Metastabile paramagnetische Zentren in Quarz aus Gesteinen des Gotthardmassivs (Schweiz) als mögliche Indikatoren geologischer Prozesse

In dieser Arbeit wurden metastabile paramagnetische Zentren in Quarz, die durch radioaktive Gesteinsstrahlung erzeugt worden sind, mittels EPR untersucht, um ihre Eignung und Zuverlässigkeit bei der Erkennung geologischer Prozesse zu ermitteln. Hierzu wurden drei Tunnelprofile im Gotthard-Massiv (Sc...

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Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Scherer, Torsten
Beteiligte: Masberg, Peter (Prof. Dr. ) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2020
Schlagworte:
Online Zugang:PDF-Volltext
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Beschreibung
Zusammenfassung:In dieser Arbeit wurden metastabile paramagnetische Zentren in Quarz, die durch radioaktive Gesteinsstrahlung erzeugt worden sind, mittels EPR untersucht, um ihre Eignung und Zuverlässigkeit bei der Erkennung geologischer Prozesse zu ermitteln. Hierzu wurden drei Tunnelprofile im Gotthard-Massiv (Schweizer Zentralalpen) ausgewählt, von denen gut dokumentierte Gesteinsproben zur Verfügung standen. Die beprobten Profile Bedretto-Fensterstollen, Furka-Basistunnel und Gotthard-Straßentunnel (Sicherheitsstollen) durchschneiden Serien polymetamorpher Para- und Orthogesteine sowie herzynische (permo-karbonische) Granitintrusionen (Rotondo-Granit, Fibbia- und Gamsboden-Granitgneis). Letztere weisen eine unterschiedliche metamorphe Überprägung auf. Im Gegensatz zu bisher mittels EPR untersuchten Gesteinsprofilen, meist Vertikalbohrungen, wurden hier erstmals Horizontalprofile untersucht, bei welchen die Quarzproben alle aus dem gleichen Temperaturbereich (20 – 32 °C) stammen, d.h. kein nennenswerter Temperaturgradient im Profil auftritt. Damit konnte der mit der Tiefe zunehmende Einfluß der Temperatur auf die Defektzentren weitestgehend eliminiert werden. Es konnten verschiedene paramagnetische Defektzentren nachgewiesen werden, von welchen insbesondere die [AlO4]0- und [TiO4/Li+]0-Zentren für die nachfolgenden Untersuchungen von Bedeutung waren. Für einige ausgewählte Proben wurde eine EPR-Tomographie des [AlO4]0-Zentrums durchgeführt, die zumindest bei diesen Proben auf eine relativ homogene Zentrenverteilung innerhalb der Quarzkörner schließen lässt. Die Radioaktivität der Gesteinsproben wurde mittels γ–Spektrometrie ermittelt, die chemische Zusammensetzung von Quarz mittels INAA. Für damit gemessene Al bzw. Ti-Konzentrationen zeigen sich keine Korrelationen mit auf Gitterplatz substituiertem Al bzw. Ti (gemessen mit EPR). Ein Teil des im Quarz enthaltenen Al bzw. Ti liegt, wie erwartet, in nicht an das Quarzgitter gebunder Form, z.B. in Mineraleinschlüssen vor. Für einige ausgewählte Proben wurden Messungen mittels LA-ICP-MS an verschiedenen Quarzkörnern einer Probe bzw. innerhalb eines Quarzkorns durchgeführt. Es zeigten sich beträchtliche Inhomogenitäten innerhalb der Körner als auch von Korn zu Korn. Die Dosisleistungsbeiträge von Gestein und Quarz wurden aus der γ–Spektrometrie des Gesteins und der Konzentrationen von U, Th u. K in Quarz ermittelt und mit den Konzentrationen der [AlO4]0- und [TiO4/Li+]0-Zentren korreliert. Es ergaben sich komplexe Abhängigkeiten. Es lassen sich gesteinstypische Trends bei gleichzeitig hoher Streuung erkennen. Quarze aus Graniten und Granitgneisen bewegen sich in ähnlichen Verhältnisbereichen und können deutlich von den Proben der polymetamorphen Serien abgegrenzt werden. Die Werte liegen hier für beide Zentren jeweils relativ nahe beieinander. Die Proben aus Gesteinen der die Granite und Granitgneise umgebenden polymetamorphen Serien zeigen eine viel stärkere Streuung, insbesondere für das [TiO4/Li+]0-Zentrum, und finden sich in einem anderen Trendbereich. In allen Tunnelprofilen treten vergleichbare Trendmuster auf. [AlO4]0-Zentren zeigen bei höherer Dosisleistung des Gesteins erwartungsgemäß im Mittel höhere Konzentrationen. Die [TiO4/Li+]0-Zentren verhalten sich jedoch gegenläufig und zeigen im Mittel geringere Konzentrationen