Protokoll der _. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. VII, o.S.

[Datum: Mo, 11.01.1932 - Protokollant: Jürgen Ortmann]


Nachdem Helmut Schultze ein kleines Musikstück vorgetragen hatte, begannen wir mit den Ämterwahlen, die einen recht lebhaften und ungewöhnlich lauten Verlauf nahmen. Die Ausschußwahlen schlossen sich an, wonach Jensen als Ausschuß den dritten Punkt der Tagesordnung zur Debatte stellte, Chefs vorher angeschlagene Frage: "Welches ist der Sinn unserer Feste?" Bestehorn bat um eine nähere Erklärung dieser Frage, die der Chef dann gab, indem er auf unsere letzten beiden Feste hinwies und meinte, daß man dabei doch sicher irgendwelche Gedanken gehabt habe. Nach langem Schweigen gab Bringmann seinen Gedanken Ausdruck: Zunächst sei das Erntefest eine schöne Tradition und für Eltern und Schauspieler ein Erlebnis, während Weihnachten vor allem eine Unterbrechung des eintönigen Einerleis darstelle. Willi Thiele fügte dem hinzu, daß bei dem letzten Fest im Jahre vor allem die Oberstüfler basteln könnten, was sonst mehr die Kleineren tun. Da sich zu dieser Frage niemand mehr zum Worte meldete, leitete der Ausschuß auf den zweiten Punkt über, ob wir denn "nach dem Entschlummern unseres Volksliederabends gar nicht mehr gemeinsam singen wollten?" Der Chef führte aus, daß es wohl ein kleiner Mangel sei, daß wir keinen Gesangunterricht haben, andrerseits möchte er die Kunst der Musik nicht in Schulstunden pressen. So lange Scharfenberg besteht, gab es nur einmal eine kurze Zeit ohne Volksliederabende. Indem der Chef von früheren

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Jahren erzählte, versuchte er, unsere Freude am Singen zu beleben und zu zeigen, daß wir ja gut in anderer Form singen könnten, wenn die Volkslieder erschöpft sein sollten. Mundstock scheint vor allem der Führer zu fehlen, zu Jenke wäre man selbstverständlich hingegangen, meint er. Auch können neunzig nicht zusammen singen, es wird zu leicht ein Gebrüll. Dem wurde entgegengehalten, daß bei einem Wegfall unserer Volksliederpflege die Berliner Schlager bei uns mehr Raum gewännen. Will schlug vor, Gesangführer auszubilden und Beppo meinte, man bräuchte ja keine Volkslieder zu singen, sondern schöne mehrstimmige Chöre. Mundstock wandte sich nochmals gegen diese Form des gemeinsamen Singens, jedoch betonend, daß er gerne bei einem "anständigen Gesanglehrer anständige Melodien lernen wolle". Von verschiedenen Seiten wurde dem entgegnet, als Thiele das Ergebnis der Debatte zusammenfaßte: Wir sind zum Wiederaufnehmen des gemeinsamen Singens bereit, die technischen Schwierigkeiten überwindbar, zunächst soll man Vorsänger ausbilden. Jensen hatte den Eindruck, daß das Singen deshalb eingeschlafen ist, weil die Beteiligung der Allgemeinheit sehr gering ist. Der Chef wandte sich gegen unsere Eingebildetheit, daß wir nichts gut genug für uns hielten. Es gibt hier sechs, die gerne singen, also singt doch mit ihnen, und wenn es nur fünfzehn sind! Mittlerweile war die Ausschußwahl ausgezählt worden: Von 87 abgegebenen Stimmen beträgt die erforderliche Zweidrittelmehrheit 58, die niemand erreicht hatte. In die nun folgende engere Wahl waren Herr Ackermann und Herr Scheibner, Martinu, Thiele, Schmoll B., Zander, Thiede und Schipkus gekommen. Thiele beantragte eine Abstimmung darüber, ob man wieder gemeinsam singen wolle, was einstimmig angenommen wurde. Bringmann schlägt vor, ein kleines Liederbuch zu kaufen, damit man die Texte lernen kann, Koch bittet das Orchester um Mitwirkung bei den Singabenden. Bringmann bittet um Abstimmung, oh man es für besser halte, beim Singen gedruckte Texte in der Hand zu haben, gegen Blumes und Glasenapps Stimme

