Protokoll der 69. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. V, S. 355-358

[Datum: , .09.1926 - Protokollant: Bernhard Schmoll]


Zur Einleitung spielten Herr Sorge und Peter Völkner am Flügel Beethovens Ouvertüre zu Egmont.

Etwas Neues war bei dieser Abendaussprache, daß ein Ausschußmitglied den Vorsitz führte.

Erwin Oeser eröffnete die Abendaussprache mit dem 1. Punkt = Hans Samter brachte einen Antrag über die Klaviergeldfrage. Er sagte, daß wir mit der Bezahlung des Klaviergeldes um 2 Monate zurück seien. Dieses sei ein unhaltbarer Zustand, der uns vor der Firma blamiere. - Er beantragte deshalb, das ausstehende Klaviergeld sofort einzuziehen und daß die Monatsgelder immer am 1. jedes Monats bezahlt würden. - Anderenfalls beantrage er, das Klavier der Firma zurückzugeben. - Bauer, als Musikwart, verteidigt sich damit, daß die Verzögerung von den Sommerferien und der Abwesenheit der Zwischenstufe herrühre. Er hätte sein Möglichstes getan und alle 2-3 mal gemahnt. Hans Samter entgegnet, daß schon vor den Ferien das Klaviergeld nicht bezahlt worden sei. - Blume fragt, wo die am Anfang des Jahres vorgeschlagene Kommission zur Überwachung der Klavierspieler bleibe. Er halte einen Versuch mit Geigenspielern für besser. - Da ein Geigenlehrer aus Berlin und Tegel nicht in Betracht käme, wolle ihm Helm Richter einen Geigenlehrer aus Spandau verschaffen. Da dieser wahrscheinlich hohes Stundengeld verlangen wird, und da die Gemeinschaft für einen Zuschuß kein Geld übrig hat, müssen die Kosten erspart werden. Daher läßt Blume abstimmen, welche von den von uns bezahlten Zeitungen die wenigsten Interessenten habe. Für die "D-A-Z" ergeben sich 18, welche großes Interesse an dieser Zeitung haben. Erwin Oeser hält "Die Umschau" für außerordentlich wichtig und deren Abbestellung für sehr bedauerlich. Er schlägt aber vor, für "Die Technik für Jedermann" eine Neuerfindung einzuschicken, wodurch wir gratis ein Halbjahresabonnement bekämen. Für die "Technik für Jedermann" ergeben sich 9, für das Kunstblatt 17 Interessenten. - Herr Sorge erhofft durch den langen Winter eine Wiederbelebung des Klavierspiels. - Blume meinte, daß ein Klavierspiel im

((356))

Sommer besser sei, denn im Winter würden bei unseren knappen Raumverhältnissen die Störungen größer sein. Bernd Bauer stimmt durch Hinweise auf den vorigen Herbst Herrn Sorge bei. - Am Geigenunterricht wollen sich 11 Mann beteiligen; 30 erklären sich dafür, das Klavier im Falle einer nochmaligen Verspätung der Geldzahlung der Firma zurückzugeben; 2 sind dagegen. -

Punkt 2. Herr Sorge beschwert sich über das Fernbleiben Erwin Krolls vom "Kriegsspiel". Kroll verteidigt sich dagegen, daß er, trotzdem er keine Binde erfochten habe, doch seiner Partei mit Scheinwerfern geholfen habe. - Außerdem hält Kroll das Kriegsspiel nicht für richtig; als Beispiel führt er den Gebrauch von "Jiu-Jitsu", das Rumtoben in Tomatenfeldern und ähnliches an. - Sorge betont seinen prinzipiellen Standpunkt, obwohl er jetzt die Sache für nicht so tragisch hält. Die Bekanntmachung der Namen der Mitspieler sei einem gegebenen Versprechen gleich, deshalb empfinde er das Fehlen beim Spiel als einen Formfehler, obgleich Kroll wohl mehr aus Gedankenlosigkeit gehandelt habe. - Heimhold meint, Kroll sei ja garnicht gefragt worden, ob er mitmachen wolle. - Kroll sagt, wir sollten unsere Kraft lieber bei der Gemeinschaftsarbeit, beim Gruppendienst und am Spielnachmittage austoben und nicht beim Kriegsspiel. -

Blume bedauert, daß Kroll diesen Standpunkt, den er vollkommen billige, nicht schon vor dem Spiele klargelegt habe, anstatt sich nachher doch so beinahe auszuschließen. Er möchte nicht "Pfadfinderspiele" aufleben lassen, dieses sei doch garnicht im Sinne unserer Richtung. Er habe sich gefragt, wie der Abend mit Patroullien, nachheriger Feldherrnkritik auf Frau Weyl, Mademoiselle Hickel und Fräulein Rotten, unsere liebsten Gönnerinnen gewirkt haben würde, die immer als Pazifisten für

((357))

die Völkerversöhnung eingetreten sind, und dabei seien doch die drei genannten Frauen nicht etwa ängstliche Staturen, sondern Kämpferinnen in der vordersten Linie.

