Neurophysiologische Korrelate der Verarbeitung von kohärenter Bewegung bei Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störungen

Die Autismus-Spektrum-Störungen (ASD) gehören zu den Tiefgreifenden Entwicklungsstörungen und sind durch Beeinträchtigungen in der sozialen Kommunikation und Interaktion gekennzeichnet. Eine Grundlage für die Interpretation von sozialen Kontexten ist die Wahrnehmung von visuellen Informationen und i...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Dunkel, Juliane
Beteiligte: Kamp-Becker, Inge (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2023
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Die Autismus-Spektrum-Störungen (ASD) gehören zu den Tiefgreifenden Entwicklungsstörungen und sind durch Beeinträchtigungen in der sozialen Kommunikation und Interaktion gekennzeichnet. Eine Grundlage für die Interpretation von sozialen Kontexten ist die Wahrnehmung von visuellen Informationen und insbesondere der Verarbeitung von Bewegung. Diese Verarbeitung von Bewegung erfolgt vor allem über den dorsalen Pfad des visuellen Systems (Area MT/V5). Bei Untersuchungen zur visuellen Informationsverarbeitung zeigten Menschen mit ASD ein Defizit in der Wahrnehmung kohärenter Bewegung, also zusammenhängender und gleichzeitiger Bewegung. Da Personen mit ASD eine höhere Schwelle bei der Erkennung von kohärenter Bewegung zeigten, entstand die Theorie eines Defizits im dorsalen Pfad des visuellen Systems. Die Untersuchung dieser Theorie auf neurophysiologischer Ebene, vor allem mittels fMRT, ergab bisher uneinheitliche Ergebnisse. Eine weitere Möglichkeit der Erfassung neurophysiologischer Prozesse, besonders der zeitlichen Abläufe der Verarbeitung von Bewegungswahrnehmung, stellt die Messung ereigniskorrelierter Potentiale (ERP) während entsprechender Aufgaben dar. ERP spiegeln generell höhere Verarbeitungsprozesse des Kortex wider und die N200 stellt das dominante Potential bei der Erfassung von kohärenter Bewegung dar. Ein Defizit im dorsalen Pfad, auf dem die Informationen über kohärente Bewegung zur Area MT/V5 gelangen, müsste daher eine Minderaktivität bedingen und sich somit in einer reduzierten Amplitude der N200 widerspiegeln. Zur Überprüfung der Hypothese eines Defizits im dorsalen Pfad bei ASD wurde eine Untersuchung der Bewegungswahrnehmung mit 16 Kindern und Jugendlichen mit ASD und 12 normal entwickelten Kontrollpersonen durchgeführt. In der vorliegenden Studie erfolgte die Bearbeitung eines „Random dot kinematogram“ (RDK) unter Ableitung eines 64-Kanal-EEGs. Die Aufgabe bestand aus einer Präsentation von Punkten mit zunächst zufälliger Bewegung einer Punktwolke, aus der heraus die kohärente Bewegung einer bestimmten Anzahl von Punkten nach rechts oder links erfolgte (abhängig vom Kohärenzniveau 20%, 40% oder 60% der Punkte). Die Probanden sollten die Bewegungsrichtung der Punkte angeben. Es wurden Verhaltensdaten und EEG aufgezeichnet. Nach Auswertung der EEG-Daten ergab sich neben der N200 (indikativ für basale Bewegungswahrnehmung) als Hauptpotential noch eine spätere Positivität, hier P400 (indikativ für kognitive Bewertungs- bzw. Entscheidungsprozesse) genannt. Im Gruppenvergleich fand sich hierbei ein signifikanter Unterschied für die Amplitude der N200: die Teilnehmer mit ASD zeigten eine kleinere Amplitude als die Kontrollgruppe. Die Latenz der N200 unterschied sich nicht signifikant zwischen beiden Gruppen. Für die Amplitude und Latenz der P400 zeigte sich kein Gruppenunterschied. Bei der Auswertung der Verhaltensdaten fanden sich keine Gruppenunterschiede. Die Arbeit konnte somit zeigen, dass bei Kindern und Jugendlichen mit ASD auf neurophysiologischer Ebene eine abweichende Verarbeitung von kohärenter Bewegung stattfindet. Eine reduzierte Amplitude der N200 lässt auf ein Defizit in der Verarbeitung von kohärenter Bewegung, insbesondere in den frühen Anteilen des dorsalen Pfades schließen, bei erhaltenen kognitiven, bewertenden Prozessen. Die vorliegende Studie leistet somit einen wichtigen Beitrag zum Verständnis neurophysiologischer Grundlagen von Bewegungswahrnehmung als potentielle Grundlage sozial-kommunikativer Auffälligkeit bei ASD.  
Umfang:82 Seiten
DOI:10.17192/z2023.0358