Leistungserwartungen und neuropsychologische Defizite bei Menschen mit depressiven Störungen - Ein experimentelles Design zur Untersuchung des Zusammenhangs von induzierten Leistungserwartungen und der Leistungsperformanz in der neuropsychologischen Facette des verbalen Gedächtnisses

Hintergrund: Dysfunktionale Erwartungen können als Kernsymptom depressiver Störungen verstanden werden. Erkenntnisse aus der Verhaltenspsychologie legen nahe, dass Erwartungen grundsätzlich durch Interventionen modifizierbar sind und kognitive sowie motorische Leistungen darüber beeinflusst werden k...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: von Schumann, Julia Maria
Beteiligte: Mehl, Stephanie (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2023
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Hintergrund: Dysfunktionale Erwartungen können als Kernsymptom depressiver Störungen verstanden werden. Erkenntnisse aus der Verhaltenspsychologie legen nahe, dass Erwartungen grundsätzlich durch Interventionen modifizierbar sind und kognitive sowie motorische Leistungen darüber beeinflusst werden können. Beobachtbare Placeboeffekte und vielversprechende Ergebnisse aus der Therapieforschung für Angsterkrankungen machen Hoffnung darauf, dass Erwartungseffekte auch in der Therapie von Depressionen, beispielsweise als Erwartungsfokussierte Psychotherapeutische Interventionen (EFPI), eine Rolle spielen könnten. Bisher wurde allerdings noch nicht untersucht, ob Erwartungseffekte auch einen Einfluss auf die Leistungsfähigkeiten in defizitären neuropsychologischen Bereichen wie dem verbalen Gedächtnis haben können. Zielsetzung: Ziel dieser Studie war es daher, zum einen die Beeinflussbarkeit der aufgabenspezifischen Leistungserwartung durch positives Feedback zu untersuchen und zum anderen den Zusammenhang zwischen positivem Feedback und der Leistung im verbalen Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis bzw. zwischen der Leistungserwartung und der Testleistung zu analysieren. Methodik: Zu diesem Zweck wurde auf Grundlage einer Vorstudie ein Online-Experiment entwickelt, in dem die verbale Gedächtnisleistung und die situationsspezifischen Leistungserwartungen bei depressiven Personen (n = 76) untersucht wurden. Zunächst wurde die aufgabenspezifische Leistungserwartung erhoben und eine erste Version des verbalen Lern- und Merkfähigkeitstests bearbeitet. Anschließend wurde der Experimentalgruppe (n = 39) ein standardisiert positives Leistungsfeedback präsentiert, während die Kontrollgruppe (n = 37) einen neutralen Informationstext erhielt. Daraufhin wurde erneut die aufgabenspezifische Leistungserwartung abgefragt und eine zweite Version des verbalen Lern- und Merkfähigkeitstests absolviert. Die Entwicklung der Leistungserwartung zwischen den beiden Testdurchläufen, die Entwicklung der Testleistung im verbalen Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis und der Zusammenhang der beiden Aspekte wurden in den jeweiligen Gruppen analysiert und verglichen. Ergebnisse: Die statistischen Analysen zeigten, dass die Leistungserwartung, wie vorhergesagt, in der Experimentalgruppe (positives Feedback) zwischen den beiden Erhebungszeitpunkten signifikant mehr zunahm als in der Kontrollgruppe (neutrales Feedback), sodass von einer positiven Beeinflussbarkeit der aufgabenspezifischen Leistungserwartung durch positives Feedback auszugehen war. Hingegen ließ sich in der Experimentalgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe keine signifikant größere Leistungsverbesserung im verbalen Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis zwischen den beiden Testdurchläufen feststellen, was nicht dem erwarteten Effekt entsprach. Außerdem zeigte sich in der Experimentalgruppe entgegen der Vermutung kein signifikant positiver Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Leistungserwartung und der Entwicklung der Testleistung zwischen den beiden Erhebungszeitpunkten. Vielmehr deuteten die Ergebnisse auf einen signifikant negativen Zusammenhang hin. Diskussion: Die Ergebnisse der Untersuchung legen nahe, dass eine Induktion positiver Leistungserwartungen bezüglich eines neuropsychologischen Testverfahrens durch positives Feedback möglich ist. Dies steht im gewissen Widerspruch zu Forschungsarbeiten, die kognitive Immunisierungsstrategien im Rahmen von depressiven Erkrankungen als Hindernis für eine positive Erwartungsanpassung beschreiben. Methodische Unterschiede werden als Grund diskutiert; möglicherweise könnte die Stichprobencharakteristik einen entscheidenden Einfluss besitzen. Eine positive Beeinflussbarkeit der getesteten Gedächtnisleistung durch positives Feedback bzw. positive Leistungserwartungen schien jedoch nicht möglich zu sein, was ein wesentlicher Unterschied zu Gesunden sein könnte. Als mögliche Erklärung für den überraschend negativen Zusammenhang zwischen der Leistungserwartung und der Testleistung wird ein spezifisches Defizit im motivationalen bzw. volitionalen Verhalten diskutiert, das die scheinbar widersprüchliche negative Auswirkung von positivem Feedback bzw. positiven angegebenen Erwartungen auf die Testleistung aufklären könnte. Ausblick: Zukünftige Arbeiten sollten insbesondere die Zusammenhänge zwischen positivem Feedback und neuropsychologischen Testleistungen tiefergehend untersuchen. Die zusätzliche Messung von Motivation und Anstrengung könnten das bisherige experimentelle Paradigma in einem persönlichen Setting sinnvoll ergänzen. Auf klarer definierte Stichprobenkriterien, beispielsweise hinsichtlich der Akuität des Krankheitsbildes oder der Symptomschwere, sollte geachtet werden. Ein besseres Verständnis der beobachteten Zusammenhänge könnte wichtige Konsequenzen für die Weiterentwicklung psychotherapeutischer bzw. kognitionstherapeutischer Maßnahmen in der Depressionsbehandlung mit sich führen.
DOI:10.17192/z2023.0387