Zusammenfassung:
Diese Arbeit befasst sich mit der Untersuchung der Wirkmechanismen von Placebo-effekten sowie deren Nutzen und Anwendbarkeit in medizinischen Behandlungen. Die Erwartung der Patient*innen an ihre Behandlung hat sich für verschiedene Erkrankungen und insbesondere im Bereich akuter Schmerzen als zentraler Placebomechanismus erwiesen. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich dieser Einfluss zwischen verschiedenen Symptombereichen unterscheidet, sodass experimen¬telle Evidenz für weitere Patient*innen-gruppen notwendig ist. Neben der Erwartung der Patient*innen stellt die Arzt–Patient Beziehung einen weiteren Wirkmechanismus von Placeboeffekten dar. Dabei scheinen verschiedene Kommunikations¬aspekte relevant zu sein, für die bisher noch keine einheitliche Konzeptuali¬sierung vorliegt. Eine Klassifizierung von Kommunikationsstilen (arztzentriert vs. patientenzentriert) ist in anderen Forschungsbereichen üblich und könnte auch für die Untersuchung von Placeboeffekten ein sinnvolles Konzept darstellen. Wenn Placebo-interventionen in der Praxis angewendet werden, was der Großteil der Allgemein-mediziner*innen tatsächlich regelmäßig tut, können damit zwar Erwartungseffekte sowie die Arzt–Patient Beziehung genutzt werden, jedoch steht die Täuschung durch das Placebo im Gegensatz zu ethischen Grundsätzen. Als mögliche Lösung für diese ethische Problematik dienen sogenannte offene, also transparent angebotene Placebo¬anwendungen (open-label placebos, OLPs), welche sich bereits für verschiedene Symptombereiche als wirksam erwiesen haben. Aufbauend auf dieser Studienlage präsentiert die folgende Arbeit experimentelle Studien zur genaueren Untersuchung der genannten Placebomechanismen, also Behandlungserwartungen und ärztlicher Kommunikation. Im Folgenden werden diese Studien kurz zusammengefasst.
Placebo¬effekte und Behandlungserwartungen können laut Metaanalysen bei der pharmakologischen Behandlung depressiver Störungen eine große Rolle spielen. Um diese Effekte aber gezielt nutzen zu können, ist zunächst experimentelle Evidenz über deren genaue Wirksamkeit erforderlich. In einer ersten experimentellen Studie wird daher untersucht, ob eine Placeboeinnahme bei Patientinnen mit depressiver Störung (N = 94) einer anschließenden Traurigkeitsinduktion entgegenwirken kann und welche Rolle dabei die Erwartung an das Placebo spielt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Placeboeinnahme unter der Erwartung, ein schnell¬wirkendes Anti¬depressivum zu erhalten, trotz der experimentellen Traurigkeitsinduktion zu einer Verringerung der Traurigkeit führt. Es werden dabei deutlich größere Effekte gefunden, als in einer Pilotstudie mit gesunden Probandinnen.
In einer zweiten experimentellen Studie wird eine standardisierte Interaktion zwischen Behandler*in und Patient*in gemäß der genannten Kommunikationsstile entwickelt und in einem für die Placeboforschung typischen experimentellen Paradigma implementiert. So gelingt ein wissenschaftlicher Basisschritt für eine spätere systematische Untersuchung dieser Kommunikationsstile im Zusammenhang mit Placeboeffekten. In der vorliegenden Studie wird zunächst untersucht, inwiefern der ärztliche Kommunikationsstil die Bereitschaft zu einer Medikamenteneinnahme innerhalb des Placeboparadigmas beeinflusst. Gesunde Proban-dinnen, die ein Konsultationsgespräch in einem patientenzentrierten Kommunikations¬stil erhalten, zeigen anschließend eine höhere Bereitschaft, ein vorgeblich leistungs¬steigerndes Medikament vor einem Konzentrationstest einzunehmen, als Kontroll¬proban¬dinnen, die kein Konsultations¬gespräch erhalten.
Um die praktische Anwendbarkeit ethisch vertretbarer OLP-Behandlungen zu erörtern, wird abschließend eine Online-Vignettenstudie mit einer großen Stichprobe der Allgemeinbevölkerung (N = 798) präsentiert. Die Teilnehmer*innen erwarten dabei von einem Placebo mit Täuschung (deceptive placebo, DP) zur Behandlung einer Schlafstörung eine höhere Wirksamkeit als von einem OLP. Überraschenderweise bewerten sie das DP trotz der Täuschung auch als ethisch akzeptabler als das OLP.
Diese Dissertation unterstreicht durch experimentelle Daten die Anwendbarkeit und den Nutzen verschiedener Placebo¬mechanismen zur Optimierung von medizinischen Behandlungen. So sind durch die Induktion positiver Erwartungen große Placeboeffekte bei Patientinnen mit depressiver Störung zu erreichen. Außerdem wird gezeigt, dass der ärztliche Kommunikations¬stil Auswirkungen auf die Bereitschaft zu einer Medikamenteneinnahme haben zu scheint. Um Placebo¬behandlungen jedoch ethisch vertretbar in den klinischen Alltag zu integrieren, muss die Akzeptanz entsprechender ethisch vertretbarer Interventionen (OLP) in der Bevölkerung weiter erhöht werden.