Protokoll der 17. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. I, o.S.

[Datum: Fr, 13.10.1922 - Protokollant: Hans Baader]


Die XVII. Abendaussprache wird eröffnet durch ein geistliches Lied ihne Worte für Cello und Harmonium von Pfitzenhagen, gespielt von A. Rosolleck und H. Kraemer.

Blume gibt die Stiftung des Handwerksbuches der deutschen Jugend durch den Herausgeber Pallat [Anm. 1] an unsere Bibliothek bekannt und verliest das Begleitschreiben des Verfassers. Er fordert auf, das Buch mit einem Umschlag zu versehen, was Ewerth übernimmt. In der Kanalisationsangelegenheit vertröstet er auf den Besuch eines Fachmannes der Firma Saalmeyer, nach dessen Besuch die Beseitigung dieser Frage auf irgend einem Wege in Angriff genommen würde. Ferner teilt er mit, daß wir am Sonnabend 200 l Petroleum erhalten würden, die uns Freund Rosolleck durch seine Bemühungen bei der Firma Stotwasser zum Preise von 60 M. pro Liter besorgt hätte. Heute sei der Preis schon 112.

I. Blume fragt an, ob es nicht günstig sei, um den Eßgeruch im durch den Winter verschlossenen Saal zu vermeiden, den neben der Küche leerstehenden "Chemiesaal" als Eßsaal einzurichten. Bänke und Tische kämen von draußen herein, wenn auch noch einige gezimmert werden müßten, wie Rudi Frey bemerkt. Der 2. Saaldienst würde dann für den Eßsaal, der erste für den Gemeinschaftssaal verantwortlich sein. Da im 8. Punkt der Tagesordnung Schramm die Abschaffung des 2. Saaldienstes und Wiedereinführung dieses Dienstes als zweiten Waschdienst beantragt, schlägt Blume vor, diesen Punkt gleich zur Entscheidung zu bringen. Schramm meint in seiner Begründung, daß die Waschraum-Kalamität jetzt unbedingt 2 Mann fordere. Schließlich könne ja der 2. Waschdienst noch 2. Saaldienst machen. Metz betont, daß im Winter der 2. Saaldienst gerade viel zu tun hätte, denn die Schmutzgefahr sei durch das Wetter noch größer. Freys Einwurf, die Schmutzgefahr sei dadurch aufgehoben, daß man seine Klotzpantinen draußen und drinnen nur seine Hausschuhe trage, die mit dem Draußenschmutz nicht in Berührung kämen gibt zur Erörterung der Klotzpantinenfrage Anlaß. Blume beantragt nachdrücklichst, die Klotzpantinen oder Holzschuhe nur draußen zu tragen. Frey wendet ein, daß es gefährlich sei, seine Holzschuhe im Vorraum stehen zu lassen, weil dann andere Leute sie gern benutzten. Diese Gefahr würde wohl beseitigt sein, wenn alle erst Holzschuhe besäßen. Der Antrag Blumes wird angenommen und ebenfalls der Antrag des Eßsaalversuchs. Stenger schlägt vor, das Geld zur Ausschmückung des Eßsaals aus der Fährkasse zu nehmen, was aber wegen der Geringfügigkeit der Sache allgemein abgelehnt wird. Der Vorschlag Schramms, daß der 2. Saaldienst Waschdienst neben seinem Saaldienst, von dem er das Auffegen an den 1. Saaldienst abgibt, macht, wird mit dem Zusatz, daß diese Änderung nur eine vorläufige, durch die Waschraumschwierigkeiten bedingte sei, mit 15 Stimmen angenommen.

II. Metz fragt, wie es eigentlich mit dem von Herrn Prof. Cohn angeregten Nachtkampfe stände. Die Jahreszeit wäre doch schon reichlich vorgeschritten. Blume schildert das Entstehen des Planes im vorigen Jahre u. die Wiederaufnahme durch das Humboldtgymnasium in diesem Jahre. Selbstverständlich sei die Jahreszeit für derartige Nachtspiele denkbar ungeeignet. Er hatte deshalb die Sache schon von sich aus, als neulich zwei Kameraden vom Humboldt [-Gymnasium] hier waren, um das Nähere zu bereden, abgelehnt. Es stände aber wohl nichts im Wege, den Plan wieder aufzugeifen, wenn eine klare Winternacht ein gesundes Spiel ermögliche. Ulm bittet, daß niemand, falls die Gemeinschaft den Nachtkampf beschlösse, zur Teilnahme gezwungen würde und fragt nach dem Zweck. Blume: "Zweck ist selbstverständlich das Hinauswandern in die frische Nachtluft und nur der Hintergrund, der Rahmen ist der Nachtkampf." Da Heinrichsdorff sich an dem Namen Nachtkampf stößt, konstatiert Rosolleck, daß der Name nur ein kriegerisches Jugendkompanieüberbleibsel sei für ein sonst unkriegerisches, "räuberromantisches" Spiel. Hauptsache sei die Bewegung in der Waldluft. Mit 16 Stimmen beschließt die Gemeinschaft, diese Nachtwanderung auf einen Schneewintertag zu verschieben. Blume knüpft daran die Bemerkung, wie "gefährlich" solch Unternehmen immerhin sei, denn nach dem vorigen Nachtspiel hätte man ihn auf dem Rathaus zur Rede gestellt, daß er hier militärische Übungen veranstalte. Er bittet dann noch über die Ulmklausel, daß niemand zur Teilnahme gezwungen werden solle, abzustimmen. Die Klausel wird angenommen [Anm. 2].

