Zusammenfassung:
Invasive Pilzinfektionen zählen zu den gefürchteten Komplikationen nach allogener Stammzelltransplantation, da sie mit hohen Mortalitätsraten verbunden sind. Um ihnen vorzubeugen hat sich die Einführung einer antimykotischen Prophylaxe mit Fluconazol bewährt. Auch nicht-medikamentöse Maßnahmen, wie beispielsweise Ausstattung der Patientenzimmer mit HEPA-Filtern, können zur Prophylaxe beitragen. Als anerkannter Risikofaktor für das Auftreten einer invasiven Pilzinfektion nach allogener Stammzelltransplantation gilt das Entwickeln einer schweren GvHD. Für diese Patientengruppe wird anstatt der Standardprophylaxe mit Fluconazol eine Aspergillus-wirksame Prophylaxe mit Posaconazol empfohlen.
Am Universitätsklinikum Marburg halten sich alle Patienten, die mittels allogener Stammzelltransplantation therapiert werden, konsequent in mit HEPA-Filtern ausgestatteten Patientenzimmern auf. Fluconazol wird als Standardprophylaxe zunächst grundsätzlich beibehalten, auch im Falle einer schweren GvHD. Es wird vielmehr auf klinische Anzeichen einer Pilzinfektion geachtet und eine frühzeitige CT-Bildgebung veranlasst. Bei klinischem Verdacht oder CT-morphologischer Zeichen einer möglichen Pilzinfektion wird unverzüglich auf eine Aspergillus-wirksame Therapie mit Voriconazol oder Posaconazol umgestellt. Nur bei Patienten, die wegen einer invasiven Pilzinfektion im Rahmen der Vortherapie bereits eine Aspergillus-wirksame Therapie erhalten hatten, wird eine Aspergillus-wirksame Prophylaxe nach allogener Stammzelltransplantation weiter fortgeführt. Ziel der vorliegenden Studie war es, die Inzidenz und Mortalitätsrate an invasiven Pilzinfektionen unter der beschriebenen Prophylaxestrategie zu analysieren. Zudem sollten mögliche Risikofaktoren für das Auftreten einer invasiven Pilzinfektion untersucht werden.
Für die vorliegende retrospektive Kohortenstudie wurden Daten von insgesamt 290 Patienten ausgewertet, die im Zeitraum Mai 2002 bis August 2011 am Universitätsklinikum Marburg mittels allogener Stammzelltransplantation therapiert worden sind. Es wurde ein Beobachtungszeitraum von zwei Jahren nach Transplantation festgelegt. Als primärer Endpunkt wurde das Auftreten einer invasiven Pilzinfektion definiert. Weitere Endpunkte waren Gesamtüberleben und Tod eines Patienten aufgrund einer invasiven Pilzinfektion. Für die weitere Auswertung wurden die Patienten in eine Standard- und eine Risikogruppe unterteilt. Der Risikogruppe wurden Patienten zugeteilt, die entweder an einer akuten GvHD II-IV° oder einer chronischen extensiven GvHD litten und in dem Zusammenhang zusätzlich eine immunsuppressive Therapie erhielten. 90 Patienten erfüllten die Kriterien der Risikogruppe. Ob ein Patient eine invasive Pilzinfektion nach allogener Stammzelltransplantation entwickelte, wurde anhand der Kriterien der EORTC/MSG Gruppe geprüft und entsprechend den Kategorien „proven“, „probable“ oder „possible“ zugeordnet. Der Schwerpunkt lag hier auf der Auswertung von CT-Thoraxaufnahmen nach Transplantation. Mit Hilfe des Programmes IBM SPSS Statistics, Version 22.0 wurde die statistische Auswertung durchgeführt. Mittels deskriptiver Statistik wurden die Inzidenz und Mortalität invasiver Pilzinfektionen sowohl im Gesamtpatientenkollektiv als auch in der Risikogruppe ermittelt. Für die univariate Analyse möglicher Risikofaktoren wurde der Logrank-Test, für die multivariate Analyse die Cox-Regression verwendet.
Im Gesamtpatientenkollektiv betrug die Inzidenz der Entwicklung einer invasiven Pilzinfektion 8,97% (n=26/290). Ein Patient verstarb an den Folgen der Infektion, wodurch die Letalitätsrate der invasiven Pilzinfektionen im Gesamtpatientenkollektiv bei 3,85% (n=1/26) lag. Innerhalb der Risikogruppe betrug die Inzidenz 7,78% (n=7/90). Keiner der Risikopatienten verstarb an einer invasiven Pilzinfektion. Als einziger signifikanter Risikofaktor für das Auftreten einer invasiven Pilzinfektion nach allogener Stammzelltransplantation stellte sich in dieser Studie innerhalb des Gesamtpatientenkollektivs eine stattgehabte Pilzinfektion vor allogener Stammzelltransplantation heraus (25,81% vs. 6,95%; p<0,005). Die Signifikanz blieb in der multivariaten Analyse bestehen (HR=5,298; p=0,001). Innerhalb der Risikogruppe konnte eine Pilzvorinfektion nicht als signifikanter Risikofaktor bestätigt werden. In Bezug auf die Auswahl der Prophylaxe (Fluconazol vs. Aspergillus-wirksame Prophylaxe) nach Transplantation zeigte sich weder im Gesamtkollektiv (10,0% vs. 11,67%; p=0,433) noch innerhalb der Risikogruppe (6,58% vs. 14,29%; p=0,094) ein signifikanter Unterschied.
Letztendlich konnte in dieser retrospektiven Studie gezeigt werden, dass die Prophylaxestrategie am Universitätsklinikum Marburg bei niedriger Inzidenz und sehr geringer Letalität an invasiven Pilzinfektionen weiterhin vertretbar ist. Voraussetzungen hierfür sind entsprechende Hygienebedingungen wie HEPA-Filter sowie eine frühzeitige CT-Bildgebung bei klinischem Verdacht auf eine Pilzinfektion mit daraus resultierender frühzeitiger Umstellung der Prophylaxe auf eine definitive Aspergillus-wirksame Therapie. Als einziger unabhängiger Risikofaktor stellte sich eine Pilzvorinfektion heraus. Dieses Patientenkollektiv sollte gezielt mit einer Aspergillus-wirksamen Prophylaxe behandelt werden, um ein vermehrtes Auftreten invasiver Pilzinfektionen zu vermeiden.