Evaluierung intrinsischer und extrinsischer Gefährdungsursachen heimischer Libellenarten auf unterschiedlichen räumlichen Skalen

Biodiversität beinhaltet drei Teilbereiche: taxonomische, phylogenetische und funktionale Diversität. In den letzten Jahrzehnten wurden der allgemeine Verlust der Biodiversität, meistens gleichgesetzt mit einem Verlust der Artenvielfalt, seine Ursachen und die am meisten gefährdeten Organismen viel...

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Franke, Sophia
Beteiligte: Brandl, Roland (Prof.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2023
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Biodiversität beinhaltet drei Teilbereiche: taxonomische, phylogenetische und funktionale Diversität. In den letzten Jahrzehnten wurden der allgemeine Verlust der Biodiversität, meistens gleichgesetzt mit einem Verlust der Artenvielfalt, seine Ursachen und die am meisten gefährdeten Organismen viel diskutiert (Butchart et al., 2010; Newbold et al., 2015; Sala et al., 2000). Insekten bilden einen wichtigen Teilbereich der weltweiten Land- und Süßwasserbiodiversität (Mora, Tittensor, Adl, Simpson, & Worm, 2011; Stork, 2018). Sie leisten essentielle Ökosystemdienstleistungen wie Zersetzungsprozesse und Bestäubung (Cardoso et al., 2020; Macadam & Stockan, 2015; Santos et al., 2020). Vor allem in den dicht besiedelten Gebieten der nördlichen Erdhalbkugel sind Insektenrückgänge gut dokumentiert (Montgomery et al., 2020). Insektensterben und rückgänge bedeuten nicht alleinig den Verlust einer Art, sondern eben auch den Verlust von Biomasse, einzigartigen ökologischen Funktionen und grundlegenden Bestandteilen extensiver Netzwerke biotischer Interaktionen (Cardoso et al., 2020). Das Konzept von Ökosystemdienstleistungen weckte das Bewusstsein der Menschheit für die Wichtigkeit von Insekten in ihrem Lebensumfeld (Ari, Hortal, Azcárate & Berg, 2018; Reilly et al., 2020), aber dennoch sind Insekten unterrepräsentiert in der Forschungsliteratur. Daraus resultierend verläuft sowohl die Umsetzung als auch die Entwicklung von insektenbezogenen Schutzmaßnahmen schleppend (Basset & Lamarre, 2019). In den vergangenen Jahren wurden viele Strategien entwickelt um den weltweiten Rückgang der Biodiversität aufzuhalten (Butchart et al., 2010). Wichtige Werkzeuge dafür sind zum Beispiel internationale und nationale Rote Listen, die Flora-Fauna-Habitat Richtlinie oder Langzeit-Monitoringprogramme, die versuchen sämtliche Gefährdungen von Arten abzuschätzen (Gruber et al., 2012; Lindenmayer, Piggott & Wintle, 2013). Kenntnis der Gefährdungspotentiale hilft Ansätze und Methoden für den Schutz von Arten zu entwickeln (Primack, 2014). Die Gefährdungsursachen von Arten lassen sich in extrinsische und intrinsische Faktoren unterteilen. Extrinsische Faktoren terrestrischer Habitate umfassen beispielsweise landwirtschaftliche Intensivierung, Habitatverluste, verminderte Verbindung zwischen Habitaten sowie Stickstoffeinträge (Jan C. Habel et al., 2019; Seibold et al., 2019). Intrinsische Faktoren beziehen sich auf funktionelle Merkmale wie morphologische, physiologische, verhaltensbezogene oder phänologische Eigenschaften, die auf Individuumsebene messbar sind und deren Interaktion mit ihrer Umwelt beeinflussen (McGill, Enquist, Weiher, & Westoby, 2006; Violle et al., 2007; Wong, Guénard, & Lewis, 2019). Naturschutzstrategien konzentrieren sich vor allem auf den Schutz von Biotopen (z.B. besondere Schutzgebiete) und Prozessen (z.B. natürliche Waldentwicklung). Aufgrund der nahezu flächendeckenden Verfügbarkeit von Verbreitungsdaten für Arten basieren solche Strategien zumeist auf taxonomischen Grundlagen, hauptsächlich auf der Anzahl der Arten (Mammides, 2019; Miller, Jolley-Rogers, Mishler, & Thornhill, 2018; Zupan et al., 2014). Diese Strategien ignorieren folglich jedoch funktionale und phylogenetische Komponenten der Diversität (Vane-Wright, Humphries, & Williams, 1991; Veron, Davies, Cadotte, Clergeau, & Pavoine, 2015). Dabei sind es genau diese Unterschiede, beziehungsweise die Variabilität zwischen den Arten, die entscheidend für zukünftige Anpassungen an sich ändernde Umweltbedingungen sind (Faith, 1992; Vane-Wright et al., 1991). Ein augenscheinliches Beispiel ist die hohe taxonomische Diversität in urbanen Gebieten, deren Artzusammensetzung jedoch aus eng verwandten Arten besteht und somit nur eine reduzierte phylogenetische Diversität aufweist (Knapp, Kühn, Schweiger, & Klotz, 2008; Riedinger, Müller, Stadler, Ulrich, & Brandl, 2013). Die Bedeutung solcher Orte für