Protokoll der 91. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. VII, o.S.

[Datum: Mi, 01.07.1929 - Protokollant: Heinrich Waurisch]


Beginn 19 1/2

Zur Einleitung spielen Kurt Martinu und Willi Kujack ein Andante aus einer Sonate von Schubert.

1. Punkt der Tagesordnung: "Ferienhilfe". Herr Dr. Ackermann weist auf die kommende Ernte hin, und mit ihr auf die Arbeit, die bisher immer von der Ferienbesatzung allein geschafft worden ist; er meint, daß sich auch die anderen, die ihre Ferien zu Hause oder auf Reisen verbringen, sich verantwortlicher fühlen und bereit sein müßten, jeder Zeit hier auf Scharfenberg zu helfen. Er formuliert seinen Antrag so: jeder trägt sich in eine Liste ein mit dem Datum, wann er bereit wäre hier zu helfen. Waurisch hält dieses für nicht notwendig und schlägt vor, erst abzuwarten, ob nicht sowieso genügend Ferienhelfer hierbleiben. Herr Ackermann jedoch wünscht eine grundsätzliche Regelung. Herr Glasenapp führt aus, daß die zu bewältigende Arbeit für die Ferienbewohner zumeist eine Quälerei sei, er findet es ungerecht und unkameradschaftlich, wenn sich die anderen nicht darum kümmerten; sie müßten die innere Verpflichtung fühlen hier zu helfen, zumal alle die Nutznießer, nicht nur die Ferienbewohner seien. Eine so große Sache hätten im übrigen die anderen meist nicht vor, daß sie die ganzen Ferien dazu benötigten. Außerdem brauchten sie vielleicht garnicht in Aktion zu treten, es sei schon viel erreicht, wenn sich jeder dieses einmal durch den Kopf gehen lasse. Herr Blume berichtet, daß diese Frage bereits vor zwei Wochen im Elternausschuß erörtert sei, daß dieser den einen Elternbeschluß bestimmen wollte, daß sich jeder in den Ferien 14 Tage Scharfenberg zur Verfügung zu stellen habe. Er aber, der Chef, habe sich gegen eine solche Maßnahme gewehrt und gesagt, daß er es in der Abendaussprache der Gemeinschaft vorlegen wolle. Er bittet auch, die Tage nicht zu zählen und wünscht ebenfalls wie Herr Glasenapp keinen direkten Beschluß. Er erinnert an "Schul-Pforta", wo

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Knechte das Feld bestellen, damit gehe aber der Charakter einer Schulfarm gänzlich verloren. Mit außerordentlich großer Majorität erklärt sich die Gemeinschaft für den Antrag von Herrn Dr. Ackermann.

2. Gestaltung des diesjährigen Erntefestes: Hierzu sagt Herr Ackermann, daß das Erntefest, das Hauptfest Scharfenbergs, diesmal am 1. September stattfinde, bis dahin lägen nur noch 3 Schulwochen. Öhme wünscht ein Theaterstück wie im Vorjahre. Herr Blume entgegnet, daß wir bisher jedesmal ein Theaterstück aufgeführt hätten, manchmal als Hauptsache, manchmal nur als Rahmen. Auch sei es schwer, ein passendes Stück zu finden, das einmal zu unserer Umgebung, der freien Natur, passe, unser Publikum befriedige und außerdem noch möglichst viel Beteiligte habe. Wenn niemand eine neue Idee habe, ein Theaterstück könne er schon vorschlagen. Da sich niemand meldet, sagt der Chef, daß er an das Drama "Simplicius" von Friedrich Kayßler denke. Martinu liest das verhältnismäßig füllige Personenverzeichnis vor, und gibt kurz den Inhalt des Stückes an. Es erweckt Interesse und man beschließt dies aufzuführen, wenn nicht binnen 8 Tagen ein anderer Vorschlag gemacht werde. Herr Blume schlägt vor, schon in den Ferien anzufangen, die Rollen müßten abgeschrieben werden, es existiert nur ein Exemplar dieses Buches, auch stellten die Szenerie sowie die Musik große Anforderungen an uns.

3. Punkt: "Fall Liebert". Wenn auch Liebert Schuld hatte, so seien wir ihm vielleicht in letzter Zeit doch etwas grob begegnet, meinte der Ausschuß, zumal jeder wußte, daß Liebert sowieso abgehen mußte. Nun hätten seine Eltern Gerüchte in Umlauf gebracht, die uns nach außen hin schwer kompromittieren müßten. Es wäre nun gut festzustellen inwieweit jene Behauptungen richtig wären und inwiefern uns Schuld träfe. --- Als Ergebnis der Diskussion kann Herr Blume nur sagen, daß wir entweder schuldlos seien oder doch so veranlagt, daß wir einen Liebert nicht ernst nehmen könnten. Immerhin wäre es besser, wenn er, der Chef, jetzt zu den Eltern sagen könnte, unsere Mittel, wie dispensieren von Diensten, hätten nicht geholfen, anstatt daß

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man sich zu weniger delikaten Maßnahmen, wie Stoßen unter die Dusche, habe hinreißen lassen.

4. Sonstiges: a) Ein Antrag Jürgen Ortmanns auch abends um 9 Uhr zum Zubettgehen zu läuten. Heinz Heimhold erinnert daran, daß ein derartiger Antrag schon früher einmal gestellt worden ist. Die Mehrzahl findet diesen Antrag lächerlich, wogegen der Chef betont, daß es so etwas Außerordentliches gar nicht wäre, da in der ersten Zeit Scharfenbergs immer geläutet und getutet worden wäre. Der Antrag wird jedoch abgelehnt.

b) Kurt Bringmann wünscht einen Wart um das Fährhaus, da ihm dieses immer etwas stiefmütterlich behandelt scheint, Werner Knoll stimmt ihm bei; da er als Wart um das Braunhaus nicht auch noch das Fährhaus in Ordnung halten kann. Hieraufhin wird Heinz Wehr zum Wart um das Braunhaus gewählt [Anm. 1].

c) Im Auftrage Herrn Scheibners bittet der Ausschuß Sonntags Patroullien einzurichten, die die lästigen Badegäste, die angelegt haben, zum Verlassen der Insel auffordern. Herr Blume regt an, daß dieses unsere Feuerwehrleute tun, da bei dem bekannten Respekt der Deutschen vor der Uniform sicher ein günstiger[er] Erfolg zu erzielen sei, als wenn die Jüngsten unter uns, zumeist in der nicht richtigen Form dies täten. Herr Dr. Radvann berichtet, daß er oft als Chronide die anlegenden Badegäste aufgefordert habe zu gehen und daß seinem höflichen Hinweis auf das Verbot immer Folge geleistet [worden] wäre; denn der Ton mache die Musik, er erinnert dabei an unangenehme Zwischenfälle des Vorjahres.

d) Öhme macht den Vorschlag die Gebüsche am Scharfenberg, die die Aussicht hindern zu beschneiden. Gerhard Marnitz wendet sich ganz entschieden dagegen. Herr Blume erklärt deshalb, daß die Eltern immer gern die herrliche Aussicht genössen, er erzählt, daß früher sogar Bilder davon verkauft [worden] wären, im übrigen hält er es für das Beste, wenn man dies der Gärtnergruppe überlasse. Mit der Fortsetzung der Sonatine von Schubert klingt der Abend aus. -

Schluß gegen 9.50 Uhr

H. Waurisch.


Anmerkungen::

Anm. 1:
Hier liegt wohl ein Schreibfehler vor. Aufgrund der vorangegangenen Diskussion müßte Wehr zum Wart um das Fährhaus gewählt worden sein.



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