Zusammenfassung:
Die Dissertation beschäftigt sich mit dem Überbringen schlechter Nachrichten im Kontext der Neonatologie. In der Medizin bezieht sich das Überbringen schlechter Nachrichten auf negative Informationen in Bezug auf Diagnose, Therapie und Prognose. Die Aufklärung darüber erfolgt in ärztlichen Gesprächen. Basierend auf einer systematischen Literatursuche wurde in der vorliegenden Arbeit die Sicht neonatologischer Ärzt*innen und betroffener Eltern kranker Früh- und Neugeborener zum Überbringen schlechter Nachrichten erhoben.
Die Aufnahme eines Früh- oder kranken Neugeborenen auf einer neonatologischen Intensivstation (NICU) stellt für die Eltern eine Ausnahmesituation dar, mit Gefühlen von Angst, Hilflosigkeit und Kontrollverlust (Al Maghaireh et al., 2016; Gateau et al., 2021; Schecter et al., 2020). Weltweit wird etwa jedes 16. Neugeborene temporär auf einer NICU aufgenommen (Haidari et al., 2021). In Deutschland verbrachten 2021 etwa 13% aller Neugeborenen einige Zeit auf einer NICU (Bundesqualitätsbericht 2022 Perinatalmedizin, Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen, 2022; Statistisches Bundesamt, 2023).
Studien zeigen generell, dass die Kommunikation zwischen Ärzt*innen und Patient*innen/Angehörigen deren psychisches Wohlbefinden beeinflusst und Stress und negative Emotionen (experimentelle Kontrollstudien (Schmid Mast et al., 2005; Zwingmann et al., 2017), Metaanalyse (Schnur et al., 2008)) auslösen kann. Auch in der Neonatologie beeinflusst die Kommunikation elterliches Coping (Review; Labrie et al., 2021), Stresserleben (Orzalesi & Aite, 2011) oder Selbstmanagement (Review; Wreesmann et al., 2021). Das Überbringen schlechter Nachrichten führt dabei sowohl bei Überbringer*innen als auch Empfänger*innen zu Stress, weshalb Gesprächsempfehlungen hilfreich sind. Eine der am häufigsten gelehrten Empfehlungen ist das SPIKES-Protokoll von Baile (Setting, Perception, Invitation, Knowledge, Emotion, Strategy & Summary; Baile et al., 2000). Jedoch stammt die Literatur zum Überbringen schlechter Nachrichten überwiegend aus der Onkologie, mit vorrangig expertengenerierten Empfehlungen zum patientenzentrierten Überbringen schlechter Nachrichten (Baile et al., 2000; Witt & Jankowska, 2018). In der Neonatologie gibt es nur wenige Studien zu Grundlagen, Empfehlungen und Auswirkungen des Überbringens schlechter Nachrichten (z.B. Bernstein & Lemmon, 2021; Boss et al., 2017; Marçola et al., 2020; Strauss et al., 1995).
Daher wurde eine qualitative Inhaltsanalyse (Mayring, 2015) von Expert*innenmeinungen (neonatologische Ober-/Chefärzt*innen) durchgeführt und wichtige Determinanten für das gelungene Überbringen schlechter Nachrichten generiert (Seifart et al., 2022): Der konzeptionelle Rahmen NEO-SPEAK (Neonatale prognostische Unsicherheit, Begegnung (Encounter), Organisation und Teamarbeit - Situativer Stress, Prozesshaftigkeit, Emotionale Belastung, Beachtung der Individualität (Attention), Wissen und Erfahrung (Knowledge)) benennt wichtige Bestandteile für gelungenes Übermitteln schlechter Nachrichten in der Neonatologie aus Expert*innensicht (ebd., 2022).
Die Elternsicht wurde anhand einer prospektiv angelegten querschnittbasierten quantitativen Fragebogenstudie erhoben, mit Vergleich der elterlichen Präferenzen zum Überbringen schlechter Nachrichten mit ihren tatsächlichen Erfahrungen und Erfassung der Gesprächsqualität (Wege et al., 2023a). Zudem wurde untersucht, ob sich die psychische Gesundheit von Eltern und ihre Beziehung zu Ärzt*innen in Abhängigkeit von ihrem Bildungsstand im Kontext des Überbringens schlechter Nachrichten unterschied (Wege et al., 2023b). Der für die Elternbefragung konzipierte Fragebogen orientierte sich an den einzelnen SPIKES-Komponenten, sowie vorangegangenen Expert*innen- und Elterninterviews (Wege et al., 2023a).
Die Mehrheit der elterlichen Präferenzen für das Überbringen schlechter Nachrichten unterschied sich bedeutsam von ihren berichteten Erfahrungen mit ärztlichen Aufklärungsgesprächen. Die Gesprächsqualität, in Form von Zufriedenheit, korrelierte am stärksten mit einer mitfühlenden Art des Arztes/der Ärzt*in, sowie einer verständlichen Erklärung der Erkrankung des Kindes (Wege et al., 2023a). Eltern mit niedrigerem Bildungsstand berichteten signifikant weniger Vertrauen in die Ärzt*innen sowie ein geringeres Gefühl von Sicherheit aufgrund des Gesprächs, in welchem schlechte Nachrichten überbracht wurden, als Eltern mit höherem Bildungsstand. Beide Gruppen berichteten von großer Erschöpfung sowie höherer Hilflosigkeit im Vergleich zur Normgruppe. Depressivität und Ängstlichkeit waren im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung für beide Gruppen erhöht. Die Möglichkeit Fragen zu stellen korrelierte bei allen Eltern hoch mit der durch das Gespräch vermittelten Orientierung und Sicherheit. Nur bei weniger gebildeten Eltern korrelierte das Sicherheitsgefühl hoch mit der im Gespräch vermittelten Hoffnung (Wege et al., 2023b). Ärzt*innen sollten daher neben der Vermittlung von Informationen darauf achten, auch Hoffnung zu vermitteln.