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ist man seiner Ansicht. Es folgen nun kleine Mitteilungen, das Meteorologische Institut hat 20,00 Mark für die drei besten Beobachter gestiftet (Zander, Jäger, Bringmann), die jedoch beschließen, das Geld für zerbrochene Apparate zu verwenden. Dann bittet Herr Scheibner, die Zeitungen und Zeitschriften nicht weiter zu verunzieren, wie das mit der "Kunst und Dekoration" geschehen ist, der Chef bemerkt dazu, daß wir die Zeitschrift wohl abbestellen müssen. Dafür werden wir eine englische und eine französische Schülerzeitschrift erhalten. Als Waurisch vorschlägt, auch die "Frankfurter Zeitung" den Artikelsammlern freizugeben, erklärt der Chef, daß er nichts dagegen habe, da er nun die Zürcher Zeitung hält. Er bedauerte, daß niemand die F.Z. zusammengestellt und Mappen angefertigt hat und betont mehrmals, daß es auf das Machen, das Tun ankommt. Abgestimmt wird über die Zeitungsfrage nicht, aber aus der Diskussion ergab sich, daß die "Frankfurter Zeitung" von nun an ebenso zu behandeln ist wie unsere anderen Tageszeitungen. Herr Radvann erinnert an die Chronik und hält es für unerläßlich, wenigstens Protokolle der Abendaussprachen schriftlich niederzulegen. - Inzwischen hat der Ausschuß die zweite Ausschußwahl durchgesehen, wieder hat keiner die erforderliche Mehrheit erreicht, womit Jensen den Wahlgang als abgeschlossen erklärt. Der Chef spricht nochmals davon, daß für uns anscheinend nichts gut genug sei, auch kein Ausschuß. Nach Ostern soll eine große Schulgemeinde berufen werden, um zu beraten, wie weit unsere ungeschriebene Verfassung noch bestehen kann. Er betont, daß die Hauptsache das Lernen und die Funktion sei, nicht das schließliche Resultat. Mit einem pessimistischen "wir kommen hier nicht weiter" schloß die Abendaussprache.

Dauer: zwei Stunden.

Jürgen Ortmann.


Ergebnis der Ämterwahlen vom 11. Januar 1932


  1. Hauswart Hardel (34) vor Ortmann (28)
  2. Hörsaalwart Ausländer (68) vor Wegerich (15)
  3. Neubausaalwart Dlugatsch (44) vor Schultze (40)
  4. Anbauwart Strelow (40) vor Ortmann (24)
  5. Physiksaalwarte Achilles (48) + Wyrgatsch (46) vor K. Schreck (37)
  6. Zeichensaalwart Dietrich (82) vor Koch (2)
  7. Buchbinderwart Beyer (71) vor Thiele (13)
  8. Wart um das Braunhaus Ilse (61) vor Michaelis (12)
  9. Wart um das Fährhaus Tlustek (49) vor Wyrgatsch (19)
  10. Wart um das Bollehaus Simon (38) vor Stephan (28)
  11. Wart um den Neubau Strelow (49) vor Gaulke (25)
  12. Wart um das Holzhaus Schädlich (45) vor Jaeger (39)
  13. Schulplatzwart F. Schreck (78) vor Halberstadt (7)
  14. Kreidewart Halberstadt (41) vor Stephan (28)
  15. Tintenwart Dlugatsch (52) vor Halberstadt (12)
  16. Kahnwart Albrecht (57) vor Grütz (28)
  17. Leutenant Zander (74) vor Grütz (11)
  18. Mahlzeitenchef Schädlich (39) vor Martinu (19)
  19. Lichtwart Thiele (79) vor Wyrgatsch + Achilles (3)
  20. Fährkassenwart K. Schreck (76) vor Perkuhn (8)
  21. Musikwart Hardel (34) vor Moll + Schultze (22)
  22. Saalbibliothek Bestehorn (84)
  23. Badewart Coppi (56) vor Tittmann (29)
  24. Bullenbauwarte: a. Balke (71) vor Ilse (12)
    b. Weiß (76) vor Dietrich (6)
    c. Reinsch (62) vor Piesker (11)
  25. Sportwarte Maschowski (57) + Witt (56) vor Greve (22)
  26. Neusprachenbibliothekar Witt (66) vor Halberstadt (19)
  27. Zeitungswart Scheel (45) vor Woldt (20)
  28. Technischer Berichterstatter Schlatterer (68) vor Wyrgatsch (17)
  29. Natur Berichterstatter Moll (63) vor Zander (10).
  30. Sport Berichterstatter Zahl (50) vor Jahn (35)
  31. Kunst Berichterstatter A. Schmoll (43) vor Martinu (42)
  32. Politischer Berichterstatter Hardel (45) vor Mundstock (23)
  33. Entenwart K. Schreck (83) vor Fritz Schreck




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