Neurophysiologische Korrelate auditiver Sprachverarbeitung im Mandarin-Chinesischen: Zum Einfluss von Animatheit, Coverben und Verbtypen auf transitive Argument-Relationen

Thema der vorliegenden Arbeit ist die inkrementelle Sprachverarbeitung von transitiven Satzkonstruktionen im Mandarin-Chinesischen. In diesem Zusammenhang spielen nominale Elemente (als Verb-Argumente) und deren semantische Eigenschaften, morphologische Markierungen, Verbtypen und Wortstellungsregel...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Philipp, Markus
Beteiligte: Bornkessel-Schlesewsky, Ina (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2010
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Thema der vorliegenden Arbeit ist die inkrementelle Sprachverarbeitung von transitiven Satzkonstruktionen im Mandarin-Chinesischen. In diesem Zusammenhang spielen nominale Elemente (als Verb-Argumente) und deren semantische Eigenschaften, morphologische Markierungen, Verbtypen und Wortstellungsregeln eine wesentliche Rolle. Die empirische Beobachtung der Verarbeitungsprozesse erfolgt mittels der Ableitung von Hirnstrompotentialen (EEG) der Probanden, bei gleichzeitiger Präsentation auditiver Stimuli. Die Potentiale werden zeitlich relativ zu den sprachlichen Stimulusereignissen (jeweiliger Wortbeginn) gemittelt. Der wesentliche Fokus dieser Arbeit liegt auf der Rolle des Belebtheitsmerkmals der Argumente sowie deren linearer Anordnung in transitiven Sätzen des Mandarin-Chinesischen. Die lineare Ordnung steht in Beziehung zu den thematischen Rollen, die diese Argumente übernehmen. Semantische Rollen werden zwar vom jeweiligen Satzverb bestimmt, trotzdem kennt das Chinesische Möglichkeiten, den Charakter und die lineare Abfolge der thematischen Rollen für die Argumentpositionen unabhängig vom Verb festzulegen. Eine solche Funktion übernehmen die für das Chinesische charakteristischen Coverben „bă“ und „bèi“. Für beide Coverben gilt, dass sie die lineare Anordnung der Argumente und des Verbs hin zu einer NNV-Abfolge (N=Nomen, V=Verb) fixieren, wobei das Coverb zwischen die Argumente tritt (N-bă-NV sowie N-bèi-NV). Während die bă-Konstruktion dabei eine Agens-Patiens-Abfolge festlegt, bestimmt die bèi-Konstruktion eine Patiens-Agens-Abfolge. Für beide Konstruktionstypen ist zwar das neutrale Pendant NVN bzw. SVO möglich, allerdings nicht bedeutungsgleich. Weitere wichtige Unterschiede zwischen den beiden Coverb-Konstruktionen sind: In der bă-Konstruktion dürfen nur transitive Verben eines bestimmten Charakters auftreten, auch als „disposal“- oder „causative“-Bedeutung bekannt (Li & Thompson 1981). Für die bèi-Konstruktion gilt diese Beschränkung hinsichtlich der Verbsemantik nicht, allerdings wird sie meist mit einer „adversativen“ Lesart in Verbindung gebracht („adversatives Passiv“, Huang 1999, adversativer Charakter = psychische Affizierung durch das Ereignis). In den ersten Kapiteln der vorliegenden Arbeit (Kapitel 1 - 4) wird zunächst aus theoretischer Sicht diskutiert, weshalb die traditionellen Begriffe „Subjekt“ und „Objekt“ bzw. „Agens“ und „Patiens“ nicht optimal sind, um diese beiden Konstruktionstypen des Mandarin-Chinesischen zu beschreiben (Kapitel 1). Es wird vorgeschlagen, unter Aufgreifen der Arbeiten von Primus (1999) und Van Valin (2005) bzw. Van Valin & LaPolla (1997), den Begriff der Makrorollen („Actor“ und „Undergoer“, Van Valin & LaPolla 