Protokoll der 86. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. VII, o.S.

[Datum: , ...09.1928 - Protokollant: Ludwig Knoll]


Zur musikalischen Umrahmung spielte Bernd Bauer ein Thema und eine Variation von Mozart. Unmittelbar nach der Einleitung kam Schipkus auf das Hauptthema des Abends, die Aufgaben des Ausschusses. Er meinte, diese seien bei manchen, namentlich bei den Neuen, die seinerzeit keinen Ausschuß vorgefunden hatten, unklar. Es gelte für den Ausschuß einmal die Meinung der Gemeinschaft über seine Aufgaben kennenzulernen. Herr Dr. Moslé betonte, daß der Ausschuß kein Amt mit Dienstvorschriften sei, daß er sich aber auf die Erwartungen der Gemeinschaft einstellen müsse. Herr Dr. Radvann bezweifelte die Notwendigkeit des Ausschusses überhaupt: Teutenberg warf ein, daß die Notwendigkeit des Ausschusses durch die letzte Abstimmung ja bewiesen sei. Dr. Moslé sagte, daß die Abstimmung über die Notwendigkeit des Ausschusses zweckmäßiger wäre, nachdem man sich über seine aufgaben klar geworden sei. Samter verneinte die Möglichkeit, die Aufgaben des Ausschusses klar abzugrenzen: er machte ihm das ständige "Auf-der-Wacht-Sein" zur Aufgabe. Dr. Ackermann erkundigt sich nach der Tradition des Ausschusses. Schipkus erwähnt die Stelle, die die Chronik über den Ausschuß bringt; er hätte sie aber nicht verlesen, weil in einer anderen Zeit möglicherweise andere Ansichten über den Ausschuß herrschen könnten. "Das Bewegliche und stets im Wandel Begriffene der Schulfarm ist unser Stolz", sagte Dr. Moslé. Deshalb war auch er dagegen, daß die betreffende Chronikstelle schon vor der Debatte verlesen würde [Anm. 1]. Teutenberg wies darauf hin, daß nach seiner Ansicht sich in den Ausführungen Dr. Moslés Widersprüche fänden, denn einmal solle der Ausschuß kein Beamter mit Dienstvorschriften sein, andrerseits aber wolle man seine Pflichten scharf umgrenzen. Dr. Moslé weist ihn zurück und sagt, es handle sich nicht eigentlich darum, die Pflichten des Ausschusses wirklich scharf zu umgrenzen, sondern

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darum, daß die Gemeinschaft die Auffassung des jetzigen Ausschusses kennt, und der Ausschuß weiß, ob sich seine Auffassung mit der der Gemeinschaft deckt. Herr Dr. Moslé nennt als konkretes Beispiel die Frage, wie sich der Ausschuß zu Balgereien in einem Schlafsaal stellen soll. Samter bejaht das Eingreifen. Dr. Moslé bittet auch die Roten als die Künftigen der Scharfenberger Gemeinschaft sich zu äußern. A. Schmoll meint, daß der Ausschuß an sich stets zur Stelle sein solle, da er das aber nicht könne, sollte es Leute geben, die eingreifen, ohne Ausschuß zu sein. Teutenberg hält es für die Aufgabe des Ausschusses, den Betreffenden das Unrechte ihres Benehmens klarzulegen. Grütz weist darauf hin, daß der Ausschuß die Autorität von der Gemeinschaft habe, kraft seiner Persönlichkeit einzugreifen. Dann nennt Dr. Moslé als zweites Beispiel die Tatsache, daß beim Transport eines Möbelstückes die Schubladen erbrochen und Näschereien genommen worden seien. Solle der Ausschuß hier eingreifen? Bobs Teutenberg bejaht es und sagt, der Fall sei gemeiner Diebstahl, das Objekt sei gleichgültig. Dr. Moslé sagt jetzt, darauf hätte er gerade gewartet. Er sei [sich] zu gut, um Detektiv zu spielen. Solche Dinge sollten vom Leiter oder unter uns erledigt werden. Wenn der Täter aber selbst kommt, um Hilfe zu bitten, dann sei es Aufgabe des Ausschusses, Rat zu erteilen und bis zum äußersten Verschwiegenheit zu üben. Der Ausschuß sei eine Art Vertrauensstellung und sei nicht für Zuträgereien zu haben. Teutenberg wendet ein, nicht der Leiter solle das Nötige einleiten, sondern der Ausschuß solle eben den Betreffenden Vorhaltungen machen. Samter hält den Ausschuß mehr für den Helfer der Gemeinschaft als für den Einzelnen. Dr. Moslé hält es für eine Gefahr, daß sich die Gemeinschaftsmitglieder nicht um dergleichen kümmern, wenn der Ausschuß darin seine Hauptaufgabe sieht. Er sieht den Ausschuß als den Zentralpunkt aller derjenigen an, die an der Förderung Scharfenbergs interessiert sind. Jeder sei in dem alten Sinne Ausschuß. Dann liest Schipkus die den Ausschuß betreffende Chronikstelle vor [Anm. 2]. Dort werden als die Hauptaufgaben gekennzeichnet: Aufstellung der Tagesordnung, Vermeiden von Reibungen, Aufbau einer

