Der Zusammenhang von Bindungssicherheit und einer Oxytocinrezeptor-Genvariation mit neuralen Korrelaten sozialer Kognition und Hirnmorphometrie

Die Entwicklung des menschlichen Gehirns sowie soziokognitiver und -emotionaler Fähigkeiten wird nicht nur von genetischen Faktoren, sondern auch von frühen Fürsorge­erfahrungen beeinflusst. Die Bindungs­theorie liefert ein Konzept für das Verständnis der soziokognitiven und -emotionalen Entwicklung...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Schneider-Haßloff, Henriette
Beteiligte: Kircher, Tilo (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2017
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Die Entwicklung des menschlichen Gehirns sowie soziokognitiver und -emotionaler Fähigkeiten wird nicht nur von genetischen Faktoren, sondern auch von frühen Fürsorge­erfahrungen beeinflusst. Die Bindungs­theorie liefert ein Konzept für das Verständnis der soziokognitiven und -emotionalen Entwicklung des Menschen als Folge früher sozialer Fürsorgeerfahrungen und biologischer Veran­lagungen⁠. Individuelle Bindungs­stile entwickeln sich im Laufe des Lebens zu einer relativ stabilen Persönlich­keits­eigenschaft, die soziale Kognitionen, soziales Verhalten und den Umgang mit belast­en­den Lebensereignissen (wie z.B. emotionalen Verlusterfahrungen) beein­flusst. Auf physiologischer Ebene ist das menschliche Bindungs­system mit dem Oxytocin­system verknüpft, das allgemein eine bedeutsame Funktion für soziales Verhalten und soziale Kognitionen hat⁠. Das Oxytocinsystem wird durch frühe Eltern-Kind-Inter­aktionen in seiner Entwicklung geprägt. In humangenetischen Studien war der Gen­polymorphismus rs53576 des Oxytocin­rezeptors (OXTR) mit Unterschieden in der Sensitivität für soziale Reize ⁠assoziiert und interagierte mit frühen sozialen Lebens­erfahrungen auf die Ausprägung sozioemotionaler Persönlichkeits­eigenschaften⁠. Fragestellung: In dieser Arbeit sollte untersucht werden, wie neurale Korrelate der Mentalisierung und die Hirnmorphometrie a) mit der kindlichen Bindungssicherheit unter Berücksichtigung des OXTR-Genpolymorphismus rs53576 und b) mit dem Bindungsstil im Erwachsenenalter zusammenhängen. Methoden: In einer Stichprobe von gesunden Student(inn)en wurden die neuralen Korrelate der Mentalisierung unter Anwendung der funktionellen Magnet­resonanz­tomographie (MRT) während der Bearbeitung einer sozial interaktiven Theory-of-Mind-Aufgabe (ToM, Gefangenen­dilemma, n= 164) erhoben. Die Hirn­morpho­metrie wurde mithilfe der strukturellen MRT und dem Verfahren der voxelbasierten Morphometrie (VBM, n=196) als Volumen der grauen Substanz bestimmt. Des Weiteren wurden Fragebögen eingesetzt, um die kindliche Bindungssicherheit (CAS, „Hazan-Shaver“-Skala), den Bindungsstil im Erwachsenenalter („Relationship Scales Questionnaire“, Subskalen „ängstlicher Bindungsstil“ (ANX) und „vermeidender Bindungsstil“ (AV)), die Alexithymie im Erwachsenen­alter („Toronto Alexithymia Scale 20“) und die Anzahl emotionaler Verlust­erfahrungen (AL, „List of Threatening Experiences Questionnaire”, VBM: n=192) zu erfassen. Die OXTR-Genvariation rs53576 (G/A) wurde durch Genotypisierung der DNA aus Blut­proben bestimmt (ToM: n=163, VBM: n=195). Ergebnisse: Signifikante Interaktionseffekte von rs53576 und CAS (d.h. eine GxU-Interaktion) zeigten sich für ANX, Alexithymie, Hirnstruktur und -funktion: Strukturelle GxU-Inter­aktions­effekte wurden in einem bilateralen fronto-parietalen und links­temporalen Netz­werk (ein­schließlich Hippo­kampus und Amygdala) beobachtet. Funktionelle GxU-Inter­aktions­effekte fanden sich in einem rechts­frontalen und bilateralen parieto-temporo-okzipitalen ToM-assoziierten Netz­werk. GG-Homozygote waren im Vergleich zu A-Allel-Trägern empfänglicher für CAS in Bezug auf das Volumen grauer Substanz, ANX und Alexithymie. Einige der beobachteten GxU-Interaktionseffekte waren sexuell dimorph. Strukturelle und funktio­nelle GxU-Interaktionseffekte überlappten zum Teil regional und waren, wie exploratorische Regressions­analysen zeigten, unter­einander und mit der Ausprägung von ANX und Alexithymie assoziiert. Des Weiteren wurde bei GG-Homozygoten ein signifikant höheres Volumen der grauen Substanz im Temporalpol und Hippokampus beobachtet. Die Bindungsstile des Erwachsenenalters AV und ANX unterschieden sich signifikant in ihrem Zusammenhang mit ToM-assoziierten neuralen Aktivierungen (u.a. in den bilateralen inferioren Frontalgyri (IFG), dem rechten mittleren Cingulum und der Amygdala) und dem Volumen der grauen Substanz im Pars opercularis des linken IFG. Diskussion: Interaktionseffekte von CAS und rs53576 wurden insbesondere für das Volumen und die Aktivierung von Hirnregionen beobachtet, die in soziale Kognitionen wie ToM und das Spiegelneuronensystem involviert sind. Des Weiteren zeigten sich strukturelle GxU-Interaktions­effekte und genetische Haupteffekte in Hirnarealen mit Funktionen für die Gedächtnisbildung. Genetische Effekte auf das Gedächtnis und/oder epigenetische Mechanismen könnten den beobachteten GxU-Interaktionseffekten auf Hirnstruktur, -funktion und Persönlichkeitseigenschaften zugrunde liegen. Die Bindungsstile ANX und AV waren signifikant unterschiedlich mit ToM-assoziierten neuralen Aktivierungen und mit dem Volumen von Hirnregionen assoziiert, die in die Emotions­regulation involviert sind. Die Ergebnisse dieser Arbeit tragen zu einem besseren Verständnis der biologischen Aspekte von Bindung bei. Sie liefern weitere Hinweise, wie sich die neuro­biologischen Grundlagen der sozialen Kognition im Zusammenspiel von Bindungs­sicherheit und Genetik möglicherweise entwickeln.
Umfang:125 Seiten
DOI:10.17192/z2017.0572