Illiberale Demokratisierung. Eine Geschichte der Sicherheitskultur des Deutschen Kaiserreichs 1871–1914

Die Dissertation zeigt auf, dass mit dem Ansatz der historischen Sicherheitsforschung ein Deutungsangebot gemacht werden kann, das disparate empirische Themenfelder zu einer Neuperspektivierung des Deutschen Kaiserreichs verknüpft. Zur Erfassung unterschiedlicher Entwicklungen, Dynamiken und Akteure...

Szczegółowa specyfikacja

Zapisane w:
Opis bibliograficzny
1. autor: Bruns, Tobias
Kolejni autorzy: Conze, Eckart (Prof. Dr.) (Promotor doktoranta)
Format: Dissertation
Język:German
Wydane: Philipps-Universität Marburg 2022
Hasła przedmiotowe:
Dostęp online:PDF pełnotekstowe
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Opis
Streszczenie:Die Dissertation zeigt auf, dass mit dem Ansatz der historischen Sicherheitsforschung ein Deutungsangebot gemacht werden kann, das disparate empirische Themenfelder zu einer Neuperspektivierung des Deutschen Kaiserreichs verknüpft. Zur Erfassung unterschiedlicher Entwicklungen, Dynamiken und Akteure wird auf den politikwissenschaftlichen Ansatz der Sicherheitskultur zurückgegriffen. Hiermit wird – bezogen auf das Kaiserreich – ein gesellschaftlicher und politischer Aushandlungsrahmen beschrieben, in dem unterschiedlichste Themen konvergierende Entwicklungen vollzogen, weil sie denselben Konjunkturen sich verändernder Bedrohungswahrnehmungen und -zuschreibungen unterworfen waren. Identifiziert werden diese sicherheitskulturellen Charakteristika und Veränderungen durch die Analyse von Bedrohungskommunikation als konkreter Indikator eines Ansatzes der Versicherheitlichung, womit die Herstellung von Sicherheitsrelevanz bezeichnet wird. Als empirische Untersuchungsfelder dienen der Arbeiterschutz, der Freihandels und die Prostitution. Diese Themengebiete werden auf Grundlage einer historisch-semantischen Vorarbeit ausgewählt, die Bezüge für möglichst weite Teile der Gesellschaft herausarbeitet. Auf Grundlage der empirischen Untersuchung von Bedrohungskommunikation – vor allem in Reichstagsdebatten, Publikationen und Vortragsabdrucken – können in allen drei Themen überschneidende Entwicklungen nachgewiesen werden. Als Schablonen übereinandergelegt ergeben sie ein kohärentes Bild bestimmender Bedrohungswahrnehmungen, das in einem zweiten literaturbasierten Schritt unter Einbeziehung zahlreicher verschiedener disparater Fallbeispiele als charakteristisch für die gesamte Sicherheitskultur des Kaiserreichs abstrahiert wird. Während in den Reichsgründungsjahren der Fokus zeitgenössischer Bedrohungsdiskurse auf international konnotierten Bedrohungen der soeben erreichten nationalstaatlichen Souveränität lag, stellte zwischen 1878 und der Jahrhundertwende das Bedrohungsszenario einer (sozialistischen) Revolution den Mittelpunkt der deutschen Sicherheitskultur dar, auf das sich alle gesellschaftlichen und politischen Akteure beziehen mussten, um außergewöhnliche Maßnahmen zu plausibilisieren. Dabei verwendeten auch die Sozialdemokraten selbst die Furcht vor einem sozialistischen Umsturz zur Durchsetzung eigener Anliegen. Dies hatte freilich zur Folge, dass entsprechende Ängste nicht weniger wurden, sondern anstiegen. Als 1890 bisherige staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Sozialdemokratie wegfielen oder zu versagen schienen, wurde schließlich ein gesamtgesellschaftlicher