Protokoll der 87. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. VII, o.S.

[Datum: Mi, 05.11.1928 - Protokollant: Heinrich Bernstein]


Zur Einleitung spielen Bauer und Kujack einen Teil einer Sonate von Sitt.

Schipkus geht zum ersten Punkte der Tagesordnung, einem Antrag auf Änderung der Stimmrechtsverleihung, über. Bevor dieser jedoch verlesen und diskutiert wird, berichtet Herr Moslé über die vorangegangene Arbeitsgemeinschaft, die die Interessenten an der Ausgestaltung unserer Gemeinschaft vereinigte. Man habe dort die Meinung von Vertretern aller Altersstufen gehört und sei einstimmig zu der Ansicht gekommen, daß das Stimmrecht weder eine Belobigung noch eine Strafe bedeute und durchaus nicht als persönliches Werturteil zu gelten habe, sondern nur sagen wolle, daß der Betreffende zu uns paßt. Hierauf nimmt Herr Richter, der Antragsteller, das Wort und verliest den obengenannten Antrag. --- Er beginnt seine Ausführungen mit einem Überblick über die verschiedenen Modi der Stimmrechtsverleihung, indem er von dem Probevierteljahr ausgeht. Hierauf folgte ein Probejahr, das den damals neu Hinzutretenden die Möglichkeit geben sollte, sich langsam einzuleben, und während dessen, je nach der Abstimmung der Stimmberechtigten, mehrere Male gewählt wurde. Richter wendet sich nun gegen die letzte Art der Verleihung, die Ostern beschlossen worden war, nach der außer einer Endabstimmung nur auf Anträge über einzelne abgestimmt werden sollte. Er gibt hierfür zwei Gründe an. I. bedeutet für ihn dieser Modus ein unerquickliches Hausieren und II. kann das zum Antrage nötige Drittel weder eine Gruppe noch eine Richtung von Scharfenbergern darstellen. Es erscheint ihm auch durchaus möglich, Unterschiede zwischen den einzelnen Neuen zu machen. Als Gründe für seinen Antrag führt er an, daß durch das Vorbild derer, die das Stimmrecht eher erhielten, den anderen leichter ein Weg gewiesen sei. Auch sieht er die Möglichkeit, sich der Scharfenberger Lebensform anpassen zu können, während bei einmaliger Abstimmung der Kandidat vor vollendete Tatsachen gestellt werde. Er schließt, daß sein Antrag nur nützen könne, wenn die Verantwortlichkeit für das Stimmrecht und das Verstehen der Sonderstellung Scharfenbergs vorhanden seien. Nachdem sich nach mehrminütiger Pause kein Widerspruch erhebt, nimmt Herr Richter wieder das Wort und betont, daß sein Antrag die Frage, wie oft und wann die Wahl stattfinden solle, offen gelassen habe. Die Abstimmung ergibt, daß man sich fast einstimmig für den Antrag erklärt. H. Wagner erinnert an den Vorsatz, aus Rücksicht gegen die Neuen, nur einmal abzustimmen. Samter kommt auf die Termine zu sprechen, indem er Bedenken äußert, daß der Verfassungstag zu früh sei. Fiebig erklärt, daß die Zahl der Wahlen vorerst bestimmt werden müss. Richter schlägt trotzdem vor, drei Zeitpunkte zu beschließen, und zwar den Verfassungstag, nach Weihnachten, vor Ostern, und zwar in der ersten Märzwoche. Nachdem man hiermit einverstanden ist, bemerkt Herr Glasenapp, daß nach Weihnachten im Zeitraum zum Verfassungstag zu fern, zur Osterabstimmung zu nah liege und schlägt vor, Mitte November die 2te Wahl zu veranstalten, was angenommen wird. Ein Antrag Samter, sofort abzustimmen, wird von Herrn Moslé wie auch der ganzen Gemeinschaft abgelehnt.

Zum 2ten Punkte: Anfragen und Anregungen fragt Bestehorn, wo denn die Landwirtschaftsberichte bleiben, woraufhin Glasenapp die Landwirte vergeblich auffordert, zu antworten. Blume beantragt, einen neuen Uhrwart zu wählen, da der bisherige sein Amt nicht zur Zufriedenheit ausgeführt habe, was dieser in langem Hinundhergerede bestreitet. Man entsetzt ihn jedoch seines Amtes und man wählt von den folgenden Vorgeschlagenen: Marnitz, H. Wendt, Grütz, E. Meyer den letzteren. Glasenapp bittet darum, nicht über die wertvollen Rüben- und Kartoffelmieten Kabolz schiessen zu wollen. Ferner bitte er die Bannmeile einzuhalten, da ihm in letzter Zeit Gegenteiliges aufgefallen sei. Zuletzt betont er, daß es ihm scheine, daß die Berichte auf beiden Seiten wenig Anklang gefunden hätten. Blume berichtet von den damaligen Führungen durch die Landwirtschaft, von denen er sich mehr als von den Berichten verspricht. Als letztes am heutigen Abend teilt er mit, daß Frl. Rotten, die Herausgeberin des Werdenden Zeitalters, ihm und allen aktiven Mitarbeitern an der Scharfenbergnummer des obengenannten Blattes dankt.

Eine Sonate von Sitt, wiederum von Kujack und Bauer gespielt, schließt die Abendaussprache.

Heinrich Bernstein.



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