Zusammenfassung:
Kontaminationskinetik von Beatmungssystemen
bei künstlich beatmeten Patienten
Die Inzidenz, eine Pneumonie zu erleiden liegt bei beatmeten Patienten
zwischen 10% und 25% und ist damit um ein Vielfaches höher als bei nicht
beatmeten Patienten. Aus präventiv-medizinischer Sicht kommt damit der
Prophylaxe einer Beatmungspneumonie die größte Bedeutung zu.
Teil dieser Präventionsstrategie ist ein sachgerechter und hygienischer Umgang
mit Beatmungsgeräten und Beatmungssystemen. Eine sehr zeit- und
personalaufwändige Maßnahme ist der routinemäßige Wechsel der Beatmungssysteme.
Während aber der Wechsel selbst als hygienisch sinnvoll erachtet wird,
gibt es zu den Wechselintervallen heterogene Ansichten und kaum fundierte
mikrobiologische Untersuchungen. Bislang wurden mit unterschiedlichen
Argumentationen Wechselintervalle von 24-48 Stunden aber auch bis zu 14 Tagen
vorgeschlagen. Voraussetzung für die Entwicklung hygienisch sinnvoller und
ökonomisch vertretbarer Richtlinien für den Umgang mit beatmeten Patienten und
den maschinellen Beatmungseinheiten sind detaillierte Kenntnisse über die
Kontaminationskinetik an den Schnittstellen Mensch und Beatmungseinheiten.
In diese Arbeit wurde im Rahmen einer randomisiert, kontrollierten Studie der
Frage nachgegangen, welchen Einfluss unter Einbezug endogener sowie exogener
Kontaminationsvektoren unterschiedliche Wechselintervalle und zwei verschiedene
Möglichkeiten der Atemgaskonditionierung auf die bakterielle Kontamination der
Beatmungssysteme nehmen.
Ziel der Arbeit war es unter Einbezug analysierter Kontaminationswege
ökonomische und hygienisch sichere Leitlinien für den Umgang mit
Beatmungssystemen bezüglich der Systemart und der Wechselintervalle zu
entwickeln.
In einem Zeitraum von 6 Monaten wurden auf einer chirurgischen Intensivstation
allen länger als 2 Tage beatmeten Patienten nach einem EDV-gestützten
Randomisierungs-prozess Beatmungswechselintervalle (2/3 oder 7 Tage) und
Beatmungssystem (System I oder System II) zugeordnet.
Alle 48-72 Stunden wurden an drei standardisierten Systembereichen definierte
Untersuchungsproben zur quantitativen und qualitativen mikrobiologischen
Analytik entnommen und in definierten Zeitabständen (2x/Woche)
Untersuchungsmaterial aus Trachea (Absaugsekret), Rachen (Abstriche) und
Magen (Sekret, definiertes Volumen) mikrobiologisch qualitativ und wenn möglich
quantitativ analysiert.
Insgesamt wurden in einem Zeitraum von 6 Monaten 62 Patienten in die Studie
eingeschlossen und bezüglich der Kontaminationscharakteristik in den
luftführenden Systemen untersucht.
Es konnte gezeigt werden, dass bei beatmeten Patienten die bakterielle
Kolonisation der luftführenden Organ- und Beatmungssysteme im wesentlichen
über endogene Wege verläuft.
In Abhängigkeit von der Veränderung der Azidität gelang im Magen der Nachweis
von Enterobakterien, deren Spezies im weiteren Behandlungsverlauf dann auch im
Rachen, Trachea und sekundär in den Beatmungssystemen nachgewiesen werden
konnten. Wir fanden in den Systemen aber auch typische ubiquitär vorkommenden
Umweltkeime (Corynebacterium jeikeium, Acinetobacter baumannii,
Burkholderia cepacia), die sekundär im Krankenhausmilieu über Personal,
Besucher und Mitpatienten übertragen als ursprünglich exogene Keime auf den
Patienten gelangen und dann entweder primär (eher selten) als auch sekundär
die Beatmungssysteme besiedeln konnten.
Die technische Auslegung des eingesetzten Beatmungssystems erwies sich
ebenfalls als bedeutsam.
Hier konnten zwischen den beiden in der Studie verwendeten Systemen
Besiedlungsunterschiede festgestellt werden, die auf der Basis der
dargestellten Ergebnisse zur Forderung nach Beatmungssysteme führt,
die eine Atemgasaufbereitung mit minimaler Interventionsnotwendigkeit durch das
behandelnde Pflegepersonal ermöglichen.
System I mit einer höheren Interventionsnotwendigkeit zeigte verglichen mit
System II eine signifikant höhere Kontaminationsrate mit exogenen
Erregern (p < 0,05).
Die bakterielle Kontamination der Beatmungssysteme zeigte unabhängig von
Systemart und Wechselintervall eine deutliche Relation zum Beatmungsmodus und
damit zusammenhängend zur Vigilanz der Patienten. Insgesamt stieg die
Kontaminationsrate von 12% bei kontrolliert beatmeten Patienten (CPPV)
höchst signifikant (p < 0,001) bis auf 49% bei Patienten im minimalen
Unterstützungsmodus (CPAP/ASB) an.
In Abhängigkeit von der initialen Bronchial-kolonisation konnte nach
Systemwechsel eine frühzeitige bakterielle Kontamination von Beatmungssystemen
gezeigt werden.
Der temporale Kontaminationsverlauf zeigte bei insgesamt drei untersuchten
Patienten mit verschiedenen Beatmungsmodi bei sicherem Kontaminationspotential
bereits nach 90 Minuten im Beatmungssystem Kontaminations-raten,
die nach 6-8 Stunden bereits über Durchschnittsniveau anstiegen und im
weiteren Verlauf konstant blieben.
Die mikrobiologischen Befunde bestätigen und verifizieren die bekannten und in
der Literatur diskutierten Ergebnisse der gleichbleibenden oder sogar
abnehmenden Pneumonieinzidenz bei Verlängerung des Beatmungswechselintervalls
von 1-2 Tage auf 7 Tage auf mikrobiologischer Ebene, sofern man einen
Zusammenhang zwischen im System nachgewiesenen Keimen und dem Auftreten einer
Pneumonie postuliert.
Es ist davon auszugehen, das als Ursache der hohen Pneumonieinzidenz beatmeter
Patienten die stille Aspiration kontaminierter Sekrete (Magen, Oropharynx)
in das tracheo-pulmonale System in Verbindung mit den pathophysiologischen
Folgen einer artifiziellen Beatmung (positive Drucke, Umgehung physiologischer
Infektabwehrmechanismen) anzusehen ist.
Die Beatmungssystem-Kontamination ist eher als nachgeordnetes Geschehen zu
beurteilen.
Damit ist das Wechselintervall von Beatmungssystemen bezüglich des Entstehens
einer nosokomialen Infektion, wenn überhaupt, nur von untergeordneter
Bedeutung.
Nach diesen Befunden sind wir zu dem Schluss gekommen bei beatmeten Patienten
ein Beatmungssystem-Wechselintervall von 7 Tagen zu empfehlen, da ein
früherer Wechsel keinerlei Vorteile für den Patienten darstellt, sondern
unnötig die Gefahr einer bakteriellen Kontamination des Beatmungssystems
erhöht und Personal- und Sachressourcen beansprucht.