III. Der Lichtwart [Baader] berichtet, daß die zahlenmäßige Zusammenstellung des Petroleumverbrauchs nach Verlauf von 2 Wochen ergeben habe, daß sich durch die Privatisierung des Petroleumkonsums zumindesten kein Vorteil, eher ein Nachteil und vor allen Dingen persönliche Reibereien ergeben hätten. Er schlägt deshalb vor, wieder zum alten Modus (das Petroleum aus der Gemeinschaftkasse zu bezahlen) zurückzukehren. Demgegenüber meint Wahle, daß 2 Wochen doch nur eine sehr geringe Versuchszeit seien. Rosolleck stellt fest, daß man keine Privatlampe zur Unterstützung beim Orchester oder irgendwo bekommen könnte. Blume: "Ich bin von Anfang an gegen die Privatwirtschaft im Petroleumverbrauch gewesen, denn sie hat zweifellos ideelle Nachteile, die Baader ja auch schon betonte. Ob nicht doch noch praktische Vorteile damit verbunden sind müßten wir, das glaube ich auch, erst noch ein paar Wochen abwarten. Außerdem ist dieser Beschluß von der Gesamtschulgemeinde gefaßt. Wir können ihn also nicht von uns aus umstoßen." Mit 14 Stimmen wird die Vertagung dieser Frage zwecks größerer Erfahrungssammlung Beschluß. Anschließend daran wird beschlossen, jedes Zimmer pro Monat auf Gemeinschaftskosten mit einer Schachtel Streichhölzer zu beliefern und ihm, falls es seine Schachtel früher verbraucht, die Möglichkeit zu bieten, beim Lichtwart auf eigene Kosten eine neue Schachtel zu erstehen.

IV. Für Herrn Dorn muß ein neues Ausschußmitglied gewählt werden. An der Wahl nehmen zum ersten Mal unsere beiden Küchenfrauen teil. Das Ergebnis der Wahl wird erst am Schluß bekannt gegeben.

V. Metz fordert Anschaffung eines Zirkels und eines Lineals. Wahle verneint die Notwendigkeit dieser Anschaffung von sich aus. Für diesen Vorschlag sind zwei Stimmen. Ferner fordert er Erneuerung der Wachstuchbespannung unserer Eßtische auf Kosten der Gemeinschaftskasse. Von mehreren Seiten wird ihm entgegengehalten, daß die Kosten unsere Kasse weit übersteigen würden, besonders, da das sogar geforderte Linoleum noch teurer sei, als Wachstuch. Rosolleck will sich jedoch mal umsehen, da selbstverständlich eine Erneuerung der Bespannung, allerdings auf Staatskosten, nötig sei.

VI. Baader fordert Wahl eines 2. Werkzeugwartes, da einer allein, wie Herr Wahle durch Aufheben eines corpus delicti, der draußen liegengebliebenen Bandsäge, bestätigt, auf die ordnungsgemäße Unterbringung der Werkzeuge nicht achten kann. In der Diskussion wird betont, daß sofort Ordnung herrschen würde, wenn jeder das Werkzeug, das er gebraucht hat, an Ort und Stelle zurückstellen würde. Gawronski hält es für gefährlich, zweien die Werkstatt zu übertragen, da dann der eine sich auf den anderen verlassen würde und schließlich garnichts mehr geschähe. Die Abstimmung ergibt Stimmengleichheit (9:9), Blume gibt den Ausschlag gegen den 2. Werkzeugwart. Darauf wird eine Abänderung des Baaderschen Vorschlags angenommen; es wird für die Werkstatt gewissermaßen doch ein 2. Mann gewählt, der aber nur mit dem Werkzeugwart zusammen die notwendigen Ausbesserungen vornimmt. Das Geld dazu wird aus dem O.B.[=Oberbürgemeister] Fond gegeben, entgegen dem 3. Teil des Baaderschen Vorschlags, diesen beiden eine konstante Geldsumme aus der Gemeinschaftskasse zu selbständiger Verwaltung zu überlassen. Walter Schramm wird mit 16 Stimmen gewählt.