1997) bzw. Proto-Rollen („Proto-Agent“ und „Proto-Patient“, Primus 1999) für die Beschreibung anzusetzen. Aus psycholinguistischer Perspektive wird anschließend dargestellt, in welcher Weise das Animatheitsmerkmal der Argumente auf die inkrementelle Verarbeitung von transitiven Konstruktionen Einfluss nimmt (Kapitel 4). Es wird argumentiert, dass das „extended Argument Dependency Model“ (eADM; Bornkessel & Schlesewsky 2006, Bornkessel-Schlesewsky & Schlesewsky 2009) aufgrund der Implementierung von Prominenzhierarchien und generalisierten semantischen Rollen (GRs) am besten in der Lage ist, die Wirkungsweise der Coverben bei der Verarbeitung der Argumente in präverbaler Position zu beschreiben (Kapitel 3). In Experiment I steht der Einfluss des satzfinalen Verbs der bă-Konstruktion sowie das Animatheitsmerkmal des zweiten Argumentes (NP2) im Vordergrund (Manipulationen: bă-Kompatibilität des Verbs, auf den Satz bezogene Plausibilität der bă-kompatiblen Verben, Belebtheitswechsel von NP2 bei stets animater NP1, parallel die neutrale NVN-Wortstellung). In Experiment II wurden unter Verwendung der bă- und der bèi-Konstruktion die lineare Abfolge der thematischen Rollen der Argumente sowie deren Animatheitsmerkmal systematisch manipuliert. Hier liegt der Fokus der Datenanalyse auf den präverbalen Argumenten. Die Resultate von Experiment II (siehe unten) gaben Anlass, die Abfolge der thematischen Rollen Coverb-bezogen in Experiment III nochmals zu variieren. Unter Ausnutzung von Relativsatzkonstruktionen (Kopffinalität) konnte die bă-Konstruktion in eine Undergoer-vor-Actor-Abfolge und die bèi-Konstruktion in eine Actor-vor-Undergoer-Abfolge überführt werden. Die wesentlichen Ergebnisse aus Experiment I für die verbfinalen Konstruktionen sind ein N400-Effekt für nicht mit bă kompatible Verben (vgl. Ye et al. 2007) sowie ein N400-Effekt für die Bedingung mit animater NP2 (jeweils für die Verbposition). Die Experimente II und III ergaben einen N400-Effekt für eine unbelebte NP2, wenn das vorausgehende Argument der Undergoer ist (relationaler Animatheits- bzw. Prominenz-Effekt), sowie für die bèi-Konstruktion einen positionsunabhängigen N400-Effekt für ein unbelebtes Undergoer-Argument bei belebtem Actor (Adversativ-Effekt). Es wurden folgende Schlussfolgerungen gezogen: Die bă-Kompatibilität des Verbs ist abhängig von der Telizitätsbeschränkung, die durch das Coverb auferlegt wird. Das Coverb „bă“ grenzt die Interpretation des geschilderten Ereignisses in einem transitiven Satz auf einen telischen Charakter ein, weshalb nur Verben zulässig sind, die diese Interpretation ermöglichen. Die prominenzbasierten Animatheitseffekte resultieren aus erhöhter kognitiver (semantischer) Interferenz zweier aktivierter Konzepte während der Etablierung der Prominenz-Hierarchie (zweite NP) bzw. des Verb-Argument-Linkings (Verbposition). Der Adversativ-Effekt konnte durch die „bèi“-spezifische Eigenschaft erklärt werden, die Interpretation des Undergoer-Arguments (NP1) auf die Rolle des Experiencers einzuschränken. Die Daten zeigen somit, dass sich in einer konkreten Einzelsprache sprachübergreifend beobachtbare Prozesse (Argument-Hierarchisierung über Prominenzmerkmale) und einzelsprachliche Besonderheiten (interpretative Einschränkung und pragmatische Funktionalität) gleichermaßen direkt auf die inkrementelle Sprachverarbeitung auswirken können.
DOI:10.17192/z2010.0760