den Schutz der Biodiversität hängt daher maßgeblich vom phylogenetischen Kontext der vorkommenden Arten ab (Ibáñez-Álamo, Rubio, Benedetti, & Morelli, 2017). Thuiller et al. (2015b) zeigten, dass eine zufällige Auswahl von Schutzgebieten zweckmäßiger für den Schutz funktioneller und phylogenetischer Diversität von Säugetieren, Vögeln, Amphibien und Reptilien gewesen wäre als das bestehende Natura-2000-Gebietsnetz. Die wissenschaftliche Disziplin funktionaler und phylogenetischer Untersuchungen entwickelt und verbessert sich stetig. In den letzten Jahrzehnten nahm die Verfügbarkeit und Qualität beispielsweise von Stammbaumdaten sowie standardisierten Artmerkmalsdaten für verschiedene Taxa zu. Ein ähnlicher Zusammenhang besteht für Artmerkmalsdaten und merkmalsbasierte Untersuchungen (Wong et al., 2019). Die Verfügbarkeit dieser Daten und die sich daraus ergebende Möglichkeit zwischen verschiedenen Arten Vergleiche ziehen zu können, wächst kontinuierlich und kommt so der steigenden Nachfrage nach Vergleichsstudien, die z.B. die Beziehung von Merkmalen und dem Aussterberisiko untersuchen, entgegen (Chichorro, Juslén, & Cardoso, 2019). Die Basis für vergleichende Studien sind standardisierte Messmethoden, beispielsweise für die Erhebung von Artmerkmalen (Moretti et al., 2017) und eine vergleichbare Güte der jeweiligen Stammbäume. Libellen und Schmetterlinge sind gut untersuchte Insektenordnungen. Daher existiert eine Vielzahl von Artdaten und kompletten Stammbäumen. Libellen haben einen hoch spezialisierten Lebenszyklus. Ihre Larvenstadien entwickeln sich ausschließlich in stehenden (z.B. Seen) oder fließenden Gewässern (z.B. Bächen) (Corbet, 1999). Ihre fliegenden Imagos benötigen sowohl Gewässer, zum Beispiel zur Eiablage, als auch terrestrische Habitate zum Jagen (Corbet, 1999). Süßwasserhabitate bedecken lediglich 2,4% der Landmasse der Erde (Allan et al., 2015; Lehner & Döll, 2004), wodurch sie zu anfälligen Habitaten werden. Die Nachfrage nach Frischwasser erhöht sich ständig, beispielsweise durch einen erhöhten anthropogenen Bedarf an Trinkwasser oder künstlicher Bewässerung. Zeitgleich zeigen Studienergebnisse am Beispiel von Libellen, dass sich Populationen in ihren Habitaten schnell wieder erholen können, wenn sich die Gegebenheiten aufgrund von Umweltauflagen und Renaturierungsmaßnahmen verbessern (Termaat, Van Grunsven, Plate, & Van Strien, 2015). Zudem belegen sie in solchen Fällen eine generelle Zunahme der Häufigkeit von Süßwasserinsekten im Vergleich zu terrestrischen Insekten (van Klink et al., 2020). Wir untersuchten intrinsische und extrinsische Gefährdungsursachen auf unterschiedlichen räumlichen Skalen. Die Hauptart unserer Analysen waren Libellen. Mit surrogaten Arten zu Arbeiten um Priorisierungen im Naturschutz vorzunehmen, ist eine gebräuchliche Methode im Naturschutz (Larsen, Bladt, & Rahbek, 2009; Margules & Pressey, 2000). Vorteile davon sind beispielsweise das Wegfallen kosten- oder zeitintensiver Arterfassungen (Yong et al., 2018). Die Reaktion unterschiedlicher Arten auf bestimmte Umwelteinflüsse korrelieren, aber die Stärke dieser Kongruenz über Arten hinweg variiert stark und die Antworten sind komplex (Aubin, Venier, Pearce, & Moretti, 2013). Diese artspezifischen Muster von Diversität unterstreichen die Wichtigkeit von Multitaxa-Analysen für einen gelungenen Naturschutz im Sinne der Natur und des Erhalts der Biodiversität. Wir sind außerdem davon überzeugt, dass Anstelle eines Rückgriffs auf surrogate Arten, Informationen vieler verschiedener Artengruppen kombiniert werden sollten, um einen effektiven Naturschutz gestalten zu können. Deswegen haben wir unser Standard-Artspektrum für das Manuskript “Predicting regional hotspots of phylogenetic diversity across multiple species groups” um Vögel, Fledermäuse, Schmetterlinge und Heuschrecken erweitert. Das Manuskript “Modelling the extinction risk of European butterflies and odonates” wurde um Schmetterlinge erweitert. Auf Landkreisebene haben wir die Abhängigkeit der Artanzahl von lokalen Habitatparametern untersucht sowie deren Veränderung im Laufe der Zeit, gemessen in Jahren, die seit dem Ausbaggern der untersuchten Teiche vergangen sind. Auf Bundeslandebene untersuchten wir den Zusammenhang zwischen der standardisierten phylogenetischen Diversität verschiedener Arten und lokalen Habitat- und Klimavariablen. Europaweit machten wir eine vergleichende, phylogenetisch-kontrollierte merkmalsbasierte Studie mit Schmetterlingen und Libellen um deren Aussterberisiko zu analysieren.
DOI:10.17192/z2023.0656