VIII. Schramm fordert die Anschaffung einer Absatzsäge. Laut Netzbands Erkundigung kostet sie 390 M., was die Gemeinschaftskasse erschwingen könnte. Blume schlägt vor, diesen Kauf Netzband zu übertragen und ihm bezüglich des Preises freie Hand zu lassen. Beides wird angenommen.

IX. Es folgt ein Antrag Grotjahn / Baader, der die Sonntagsrückkehr und die damit verbundenen Schwierigkeiten des Abendessens regeln will. Die Antragsteller fordern Funktionieren des Fährdienstes am Sonntag nur bis 7 Uhr und Nichtaufheben des Abendbrots für Zuspätkommende. Blume weist auf Unmöglichkeiten des Antrags hin, die das Gegenteil von dem Bezweckten erreichen würden. Der Antrag wird nicht angenommen. Blume betont aber noch einmal, daß selbstverständlich alle das Prinzipielle des Antrags billigen müßten und hofft von diesem Hinweis eine Besserung für die kommende Zeit.

Anfragen und Anregungen: Metz bittet, das bunte Zimmer als Privatzimmer respektieren zu wollen und nicht zu unnützem Seich darin herumzustehen, desgleichen den Treppenabsatz vor dem bunten Zimmer nicht als Versammlungslokal zu betrachten. Kraemer bittet, zwischen Mittag und Kaffee alles Geigen, Pfeifen und Spielen zu unterlassen. Wernecke moniert das Stehen auf den Bänken im Saal: Eine sei schon geplatzt. Ferner fragt er, wie es mit dem Nutzholz stehe? Blume antwortet, daß er heute der Sägemühle ein Tauschangebot, Bäume gegen Bretter, machen wollte, aber nicht dazu gekommen sei, daß er aber sein möglichstes tun werde. Anläßlich einer Ermahnung Böhms, daß der Küchendienst seiner Holzholepflicht genügen solle und Anführung eines speziellen Beispiels kommt es zwischen ihm und Baader zu einer erregten Auseinandersetzung, in der Baader seine Schuld von vornherein zugibt, seine Unterlassungsgründe klarstellt und betont, daß er diese erste und einzige Mitteilung eines hinter den Kulissen spielenden Geredes über ihn für nicht ehrlich halte, daß er im Gegenteil wünsche, offen und ehrlich immer von jedem seine Fehler vorgehalten zu bekommen.

Anschließend daran berichtet Frey, daß die Heranschaffung von Küchenholz während seines Dienstes auf Schwierigkeiten gestoßen sei, da der Wagen zum Heranschaffen von Badeholz benutzt wurde. Stenger behauptet als damaliger Badegast das Gegenteil. Blume betont, daß der Küchendienst selbstverständlich immer das Vorrecht habe.

Das Wahlergebnis wird von Metz bekannt gegeben: In den Ausschuß ist Herr Wolff gewählt mit 23 Stimmen, Wahle hat 4 Stimmen erhalten.

Die Aussprache schließt mit dem impulsiven Zuruf Dehnes: "Ich gratuliere!"


Anmerkungen:

Anm. 1:
Der deutschen Jugend Handwerksbuch, hrsg. von Ludwig PALLAT, 2 Bde., 2. Aufl. Leipzig 1920/21.

Anm. 2:
Vgl. hierzu die - von verschiedenen Seiten des kaiserlichen Deutschland bewußt geförderte - Vorliebe der Wandervogelgruppen vor dem 1. Weltkrieg zum Kriegsspiel (Erstürmen eines Dorfes, Durchschleichen einer Postenkette, Übergang über eine Fluß, Verteidigung eines Warenzuges usw.), die den Weg dieser Jugend nach Langemarck mit vorbereitete: WOLSCHKE-BULMAHN, Joachim, Kriegsspiel und Naturgenuß. Zur Funktionalisierung der bürgerlichen Jugendbewegung für militärische Ziele, in: Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung, Jg. 16 (1986-87), S. 251-270. - S. zum Thema 'Kriegsspiel' auch Protokoll der 68. Abendaussprache vom 30.05.1926 und Protokoll der 69. Abendaussprache [1926].



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