Über die Charakteristika der Leistung in Konzentrationstests: Prozesskomponenten, Mechanismen und Übungseffekte

Tests zur Messung der Konzentrationsfähigkeit sind seit über einhundert Jahren im Einsatz und finden in den verschiedensten psychologischen Feldern – von der Verkehrs- über die Wirtschafts- bis zur Neuropsychologie – Anwendung (Schmidt-Atzert & Amelang, 2012). Typische Konzentrationstests präsen...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Blotenberg, Iris
Beteiligte: Schmidt-Atzert, Lothar (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2019
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Tests zur Messung der Konzentrationsfähigkeit sind seit über einhundert Jahren im Einsatz und finden in den verschiedensten psychologischen Feldern – von der Verkehrs- über die Wirtschafts- bis zur Neuropsychologie – Anwendung (Schmidt-Atzert & Amelang, 2012). Typische Konzentrationstests präsentieren eine Reihe von homogenen Stimuli, die kontinuierlich nach einer einfachen Regel zu bearbeiten sind, bis die Zeit vorüber ist (Westhoff & Hagemeister, 2005). Für diese Tests liegen diverse korrelative Validitätsbelege vor, die für konvergente (in Form eines gemeinsamen Konzentrationsfaktors) und diskriminante Validitäten (im Sinne einer gelungenen Abgrenzung von höheren kognitiven Fähigkeiten) dieser Tests sprechen (z.B. Krumm et al., 2009; Schmidt-Atzert, Bühner, & Enders, 2006). Allerdings lassen sich einige Fragestellungen mittels korrelativer Studien nur schwer adressieren, hier erwiesen sich Ansätze der experimentellen Testvalidierung als fruchtbar, um Schlüsselannahmen über Konzentrationstests zu prüfen (z. B. Krumm, Schmidt-Atzert, Bracht, & Ochs, 2011; Krumm, Schmidt-Atzert, & Eschert, 2008; Krumm, Schmidt-Atzert, Schmidt, Zenses, & Stenzel, 2012). Nichtsdestotrotz sind bislang wichtige Fragen offen geblieben: So gibt es noch kein Prozessmodell für das Zustandekommen der Leistung in Konzentrationstests und die relativ großen Übungseffekte in diesen Tests sind zwar gut belegt, aber kaum verstanden. Das Ziel der vorliegenden Arbeit lag darin, die Prozesskomponenten bei der Bearbeitung von Konzentrationstests und die relativ großen Übungseffekte in diesen kognitiven Tests anhand dreier Beiträge zu beleuchten. Auf der Basis theoretischer und empirischer Arbeiten wird im ersten Beitrag ein generisches Prozessmodell der Leistung in Konzentrationstests vorgeschlagen. Demnach sollte die Leistung in einem Konzentrationstest davon abhängen, wie schnell eine Testperson 1) ein Item wahrnimmt, 2) eine simple mentale Operation durchführt, um ein Item zu lösen, 3) eine motorische Reaktion ausführt, um die Lösung zu indizieren, 4) selbstgesteuert zum nächsten Item wechselt. In zwei Studien (N Studie 1 = 103, N Studie 2 = 100) konnte gezeigt werden, dass die Geschwindigkeit in den einzelnen Prozesskomponenten die Leistung in drei verschiedenen Konzentrationstests maßgeblich vorhersagte (55 – 74 % Varianzaufklärung). Dabei waren besonders die Wahrnehmungsgeschwindigkeit und die Geschwindigkeit der Lösungsprozesse starke Prädiktoren für die Leistung im Test, während sich ein Trend für einen kleineren Einfluss der motorischen Geschwindigkeit zeigte. In Bezug auf die vierte postulierte Komponente, den selbstgesteuerten Itemwechsel, konnte zwar demonstriert werden, dass es für die Leistung einen großen Unterschied machte, ob kontinuierlich gearbeitet und selbstgesteuert zwischen den Items gewechselt werden musste oder ob kurze Pausen zwischen den Items vorgesehen waren: Wenn die Testpersonen sukzessiv und ohne vorgesehene Pausen arbeiten mussten, reagierten sie langsamer und machten mehr Fehler. Allerdings konnten keine stabilen interindividuellen Unterschiede in der Geschwindigkeit des Itemwechsels erfasst werden und es zeigten sich keine Zusammenhänge mit der Leistung in Konzentrationstests. Insgesamt konnten im ersten Beitrag wichtige Erkenntnisse über die Prozesskomponenten der Leistung in Konzentrationstests gewonnen werden. Es blieb aber die Frage offen, wie sich die kontinuierliche Bearbeitung von Items auf der Prozessebene auswirkt. Die Anforderung zum kontinuierlichen Arbeiten, das hatten frühere Studien bereits gezeigt, hat einen starken Einfluss auf die Validität dieser Tests (Krumm, Schmidt-Atzert, & Eschert, 2008; Krumm, Schmidt-Atzert, et al., 2012). Der zweite Beitrag befasst sich mit