Punkt 3 der Tagesordnung. Faas fragte die Gemeinschaft, ob seine Teilnahme an der Rheinreise eine Gefährdung oder sonst einen Schaden für sie bedeuten würde. Er gibt folgende Gründe an. Daß sein Verhalten unüberlegt gewesen sei, darüber sei er sich, bevor der Ausschuß dazwischengekommen sei, klar geworden. Ob man ihm nicht seiner nachträglichen Einsicht halber verzeihen könne. Er entschuldigt sein Verhalten damit, daß dieses vorher noch nicht vorgekommen sei, und auch nie wieder vorkommen würde. Wenn die Gemeinschaft nichts dagegen habe, wolle ihn der Führer, Herr Sorge mitnehmen. Blume sagt, der Vorschlag, Faas von der Rheinreise auszuschließen, komme von Sorge, wenn aber Herr Sorge jetzt wieder gegen seinen Vorschlag sei, so sei dieser Beschluß des Ausschusses hinfällig. Man müsse dann vom Ausschuß einen anderen Vorschlag erhalten, aus dem dessen Mißbilligung [her]vorgehe. Sorge entgegnet, er sei mit den Scharfenberger Verhältnissen noch nicht so vertraut gewesen und habe die Sache nicht so überblicken können; deshalb bittet er die Gemeinschaft darum, über die Sache Faas neu zu entscheiden. Faas sagt, er habe geglaubt Scharfenberg keinen Schaden zuzufügen, da er sich außer dem Umkreis Scharfenbergs so benommen habe und sich unbeobachtet wähnte. Blume: Die Traditionswidrigkeit könne nicht mit dem Quadrat der Entfernung abnehmen. Er warnte die Zwischenstufe vor einem beinahe "jesuitisch" zu nennenden Grundsatze. Im übrigen sei gewiß das ganze kein weltbewegendes Ereignis aber es sei nicht etwas wie Einzelvergessen sondern ein Symptom für eine ganze Richtung. Wenn man nach 3 Jahren nicht soviel Gefühl dafür habe, so etwas zu unterlassen, so werde man es auch in 3 weiteren Jahren nicht mehr lernen. - Sorge beantragt darauf abzustimmen; - Franke wies auf die Ungerechtigkeit hin, daß einige andere

((358))

Teilnehmer an dem Theaterbesuch, die sowieso nicht an der Rheinfahrt teilnehmen wollten, im Verhältnis zu Faas und Buschke, zu gut wegkämen. Dem entgegnet Blume, daß es ja nicht so sehr auf das Maß der Bestrafung, sondern auf die brandmarkende Stellung des Ausschusses gegen solches Verhalten ankomme; 27 verneinen Faas Antrag auf Aufhebung des Teilnahmeverbots, zwei sind dafür. Faas deutet an, daß (noch) andere Kameraden beteiligt gewesen seien, so wolle er hier nur von der Spendierung der Lage Schnaps für die Jazz-Kapelle des Kaffee "Seerose" durch Hans Samter sprechen. Dieser mußte die von seinem nächtlichen Begleiter soeben berührte Heldentat zugeben, suchte aber sein Teilnehmen an der ganzen Affaire als harmlos und halb erzwungen durch die Rücksicht auf den gemeinsam zu benutzenden Fährkahn darzustellen. Blume macht den Vorschlag, diese tragikomischen Intimitäten doch lieber im Ausschuß zu verhandeln, womit 28 Stimmen sich einverstanden erklären.

Dem Ausschuß fiel nach Schluß dieser Aussprache die Aufgabe zu, im Bibliothekszimmer die Beratung fortzusetzen. Man beschloß dort auch den Ausschluß Samters von der Rheinfahrt. Am folgenden Tage blieb die Mitteilung dieses Beschlusses in der Gemeinschaft unwidersprochen.

B. Schmoll.



[Zum nächsten Protokoll]
[Zum Anfang "Protokolle der Abendaussprachen der Schulfarm Insel Scharfenberg 1922-1929/32"]
[Zum Anfang "Quellen zur Geschichte der Schulfarm Insel Scharfenberg"]