Zusammenfassung:
Diese Dissertation beschäftigt sich hauptsächlich mit der Federbalkendynamik in der elektrochemischen Verformungsmikroskopie (ESM). Zunächst wurde ein geeignetes Modell entwickelt und mathematisch beschrieben. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Durchführung und Auswertung praktischer Messungen wurden anschließend theoretisch analysiert und praktisch demonstriert. Es wurde gezeigt, wie die Phase und die Amplitude des Messsignals quantifiziert und wie verschiedene Anregungsarten unterschieden werden können. Weiterhin wurde demonstriert, dass unzureichende Resonanzverfolgung in Dualfrequenz-Resonanzverfolgungs-Messungen zu systematischen Fehlern führt.
Im ersten Teil wurde ein Modell zur Federbalkendynamik in ESM entwickelt. Dieses Modell wurde anschließend angewendet, um die absolute Phase zwischen der angelegten Wechselspannung und der anregenden Probenverformung oder elektrostatischen Kraft zu bestimmen.
In ESM-Messungen wird eine Wechselspannung an die Spitze angelegt, was zu Ionen- und Elektronentransport in der Probe führt. Dadurch kann sich einerseits die Probe periodisch verformen und andererseits können periodische elektrostatische Kräfte wirken. Beides regt eine Schwingung des Federbalkens an, welche mit Hilfe eines am Balken reflektierten Lasers gemessen wird. Um aus dieser gemessenen Schwingung die tatsächliche Probenverformung oder elektrostatische Kraft zu ermitteln, muss die Federbalkendynamik untersucht werden. Daher wurde in dieser Veröffentlichung ein detailliertes Modell der Federbalkendynamik entwickelt und mathematisch beschrieben. Das Modell kombiniert Eigenschaften verschiedener früherer Modelle und beinhaltet einige neue Aspekte, wodurch es deutlich detaillierter als seine Vorgänger ist. Die wichtigsten Neuerungen sind die Berücksichtigung der Spitzenmasse sowie eine nicht-lokale elektrostatische Anregung, die nicht gleichförmig auf den Balken verteilt ist.
Dieses Modell wurde benutzt, um die Phase zwischen der angelegten Wechselspannung und der Probenverformung beziehungsweise elektrostatischen Kraft zu quantifizieren. Die Phase, die zwischen der Wechselspannung und dem Messsignal gemessen wird, beinhaltet zusätzlich einen durch Dämpfung erzeugten Beitrag zwischen der anregenden Kraft und der tatsächlichen Balkenschwingung sowie einen instrumentellen Fehler. Mit Hilfe des Modells konnte gezeigt werden, dass der Beitrag der Dämpfung invers proportional zur Dämpfungsstärke ist und für typische Messungen vernachlässigt werden kann. Anschließend wurde eine Probe mit bekannter Phase zwischen Wechselspannung und Verformung gemessen, um den instrumentellen Phasenfehler zu bestimmen. Durch Messungen mit verschiedenen Federbalken konnte gezeigt werden, dass dieser Fehler linear von der Frequenz abhängt. Es wurde in weiteren Messungen demonstriert, dass dieser instrumentelle Fehler und, falls nötig, der Dämpfungsbeitrag von der gemessenen Phase abgezogen werden kann. Dadurch wird die gewünschte Phase zwischen Wechselspannung und Probenverformung beziehungsweise elektrostatischer Kraft erhalten.
Im zweiten Teil wurden die Resonanzanalysemethoden Dualfrequenz-Resonanzverfolgung (DART) und Bandanregung (BE) verglichen. Hierbei wurden Korrelationen zwischen der Kontaktresonanzfrequenz und der gemessenen Amplitude beobachtet. Mit dem Modell aus dem ersten Teil konnte gezeigt werden, dass sowohl die Kontaktresonanzfrequenz als auch die Sensitivität des Messsignals gegenüber der Anregung von der Kontaktsteifigkeit bestimmt werden. Die beobachteten Änderungen der gemessenen Amplitude sind somit keine Änderung der tatsächlichen Anregungsstärke, sondern lediglich Schwankungen in der Sensitivität. Die sich daraus ergebenden Korrelationen sind für verschiedene Anregungsarten unterschiedlich. Durch einen Vergleich der experimentellen mit simulierten Korrelationen konnte gezeigt werden, dass sowohl auf einem reinen Ionenleiter als auch auf einem Gemischtleiter mit niedriger elektronischer Leitfähigkeit die elektrostatische Anregung dominiert. Für den reinen Ionenleiter konnte durch eine Abschätzung der Zeitkonstanten für die Doppelschichtbildung (die eine elektrostatische Anregung erzeugt) und für die chemische Diffusion (die zu Probenverformung führt) gezeigt werden, dass hier nur elektrostatische Anregung erwartet wird.
Im dritten Teil wurde die Sensitivität des Messsignals gegenüber der Anregungsstärke genauer untersucht. Zunächst wurde ein Vorgehen entwickelt, mit dem aus experimentellen Größen die für die Simulation benötigten Parameter ermittelt werden können. Hierbei werden die erste und zweite freie Resonanz analysiert und daraus die Balkenmasse und Spitzenmasse bestimmt. Die Kontaktparameter werden anschließend aus der Kontaktresonanz erhalten.