einer möglichen Erweiterung des Prozessmodells um weitere Komponenten. Dabei wird angenommen, dass die Darbietung vieler Stimuli, die in Konzentrationstests üblich ist, zum einen die Fokussierung auf den aktuell relevanten Stimulus erforderlich machen sollte, zum anderen aber auch die Vorschau auf nachfolgende Stimuli erlauben und zur Vorverarbeitung dieser nachfolgenden Stimuli genutzt werden könnte. Für diese Studie (N = 100) wurde ein modifizierter d2 erstellt und der Präsentationsmodus so manipuliert, dass die Anforderung an die Fokussierung und die Möglichkeit zur Vorschau auf nachfolgende Stimuli systematisch variiert wurden. In Bezug auf die Fokussierungsleistung konnte kein Effekt gefunden werden. Dabei waren die gewählten ablenkenden Stimuli womöglich zu schwach. Allerdings zeigte sich, dass die Testpersonen die Vorschau auf nachfolgende Stimuli nutzten und diese vorverarbeiteten, sofern sie die Möglichkeit dazu bekamen. Interindividuelle Unterschiede darin, wie gut ihnen die Vorbereitung auf die nachfolgenden Stimuli gelang, waren reliabel und hingen mit der Leistung in verschiedenen Konzentrationstests zusammen. Somit war es im zweiten Beitrag gelungen, eine neue Komponente der Leistung in Konzentrationstests aufzudecken: Die Vorverarbeitung nachfolgender Stimuli. Dabei sind durchaus Zusammenhänge mit einigen alltäglichen Konzentrationsaufgaben denkbar, die ebenfalls von der proaktiven Verarbeitung von Umgebungsreizen profitieren, wie das Fahren eines Autos oder die Korrektur eines Textes. Es bleibt dennoch zu prüfen, inwieweit es sich bei dieser Komponente um einen inherenten Bestandteil der Konzentrationsfähigkeit oder um einen möglicherweise nicht intendierten Nebeneffekt der Testgestaltung handelt. Der dritte Beitrag der vorliegenden Arbeit widmet sich den Übungseffekten in Konzentrationstests. Relativ große Übungseffekte zwischen einem Drittel und bis zu einer Standardabweichung nach einmaliger Testwiederholung sind ein gut dokumentiertes Phänomen in diesen Tests (z. B. Bühner, Ziegler, Bohnes, & Lauterbach, 2006; Scharfen, Peters, & Holling, 2018; Westhoff & Dewald, 1990). Es ist aber noch kaum verstanden, wie diese Übungseffekte zustande kommen (Büttner & Schmidt-Atzert, 2004; Scharfen, Blum, & Holling, 2018). Daher wird in dieser Untersuchung (N = 100) das Prozessmodell der Konzentrationsleistung zugrunde gelegt und eine Reihe kognitiver Aufgaben zweimal dargeboten, um zu untersuchen, inwieweit die einzelnen Prozesskomponenten von der Übung profitieren. Es zeigte sich, dass sich die Übung an mehreren Stellen im Prozess auszuwirken schien, in kleinerem Maße auf Wahrnehmungs- und Motorikprozesse, in größerem Maße auf die simple mentale Operation zur Lösung des Items und wahrscheinlich auch auf die Koordination der Prozesskomponenten. Weder der selbstgesteuerte Wechsel zwischen den Items noch die Vorbereitung auf nachfolgende Items wurden mit der Testwiederholung effizienter. Im dritten Beitrag war es somit gelungen, auf der Prozessebene einen Einblick in die Entstehung der Übungseffekte in Konzentrationstests zu gewinnen. Es zeigte sich, dass die Auswirkungen der Übung in Konzentrationstests komplex sind, was es schwierig macht, sie durch Anpassungen des Testmaterials zu vermindern oder die Geübtheit versus Ungeübtheit einer Testperson erkennbar zu machen. Zusammengenommen ermöglichen die vorgestellten Beiträge tiefere Einblicke in die Prozesskomponenten, die bei der Bearbeitung von Konzentrationstests eine Rolle spielen und damit ein besseres Verständnis, was diese Tests messen. Dabei ist eine Vielzahl kognitiver Prozesse an diesen so simpel anmutenden Aufgaben beteiligt. Die Ergebnisse dieser Arbeit werfen auch neue Fragen auf, beispielsweise bleibt offen, wie sich die kontinuierliche Bearbeitung von Stimuli auf der Prozessebene im Detail auswirkt, inwieweit die Fähigkeit zur Vorverarbeitung nachfolgender Stimuli in Konzentrationstests mit der proaktiven Verarbeitung in alltäglichen Konzentrationsaufgaben korrespondiert und wie sich die Übung in Konzentrationstests auf die Validität dieser Tests auswirkt. Alles in allem kann die psychologische Diagnostik sehr von experimentellen Validierungsansätzen profitieren. Für die Zukunft wäre es vielversprechend, diese zusätzlich um Ansätze der mathematischen Modellierung kognitiver Prozesse zu ergänzen.
Umfang:165 Seiten
DOI:10.17192/z2019.0212