bei höherer Dosisleistung, was auf Zentrensättigung hinweist. Die Verhältnisse zeigen deutlich eine komplexe Situation, die teilweise einen gesteinsspezifischen Ursprung zu haben scheint. Eine einfache Korrelation der auf die Gesamtdosisleistung normierten Defektzentrenkonzentrationen mit der durch künstliche 60Co-γ-Bestrahlung (1000 Gy) ermittelten γ-Empfindlichkeit für Quarzproben aus dem Bedretto-Stollen war nicht festzustellen, was bislang unbekannte Faktoren bei der Zentrenakkumulation erkennen lässt. Die Berechnung von Altersdaten aus den akkumulierten Zentrenkonzentrationen für den Bedretto-Fensterstollen zeigt ebenfalls eine starke Streuung, was unterschiedliches Zentrenakkumulationsverhalten für die verschiedenen Quarzproben zeigt. Die Anwendung der Kathodenlumineszenz (CL) an ausgewählten Proben des Bedretto-Fensterstollens bzw. Gotthard-Straßentunnels zeigte in allen Quarzproben die Einwirkung einer relativ schwachen Metamorphose und Rekristallisation. Eine Zuordnung charakteristischer CL-Peaks zu den [AlO4]0- und [TiO4/Li+]0-Zentren war nicht möglich. Zur Ermittlung der akkumulierten Zentrenkonzentrationen und deren radioaktiven sowie thermischen Abhängigkeiten wurden definierte Bestrahlungsexperimente mit 60Co-γ-Strahlung und Temperexperimente bei verschiedenen Temperaturen durchgeführt. Bei den Bestrahlungsexperimenten zeigten verschiedene Proben generell unterschiedliche Verläufe der Zentrenakkumulation, insbesondere [TiO4/Li+]0-Zentren traten schon ab Werten größer als 1000 Gy in die Sättigung ein, bei [AlO4]0-Zentren meist erst ab 10000 Gy. Erstmals durchgeführte Bestrahlungsexperimente bei erhöhten Temperaturen zeigten bei einigen Proben eine Steigerung der Zentrenakkumulation zwischen 30 °C und 100 °C, eventuell bedingt durch erhöhte Mobilität der Ladungsträger im Gitter. Isotherme Temperexperimente zeigten für [AlO4]0-Zentren eine komplizierte Zerfallskinetik, die für die jeweils untersuchten Proben unterschiedlich war. Die Ergebnisse lassen auf eine gemischte Reaktionsordnung schließen. Das jeweilige Zerfallsverhalten belegt eine unterschiedliche thermische Stabilität gleicher Zentren in verschiedenen Proben, welche auch zur Streuung der Zentrenkonzentration in Bezug auf die Dosisleistung beiträgt. [TiO4/Li+]0-Zentren zeigten generell eine geringere thermische Stabilität als die [AlO4]0-Zentren. In der vorliegenden Arbeit wurden erstmals Langzeittemperungen bei 75 °C über mehr als 2 Jahre durchgeführt, welche eine sehr komplexe Reaktionskinetik aufweisen. Es ergibt sich ein vielschichtiger Mechanismus, der nahelegt, dass die Zerfallskinetiken bei höheren T nicht direkt auf das Verhalten bei tiefen T bzw. Raumtemperatur übertragen werden können. Die Komplexität der Messdaten zeigt, dass die Zentrenkonzentration von verschiedenen Faktoren abhängt, wobei Gesteinstyp und Strahlungsintensität zum einen, Konzentration der im Quarzgitter eingebauten Al-, Ti- und Li-Atome zum anderen relevant sein können. Quarz in verschieden Gesteinstypen repräsentiert, wie erwartet, unterschiedliche geologische Vorgänge, die auch in den Defekten und deren Konzentrationen abgebildet werden können. Aber auch beim gleichen Gesteinstyp bei relativ ähnlicher geologischer Umgebung und Geschichte ergibt sich hier eine komplexe Situation. Dies lässt darauf schließen, dass nicht nur die generelle Herkunft vom Quarz sondern auch dessen Rekristallisationsgeschichte z.B. während der alpidischen Metamorphose eine Rolle spielen könnten. Die Gesteine der hier untersuchten Profile zeigen Rekristallisationsphänomene unter Ungleichgewichtsbedingungen an, oft typisch für die retrograde Metamorphose. Die komplexen Untersuchungsergebnisse weisen auf vielschichtige Abhängigkeiten hin. Es wird vermutet, dass kleinräumige geologische Prozesse, wie in erster Linie selektive Rekristallisation, thermische Anomalien, lösungsgebundene chemisch-radioaktive Transportprozesse und tektonische Vorgänge hierfür eine Rolle spielen könnten und somit die strahleninduzierten Defektzentren geeignet sein könnten, diese zu detektieren.
Umfang:395 Seiten
DOI:10.17192/z2020.0247