Anschließend wurde gezeigt, wie sich die Form der Balkenschwingung mit der Kontaktsteifigkeit ändert. Im nächsten Schritt wurden die durch Anregung eingebrachte Leistung und die durch Dämpfung dissipierte Leistung verglichen. Dadurch konnten für die verschiedenen Anregungsarten mathematische Formeln erhalten werden, die die Sensitivität als Funktion der Form der Balkenschwingung ausdrücken. So wurde mathematisch begründet, warum die Sensitivität des Messsignals gegenüber den verschiedenen Anregungsarten unterschiedliche Abhängigkeiten von der Kontaktsteifigkeit zeigt. Entsprechend werden auch unterschiedliche Korrelationen zwischen Kontaktresonanzfrequenz und scheinbarer Amplitude erhalten. Durch einen Vergleich mit experimentellen Korrelationen kann so die Anregungsart ermittelt werden. Dies wurde auf ferroelektrischem LiNbO3 und Natriumionen-leitendem Soda-Lime Glas demonstriert.
Diese Analyse wurde auf höhere Biegemoden ausgedehnt. Auch hier zeigte die Korrelationsanalyse das erwartete Verhalten. Eine weitere Möglichkeit zur Identifizierung der Anregung ist der Vergleich der Sensitivitäten zwischen den verschiedenen Biegemoden. Auch hier konnte auf beiden Proben das erwartete Verhalten beobachtet werden, wobei auf dem Soda-Lime Glas zwischen lokaler und nicht-lokaler elektrostatischer Anregung unterschieden werden muss. Weiterhin wurde beobachtet, dass die Sensitivität des Signals gegenüber der nicht-lokalen elektrostatischen Anregung in höheren Biegemoden sehr gering ist. Dies liegt daran, dass die Form der Schwingung in höheren Biegemoden Knotenpunkte aufweist. Entsprechend kann immer nur ein Teil der Balkenschwingung in Phase mit der anregenden Kraft sein. Der andere Teil bewegt sich genau entgegengesetzt und wirkt der Anregung entgegen. Die nicht-lokale elektrostatische Kraft ist oft ein unerwünschter Signalbeitrag, da er keine Informationen über die Probeneigenschaften unterhalb der Spitze enthält. Durch Messungen in höheren Biegemoden kann dieser Beitrag unterdrückt werden.
Im vierten Teil wurde untersucht, welche Fehler durch eine unzureichende Frequenzverfolgung in DART-Messungen entstehen. Bei DART-Messungen werden die Amplitude und Phase bei je zwei Frequenzen um die Resonanzfrequenz gemessen. Aus diesen vier Messgrößen werden dann die vier Parameter des Modells eines gedämpften harmonischen Oszillators (DHO) berechnet: Anregungsamplitude, Anregungsphase, Resonanzfrequenz und Verstärkungsfaktor. Zusätzlich werden die Anregungsfrequenzen laufend an die Resonanzfrequenz angepasst. Falls sich das System wie ein idealer gedämpfter harmonischer Oszillator verhält, sollten die ermittelten DHO-Parameter unabhängig von den genauen Anregungsfrequenzen sein. Anhand experimenteller Resonanzpeaks konnte jedoch gezeigt werden, dass reale Systeme vom DHO-Modell abweichen und sich besser mit dem im ersten Teil entwickelten Modell beschreiben lassen.
Mit diesem Modell wurde vorhergesagt, dass die berechnete Anregungsamplitude und der berechnete Verstärkungsfaktor fehlerhaft werden, wenn die Anregungsfrequenzen nicht symmetrisch um die Resonanzfrequenz liegen (Verfolgungsfehler). Die Fehler für die Anregungsamplitude und den Verstärkungsfaktor sind hierbei gleich groß, aber mit unterschiedlichem Vorzeichen und jeweils proportional zum Verfolgungsfehler. Diese Vorhersage wurde auf ferroelektrischem LiNbO3 bestätigt. Die Abweichungen vom DHO-Modell und die Größe des entstehenden Fehlers werden durch die sich ändernde Form der Federbalkenschwingung bestimmt. Anschließend wurde der Einfluss des Verfolgungsfehlers anhand von Messungen auf dem Kathodenmaterial LiCoO2 demonstriert. Die Probe zeigt an unterschiedlichen Stellen unterschiedliche Kontaktresonanzfrequenzen. Während einer Messung können die Anregungsfrequenzen nicht beliebig schnell an die Kontaktresonanzfrequenz angepasst werden, wodurch ein Verfolgungsfehler entsteht. Dieser Verfolgungsfehler führt zu Artefakten in der berechneten Anregungsamplitude, die durch einen Vergleich mit dem Verfolgungsfehler und dem Verstärkungsfaktor identifiziert werden können. Dieser Vergleich sollte generell bei DART-Messungen durchgeführt werden, um reale Effekte von Artefakten aus der Resonanzanalyse zu unterscheiden.