Transkulturelle Kompetenzen in der Psychotherapie - Relevanz, Training und Messung

Durch Globalisierung, Flüchtlings- und Migrationsbewegungen verändert sich die Bevölkerungszusammensetzung stetig: Immerhin 21% der Bevölkerung in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Zudem weisen Studien drauf hin, dass der Bedarf an psychotherapeutischer Versorgung in dieser Bevölkerungs...

Ausführliche Beschreibung

Gespeichert in:
Bibliographische Detailangaben
1. Verfasser: Reichardt, Judith
Beteiligte: Weise, Cornelia (Dr.) (BetreuerIn (Doktorarbeit))
Format: Dissertation
Sprache:Deutsch
Veröffentlicht: Philipps-Universität Marburg 2017
Schlagworte:
Online-Zugang:PDF-Volltext
Tags: Tag hinzufügen
Keine Tags, Fügen Sie den ersten Tag hinzu!
Beschreibung
Zusammenfassung:Durch Globalisierung, Flüchtlings- und Migrationsbewegungen verändert sich die Bevölkerungszusammensetzung stetig: Immerhin 21% der Bevölkerung in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Zudem weisen Studien drauf hin, dass der Bedarf an psychotherapeutischer Versorgung in dieser Bevölkerungsgruppe mindestens so hoch ist, wie bei Personen ohne Migrationshintergrund – z.B. aufgrund von Flucht- und Migrationserfahrungen oder Diskriminierung (Correa-Velez, Gifford, & Barnett, 2010; Fazel, Wheeler, & Danesh, 2005; Wells, Steel, Abo-Hilal, Hassan, & Lawsin, 2016). Damit kommt es auch in der psychosozialen Versorgung immer häufiger zu transkulturellen Begegnungen. Höhere Abbrecherquoten und geringere Therapieerfolge bei Patienten aus anderen Kulturen sprechen aber dafür, dass das hiesige Therapieangebot nicht ausreichend an dieses Klientel angepasst ist. Dafür spricht auch, dass transkulturelle Kompetenzen in der Psychotherapieausbildung kaum thematisiert und in der Regelversorgung nicht standardmäßig berücksichtigt werden. Die Notwendigkeit, transkulturelle Kompetenzen in der psychotherapeutischen Versorgung zu verbessern, ist also deutlich. Im Rahmen der vorliegenden Dissertation wurde zunächst untersucht, inwiefern Unterschiede zwischen Patientengruppen unterschiedlicher Kulturen bestehen. Anschließend wurden Möglichkeiten zur Förderung und Messung transkultureller Kompetenzen untersucht, um diesen Unterschieden Rechnung zu tragen. In Studie 1 wurden subjektive Krankheitskonzepte bezüglich psychischer Störungen zwischen iranischen und deutschen Patienten bzw. Personen der subklinisch belasteten Allgemeinbevölkerung miteinander verglichen. Es zeigte sich, dass iranische Patienten höhere Werte in emotionaler Repräsentation, Kohärenz und übernatürlicher Ursachenannahme berichteten. Da das subjektive Krankheitskonzept des Patienten Auswirkungen auf Therapieplanung und –prozess hat, liegt es nahe, dass kulturelle Unterschiede in der Therapie bei Patienten aus anderen Kulturen berücksichtigt werden müssen. Dazu bedarf es transkultureller Kompetenzen auf Seiten des Psychotherapeuten. Daher wurde in Studie 2 ein online Trainingsprogramm zur Förderung transkultureller Kompetenzen bei Psychotherapeuten entwickelt und eine geplante Evaluationsstudie (RCT) zur Überprüfung seiner Wirksamkeit vorgestellt. Das Programm wurde auf Grundlage des Konzepts zu transkulturellen Kompetenzen von Sue und Kollegen (1992) entwickelt. Es besteht aus sechs Modulen, welche Informationstexte sowie Übungen zur Selbstreflexion und Fallbeispiele umfassen. Inhaltlich behandeln sie Themen wie die Rolle der eigenen kulturellen Prägung, Vorurteile und Diskriminierung, Einfluss von Migrations- und Akkulturationsprozessen sowie kulturelle Aspekte bei Störungsmodell und Diagnostik. Im Training werden Wissen und Fertigkeiten im Umgang mit Patienten aus anderen Kulturen geschult sowie die Bedeutung der individuellen kulturellen Konzepte für die therapeutische Arbeit bewusst gemacht. Ziel des RCTs ist es, die allgemeine Wirksamkeit des Trainings zu überprüfen sowie die Relevanz der praktischen Übungsanteile für die Wirksamkeit des Programms zu untersuchen. Dazu wird ein Design gewählt, in dem drei Gruppen mit einander verglichen werden: eine Trainingsgruppe, eine Edukationsgruppe sowie eine Wartekontrollgruppe. Um die Wirksamkeit des Trainingsprogramms zu untersuchen wurde in Studie 3 das Inventar zur Erfassung transkultureller Kompetenzen bei Psychotherapeuten (TKKP) entwickelt und validiert. Wie das Training basiert es auf dem Konzept transkultureller Kompetenzen von Sue und Kollegen (1992) sowie auf den allgemeinen Wirkfaktoren für Psychotherapie (Grawe, Donati, Bernauer & Donati, 1994). Der Fragebogen besteht aus 16 Items, die sich auf die Skalen Fähigkeiten, Herausforderungen-Therapeut und Herausforderungen-Beziehung verteilen. Die Subskalen des TKKP weisen eine akzeptable Reliabilität auf, die Faktorenstruktur konnte in einer konfirmatorischen Faktorenanalyse mit gutem Model-Fit bestätigt werden. Korrelationen mit dem Big-Five-Inventory-10 (Rammstedt & John, 2007) sowie dem Multicultural Counseling Inventory (Sodowsky, Taffe, Gutkin & Wise, 1994) unterstützen die diskriminante und konvergente Validität des TKKP. Insgesamt konnte die vorliegende Dissertation zeigen, dass bestehende kulturelle Unterschiede in störungs- und therapierelevanten Konzepten zwischen Patienten unterschiedlicher Herkunft in der Psychotherapie bestehen und berücksichtigt werden müssen. Dies kann über das Training von transkulturellen Kompetenzen bei Psychotherapeuten geschehen. In Zukunft sollten Trainings wie das vorgestellte weiter entwickelt und flächendeckend angeboten werden. Besonders in der psychotherapeutischen Ausbildung ist eine standardmäßige Implementierung von Workshops zu transkulturellen Kompetenzen dringend notwendig.
Umfang:102 Seiten
DOI:10.17192/z2017.0717