Protokoll der 43. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. IV, S. 64-66

[Datum: Mi, 16.01.1924 - Protokollant: Rudi Frey]


Diese von Herrn Bandmann mit der Mondscheinsonate von Beethoven eingeleitete Abendaussprache stand im Zeichen der Reminiszensen aus der Chronik. Durch den seltsamen Zusammenhang der Ereignisse der letzten Zeit mit denen vor einem Jahr kam es, daß wir beim Ausschuß eingelaufenen Anträge gleich im Anschluß an die Chronikkapitel erledigen konnten. Wir kamen, nachdem Herr Blume wieder erwähnt hatte, daß noch einige Bearbeitungen von Chronikkapiteln fehlten, auch auf den Mißstand des Dauerlaufs. Eine Anregung, ihn wie im vorigen Jahr auf die Freiübungenpause zu verlegen, wird gegen 9 Stimmen abgelehnt, da man sonst morgens nicht aus den Betten käme. Im Anschluß daran, daß genau vor einem Jahr die Bettenmachpause eingeführt worden sei, stellte Berischden Antrag, die Betten in dieser Pause vor dem Essen zu machen und zum Frühstück noch einmal zu läuten, damit der Tischdienst mehr Zeit zum Decken habe. Aus demselben Grunde möge man beschließen das Essen mittags von 1/2 1 Uhr auf 1 Uhr zu verlegen und in dieser Zeit die Stuben zu säubern: der Antrag wird angenommen. Da wir jetzt mehr Kohlen haben als im Vorjahr können wir wöchentlich einmal die Zimmer ordentlich durchheizen, damit die Betten nicht so feucht werden. Auf die Anfragen wer wie im

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Vorjahr geheizt schlafen wolle, gestattet man der Stube Fritz Geister usw. ihr Zimmer zu heizen und sich, ebenso wie G. Metz, während der strengen Kälte in der Werkstatt zu waschen. Beim Punkte Mitteilungen stellte Herr Blume einen Abschnitt aus dem ersten Bande der Chronik, in dem die selbstlose und aufopfernde Mithilfe Alfred Rosollecks aus der Gründungszeit gewürdigt ist, einem ihm am 13.I. zugegangenen Brief gegenüber, in dem es heißt: Nach der Aussprache am 11. tue ich schon heute das, was doch über kurz oder lang getan sein mußte, und bitte, mich nicht mehr als zum Scharfenberg-Lehrerkollegium gehörig zu betrachten. Herr Blume glaubt der Gemeinschaft eine möglichst offene Erklärung dieses fast tragisch zu nennenden Vorgangs schuldig zu sein, handelt es sich doch um den Verlust eines für Scharfenberg über alles begeisterten Mitarbeiters.

Die Behauptung des Briefeschreibers von der Unvermeidlichkeit der Trennung auch ohne den besonderen Anlaß der Unterredung stütze sich auf das in letzter Zeit immer stärker gewordene Empfinden vom Vorhandensein prinzipieller Meinungsverschiedenheiten über die Art der Orchestermethodik und über den wissenschaftlichen Charakter unserer Oberstufe. Die spezielle Unterredung sodann habe sich um den Plan Rosollecks gedreht, Blumes Geburtstag [Anm. 1] durch eine große Aufführung festlich zu begehen; dagegen habe sich Blume scharf gewandt, da ihm eine Veranstaltung in solchen Dimensionen und vor allem vor den Eltern und geladenen Gästen aus dem Kreise der Behörden und Gönner also außerhalb unserer engsten Inselfamilie als taktlos und dem Anlaß unproportional erschiene. Er habe sich derartiges um so energischer verbeten, als die ursprünglichen Vorschläge Rosollecks einer Überreichung von Wagen und Pferd aus einem von Eltern und Behörden aufzubringenden Stiftungsfonds eine dem Geburtstagskinde völlig unverständliche Tendenz auf große Aufmachung offenbart hatten, die uns bei so einem persönlichen Anlaß in der Öffentlichkeit die Sympathie aller abgeklärt Denkenden verscherzen muß. Der Schmerz über eine solche Verkennung seiner Auffassung in solchen Dingen ist nur noch übertroffen von dem Schmerz darüber, daß er, eine stets opferbereite Hilfe, der

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auch dies Mal die beste Absicht hatte, aus wichtigem fachlichen Interesse hat mehr tun müssen.

Durch die Anfrage M. Grotjahns, wie man sich bei Unruhe in den Arbeitsräumen zu verhalten habe, kommt es zur Aussprache über die schandmäßige Behandlung der Tagenden [?] um Kultursaal und dem dauernden Lärm im Lesesaal der aber dadurch vermindert sei, daß dort am meisten vertretene Aufbau mehr Arbeiten für den Unterricht zu erledigen habe. Hierauf beantragt Rolf Wernecke, Ernst Ludwig Schmidt die Berechtigung zu erteilen an der Abendaussprache teilzunehmen, obwohl er uns verlassen hat. Blume ist überhaupt für Aufhebung des Beschlusses, daß man die Berechtigung extra auf Antrag eines Mitglieds der Gemeinschaft erwirbt [Anm. 2]. "Jemand der soviel Interesse an Scharfenberg hat, daß er erfährt, wann Abendaussprache ist, kann auch ohne feierliche Verleihung der Berechtigung dazu, natürlich ohne Stimmrecht daran, teilnehmen. "Man stimmt dieser Anregung durch Aufheben des anderen Beschlusses zu. Zum Schluß richtet Paul Heinrichsdorff an die Gemeinschaft die Aufforderung, mit Fritz Steinauer etwas taktvoller umzugehen.

Die Abendaussprache endet gegen 10 h mit einem Adagio von Beethoven, das Herr Bandmann und Arnold Fritz auf Klavier und Klarinette spielen.

Rud. Frey.


Anmerkungen:

Anm. 1:
Es handelt sich um Blumes 40. Geburtstag am 08.02.1924.

Anm. 2:
Vgl. Protokoll der 42. Abendaussprache [ November 1923].



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