbeitsmarkt)“. Natürlich sieht Eucken eine erste Lösung bzw. Abschwächung der Problematik
darin, die ordnungspolitischen Prinzipien des Wettbewerbs durchzusetzen. „Wenn sich trotzdem das
Angebot auf einem Arbeitsmarkt nachhaltig anomal verhalten sollte, würde die Festsetzung von
Minimallöhnen akut werden.“
Auch der Verdacht eines „Demokratiedefizits der ordoliberalen Ordnungsethik“ kann sich in Bezug
auf Eucken nicht erhärten. Ganz im Gegenteil würde Eucken einem Kantschen, aus dem Rechtsbegriff
abgeleiteten Republikanismus aus der Friedensschrift zustimmen, der auch für den „republikanischen
Liberalismus“ der integrativen Wirtschaftsethik ein Bezugspunkt ist. Danach unterscheidet Kant Form
und Art der Regierung. Die Form ist „entweder republikanisch oder despotisch“ und die Art bezieht
sich auf die Anzahl der Personen, die die Staatsgewalt innehaben (Monarchie, Aristokratie,
Demokratie). Entscheidender ist aber, dass Eucken die Zustimmungsfähigkeit aller zur Ordnungspolitik, also den vereinigten Willen von Kant, aufnimmt. Dies kommt zwar nur an ganz
wenigen Stellen vor, aber dort spricht Eucken davon, dass die Ordnung von allen „bejaht“ werden
können muss bzw. sollte, und nimmt damit ein deliberatives Moment auf.
Weiterhin teilt Eucken nicht das „szientistische Selbstverständnis der Mainstream Economics als
‚wertfreie‘ Wissenschaft“. Im Gegenteil distanziert er sich im Rahmen der „Grundsätze“ hier von
Max Weber und sieht die Aufgabe der Ökonomie darin, zu den normativen Zielen der Politik Stellung
zu nehmen und diese Stellungnahme auch als eine normative auszuweisen. „Diese bewusste
Gestaltung der Ordnungen wälzt dem wissenschaftlichen Denken eine neue Verantwortung zu.“
Eucken geht es um die Freiheit des einzelnen Menschen, und zwar nicht nur um die
Handlungsfreiheit, sondern auch um die moralische Freiheit, die Autonomie oder Willensfreiheit.
Dazu stützt er sich vor allem auf Kant. Er geht aber insofern über Kant hinaus, dass er immer auch die
faktische, wirkliche bzw. reale Freiheit der Menschen mit einbezieht und dieser durch seine
Ordnungstheorie zur praktischen Durchsetzung verhelfen möchte. Dabei kommt der
Wettbewerbsordnung eine ganz entscheidende Rolle zu, weil sie nach Eucken sowohl dem System
des Laissez faire wie auch dem der Planwirtschaft überlegen ist. Aber die Wettbewerbsordnung ist
eben nicht alles und sie ist nur insoweit gerechtfertigt, wie sie den übergeordneten Zielen dient. |
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Cur síos fisiciúil: | 24 Seiten |
ISSN: | 1867-3678 |
DOI: | 10.17192/es2024.0029 |