Protokoll der 03. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. I, o. S.

[Datum: So, 14.05.1922 - Protokollant: Wilhelm Blume]


[...] erfreulich lebhaft verlief die am Abend des 14. angesetzte Abendaussprache, zu der unsere Ausreißer (Grotjahn, Woldt, Gawronski), die eine Tagestour über Stolpe nach [] gemacht hatten, zurück waren.

Am erregtesten wurde die Debatte bei der Anfrage Grotjahns: Warum ist Musiktheoriestunde im Unterricht der Oberstufe obligatorisch und der Zwischen[stufe] fakultativ? Grotjahn behauptet, Zeichnen sei für jedermann viel nützlicher als das Schwatzen über Musik; Rudi Frey hält das Zeichnen für weniger notwendig, da selbst im Gymnasium dieser Unterrichtsgegenstand bis Obertertia .... obligatorisch sei, während man nirgends Gelegenheit gehabt habe, über musikalische Grundbegriffe orientiert zu werden. Herr Dorn macht auf einen prinzipiellen Unterschied aufmerksam; die Zeichenstunden sollten der Praxis dienen, die obligatorische Musikstunde dem Verständnis musikalischer Kunst. Im praktischen Zeichnen könne nur der Talentierte etwas leisten, Musik verstehen könne jeder mehr oder weniger, auch der, der sie nicht praktisch ausübe. Als Grotjahn solches Verstehen ohne Können als Geseiche bezeichnete, wies Herr Dorn auf die Tatsache hin, daß doch die meisten Menschen eine Dichtung verstünden, ohne selbst Dichter zu sein. Herr Wahle, obwohl selbst passionierter Geiger, ist für fakultative Musiktheorie, aber für obligatorisches Zeichnen auch der Oberstüfler. Herr Rosolleck beantragte dazu selbst, die Sonnabendmittagstunde nur fakultativ anzusetzen, da nach seinen Erfahrungen vom letzten [Sonnabend] bei einigen Teilnehmern jegliches Interesse fehle, und somit zu befürchten sei, daß diese amusischen Menschen die anderen nur störten. Herr Blume bemerkt vor der Abstimmung, daß sie in einer wichtigen Unterrichtsangelegenheit nicht ohne weiteres gültig sein könne, zumal der Vertreter des Zeichnens nicht anwesend sei. Doch ist auch ihm eine offene Stellungnahme als Grundlage weiterer Beschlüsse sehr willkommen. Die Abstimmung über den Antrag Wahle: Musik fakultativ, Zeichnen obligatorisch ergibt Ablehnung gegen 2 Stimmen; der Antrag: auch Musikstunde fakultativ wie das Zeichnen wird gegen 4 Stimmen angenommen. Um die Ordnung im Hause zu fördern, gibt Herr Blume einige Maßnahmen bekannt und bittet um deren pünktliche Beobachtung, da man hier nicht gewillt sei, zu Zwangsmaßregeln überzugehen; nach Reinigung der Zimmer haben die Bewohner des Erdgeschosses Eimer, Scheuertuch, Besen, Schrubber, Müllschippe jedes mal an Ort und Stelle zu bringen und zwar in den schmalen Raum neben Zimmer 4, die Bewohner des 1. Stocks in die sogenannte Spielkammer. Der Tafellappen ist wie als Tischlappen zu benutzen; der Tischlappen ist stets nach Benutzung im Raum neben Zimmer 4 aufzuhängen. Stiefel sind nie im Zimmer zu putzen, sondern bei gutem Wetter draußen, bei schlechtem [Wetter] im Holzstall oder im Bodenraum über der dort ad hoc aufgestellten Kiste.

Für Aufbewahrung der Gerätschaften übernimmt Erich Ulm die Verantwortung; Hans Woldt wird zum Zeitschriftenwart ernannt.

Eine Anregung des Herrn Blume, in einiger Zeit die Napoleonaufführung im Schauspielhaus zu besuchen, fand einmütige Zustimmung; alle bis auf einen wollten gern mitfahren.

[...]. Trotzdem die Abendaussprache bis in die 10. Abendstunde gewährt hatte, ließen es sich einige nicht nehmen, schon um 5 Uhr, mit Gießkannen bewaffnet, zum Feld zu eilen, [...].



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