Angst und Furcht in der Ratte - über den Einfluss situationsspezifischer und biologischer Faktoren auf das Spektrum der Ultraschallvokalisationen

Für das Verständnis pathologischer Angstzustände ist eine änderungssensitive Modellierung von Angst und Furcht in entsprechenden Modellorganismen unerlässlich. In Ratten wird die Emission von Ultraschallvokalisationen (USV) gemeinhin als Ausdruck emotionaler Erregung verstanden, der an unterschiedli...

Ausführliche Beschreibung

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Willadsen, Maria
Beteiligte: Wöhr, Markus (Prof. Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2022
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:Für das Verständnis pathologischer Angstzustände ist eine änderungssensitive Modellierung von Angst und Furcht in entsprechenden Modellorganismen unerlässlich. In Ratten wird die Emission von Ultraschallvokalisationen (USV) gemeinhin als Ausdruck emotionaler Erregung verstanden, der an unterschiedlich valente Situationen gekoppelt ist. Hierbei werden appetitive Situationen wie Spielverhalten, Paarung und die Gabe von Suchtmitteln mit Vokalisationen in einem Frequenzbereich von um die 50 kHz assoziiert. Aversive Zustände, wie die akute Bedrohung durch Fressfeinde oder ähnlich bedrohliche Manipulationen im Labor werden hingegen mit Vokalisationen in einem Frequenzbereich von um die 22 kHz in Verbindung gebracht. Es wird vermutet, dass sich die Produktion von 50- und 22-kHz USV gegenseitig ausschließt, da sie von grundverschiedenen, neuronalen Mechanismen gesteuert werden, was die Betrachtung von 50-kHz USV in aversiven Kontexten bis jetzt weitgehend ausschloss. Eine klare Dichotomie der USV-Produktion lässt sich jedoch nicht aufrechterhalten, da sowohl inhärent appetitive Situationen durchaus von 22-kHz USV begleitet werden können, während 50-kHz USV ebenso in nicht explizit belohnenden oder sozialen Kontexten emittiert werden. Stattdessen soll gezeigt werden, dass sich USV-Emission in einem Spektrum vollzieht, das die Produktionen von 50- oder von 22-kHz USV in Abhängigkeit von situationsspezifischen und biologischen Faktoren wahrscheinlicher macht. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Betrachtung von Angst und Furcht als distinkte Phänomene, die in unterschiedlicher Weise Einfluss auf das Spektrum der USV nehmen. Angst wird hierbei als Reaktion auf ungewisse und mehrdeutige Situationen verstanden, während Furcht als Antwort auf realistische, oft imminente Bedrohung durch spezifische Stimuli mit entsprechenden diskreten Verhaltensantworten definiert wird. In den vorliegenden Studien wurden verschiedene Methoden, Apparaturen und Tests verwendet, um die situationsspezifischen Einflüsse auf die USV-Emission untersuchen zu können. Standardprozeduren zur Messung von angstähnlichem Verhalten (erhöhtes Plus-Labyrinth) und konditionierter Furcht wurden durch die Konfrontation mit Raubtiergeruch und die pharmakologische Manipulation des affektiven Zustands in neutraler Umgebung ergänzt. Zudem wurde der Einfluss biologischer Faktoren – wie Geschlecht – und modifizierter neuronaler Transmission mittels genetischer Manipulation des serotonergen Systems, untersucht. Vor dem Hintergrund von Angst und Furcht wurden ebenso zeitlich stabile Merkmale (Traits) in Abhängigkeit der biologischen Faktoren betrachtet. Es zeigte sich, dass Angst prinzipiell mit einer Verringerung der 50-kHz USV einhergeht, während die Produktion von 22-kHz USV ausschließlich in Verbindung mit konkreten, furchtinduzierenden Stimuli auftraten. Mit Hilfe des USV-Spektrums lässt sich eine Verschiebung der USV-Emission in Abhängigkeit von Geschlecht und serotonerger Transmission zeigen. Hierbei verschieben sich die Prävalenzen für 50- und 22-kHz USV über verschiedene Situationen hinweg, da sowohl Weibchen als auch genetisch manipulierte Ratten in neuen, ungewohnten Umgebungen mehr 50-kHz USV produzieren, deren Emission mit zunehmender Aversivität der Situation länger beibehalten, und in Konfrontation mit akuter Bedrohung gleichsam weniger 22-kHz USV produzieren. Die geschlechtsabhängige Verschiebung der USV wird von einer verminderten Ängstlichkeit über verschiedene Tests hinweg begleitet. Der Einfluss serotonerger Transmission auf die Rufproduktion ist allerdings gegenläufig zu den lokomotionsbasierten Maßen von Angst und Furcht. Die Evaluation der USV-Emissionen anhand des vorgestellten Spektrums kann demnach zur gezielten Differenzierung von Angst und Furcht dienen und erlaubt somit, lokomotionsbasierte Verhaltensweisen mit Hilfe feinerer Nuancen besser interpretieren zu können. Situationsspezifische Gegebenheiten führen hierbei zu einer angstinduzierten Abnahme der 50-kHz USV oder einer furchtinduzierten Zunahme von 22-kHz USV. Biologische Faktoren wie Geschlecht, veränderte serotonerge Transmission oder allgemeine Ängstlichkeit moderieren zudem den situationsspezifischen Einfluss auf das Spektrum der USV.
Umfang:203 Seiten
DOI:10.17192/z2023.0059