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zuständigen Tradition, mehr Beratung als Aufsicht. Einige drücken ihr Einverständnis mit dieser alten Formulierung aus. Dr. Radvann findet in dieser Form einen Widerspruch: einmal seien bestimmte, einmal unbestimmte Funktionen verlangt. Nach seiner Meinung handle es sich darum: entweder einen Ausschuß mit festgelegten Pflichten oder gar keiner. Teutenberg hält die alte unbestimmtere Form für gut. A. Schmoll vergleicht den Ausschuß mit den vielen zu ungut gewählten Kommissionen, die dazu da zu sein schienen, die Gemeinschaft von ihrer Verantwortung zu entheben. Wenn aber jeder sich als Ausschuß fühle sei kein Ausschuß nötig. Moslé sagt darauf, so sei auch seiner Ansicht nach der Ausschuß aufzufassen: Jeder trägt bei, einer sammelt. Weiter erwähnt er vergleichsweise die Zeit seiner englischen Gefangenschaft, in der es für die Internierten die Hauptsache war, miteinander auszukommen. In Scharfenberg aber seien ganz anders freie Verhältnisse; also sei es nicht nur nötig, das Leben möglichst bequem zu gestalten; man müßte ein bestimmtes Wollen, ein gestecktes Ziel haben, und auch das sei Aufgabe des Ausschusses. Dann dringt Teutenberg trotz verschiedener Einwände auf Abstimmung über den Antrag auf Abschaffung des Ausschusses. Dieser wird gegen 3 Stimmen abgelehnt [Anm. 3].

Dann kommt man zu den Anfragen und Anregungen. Im Auftrage der Gärtnergruppe fragt Marnitz, ob eine Gruppe das Recht habe, von sich aus ein Mitglied auszustoßen, das wohl Lust zur Arbeit, aber nicht die genügenden Fähigkeiten habe. Er fordert die Malergruppe auf, ihre Gründe zu nennen. G. Wendt als Führer hält es für zwecklos, Unfähige mitzuschleppen. Fleig betont die zum Malen nötigen besonderen Fähigkeiten, wie sie bei den anderen Gruppen weniger benötigt würden. A. Schmoll erinnert daran, daß kein Meister vom Himmel gefallen sei, und wir hier eben lernen

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sollen. Fleig erwidert, die Maler seien zu der Einsicht gekommen, daß es unmöglich wäre, H. Bernstein etwas beizubringen. Marnitz bittet, den Namen Bernstein nicht mehr zu nennen. Herr Scheibner bekennt sich im Wesentlichen zu Schmolls Ansicht, aber im Augenblick sei keine Zeit, Lehrlinge anzulernen. Samter schlägt vor, ihn unter diesen Verhältnissen eine Weile nicht zu beschäftigen. Die Fähigkeiten seien keineswegs entscheidend. Wenn man nichts lehren könne, so sei das nichts als ein schlechtes Zeugnis für die Maler. Teutenberg hält die Malergruppe für nichts Besonderes. Er führt weiter aus, daß, wo die richtige Lust vorhanden sei, und wo man die geeignete Arbeit zuteilt, auch immer befriedigende Ergebnisse erzielt werden könnten. Nach verschiedenen Einwendungen fährt er fort, daß beim Beschluß der Gruppeneinteilung darauf geachtet worden sei, daß der Wechsel der Gruppenzugehörigkeit schwierig und nur unter Zustimmung des Ausschusses möglich sei; damit sei also eine Änderung seitens der Gruppe ausgeschlossen. Moslé hält mehr das selbstständige Lernen, Samter mehr das gegenseitige Helfen für den Zweck der Gruppen. Bestehorn sagt, daß doch die meiste Lust in der selbst gewählten Gruppe zu erwarten sei. Endlich schließt die Debatte und läßt abstimmen. Der Antrag, die Gruppe habe von sich aus kein Recht, ein Mitglied auszustoßen, wird gegen 4 Stimmen angenommen.

Dittberner bittet dann darum, wegen seiner Jugendweihe später kommen zu dürfen. Weenen bittet, man möge, da derartige Fälle jedes Jahr zur Diskussion kämen, die Sache systematisch zu erledigen und das 2. Stundenpaar als Termin anzusetzen. Der Antrag wird angenommen.

Dr. Radvann bittet um besseres Benehmen im nördlichen Neubauschlafsaal und bittet das Gröhlen, die Unordnung und die Holzpantinen in Zukunft abzustellen.

Littmann erwähnt die schadhaften Holzhausstühle, jedoch verweist H. Wagner diesen Punkt der Abendaussprache. Heinrichsdorff

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bittet alle, die in Zukunft für einen sorgfältigen Wetterdienst verantwortlich sein wollen, einen Zettel zu unterschreiben.

Dann spielt Bernd Bauer den musikalischen Ausklang.

Ludwig Knoll.


Anmerkungen::

Anm. 1:
Protokoll der 05. Abendaussprache vom 14.06.1922.

Anm. 2:
Protokoll der 05. Abendaussprache vom 14.06.1922.

Anm. 3:
Vgl.: Aus dem Leben der Schulfarm Insel Scharfenberg. Bilder, Dokumente, Selbstzeugnisse von Eltern, Lehrern, Schülern, red. von Wilhelm BLUME, in: Das Werdende Zeitalter. Eine Monatsschrift für Erneuerung der Erziehung, Jg. 7 (1928), S. 329-404, hier S. 377.



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