Aushandlungsprozess über den richtigen Weg im Umgang mit der Arbeiterbewegung in Gang gesetzt. Tatsächlich stand im Ergebnis eine Entsicherheitlichung der Sozialdemokratie; sie wurde nun nicht mehr als konsensuale Bedrohung wahrgenommen, was auch ihre zunehmende Integration in die kaiserliche Gesellschaft ermöglichte. Zur – als mehrjährige Übergangsphase verstandene – Jahrhundertwende setzte sich stattdessen die biologisierte Nation als zentrales sicherheitskulturelles Referenzobjekt durch. In Begleitung und Wechselwirkung zum sicherheitskulturellen Aushandlungsprozess der 1890er Jahre begann zeitgleich ein, zunächst unterschwelliger, Bedeutungsgewinn der Nation als Referenzobjekt. Über die gemeinsame Bezugnahme nahezu sämtlicher gesellschaftlicher Akteure auf die Nation – nicht zuletzt auch der Sozialdemokraten selbst – entstand ein neues sicherheitskulturelles Referenzobjekt, das den revolutionsbezogenen Aushandlungsprozess überwölbte und transzendierte. Der Zugriff auf die Nation erfolgte dabei primär über die Figur der Bevölkerung als geteilte Projektionsfläche von nationsbezogenen Bedrohungswahrnehmungen. Diese waren zum einen qualitativ geprägt, was sich in der Vorstellung eines fortlaufenden Degenerationsprozesses und der Popularisierung der Eugenik ausdrückte. Qualitative bevölkerungspolitische Bedrohungsszenarien standen jedoch hinter quantitativen zurück. In den anderthalb Jahrzehnten nach der Jahrhundertwende setzte sich immer stärker die Sorge vor einem Bevölkerungsrückgang als Gefährdungsfaktor im sozialdarwinistischen Wettkampf der Nationen durch. Die genaue Ausprägung dieser Biologisierung des Sozialen konnte durchaus vielfältig sein, war prinzipiell deutungsoffen und stellte einen Weg zur Inklusion unterschiedlichster, auch zuvor versicherheitlichter Akteure in die Nation dar. Aus einer sicherheitshistorischen Perspektive wird dabei ein politischer und gesellschaftlicher Demokratisierungsprozess deutlich, da ein immer größerer Teil der Gesellschaft in den sicherheitskulturellen Aushandlungsprozess eingebunden und zugleich der Staat zunehmend in seiner Deutungshoheit und Handlungsautonomie eingeschränkt wurde. Dieser Demokratisierungsprozess fand allerdings unter illiberalen Vorzeichen statt, die sich einerseits durch die Eigenheiten der Versicherheitlichung, aber auch den Aufstieg des Referenzobjekts der biologisierten Nation erklären lassen. Denn letzterer machte auch bestimmte exkludierende Bedrohungsvorstellungen sicherheitskulturell anschlussfähig. Wenn auch keineswegs beabsichtigt, verhalfen Sozialdemokraten, Linksliberale und Feministinnen mit der Verwendung von bevölkerungspolitischer Bedrohungskommunikation Radikalnationalisten, Antisemiten und Rassehygieniker dabei, auf bestimmte Minderheiten – wie Juden, Polen und Homosexuelle – zielende Gefahrenszenarien zu plausibilisieren. Während der Zeit des Kaiserreichs hatte dies auf praktischer und legislativer Ebene nur geringe Konsequenzen. Infolge des als Katalysator existierender Dynamiken wirkenden Ersten Weltkriegs, der Novemberrevolution und schließlich der Weltwirtschaftskrise radikalisierten sich die etablierte biologistischen Bedrohungsvorstellungen jedoch zunehmend. Auch dieser Prozess war zunächst deutungsoffen, begünstigte aber letztlich die Feinde der Weimarer Republik, nicht zuletzt die Nationalsozialisten.
Opis fizyczny:488 Seiten
DOI:10.17192/z2024.0046