Protokoll der 75. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. VI, o.S.

[Datum: Di, 03.05.1927 - Protokollant: Heinz Link]


Trotz der Jubiläumszahl wurde die 75. Abendaussprache nicht festlich begangen, sondern in einfacherem Gewande als sonst abgehalten. Wir versammelten uns im Gartensaal der Musiksaal war durch die Marionettenbühne verbaut - und gingen ohne musikalische Einleitung zur Tagesordnung über. Es war die letzte Abendaussprache, an der die älteren Scharfenberger allein teilnahmen.

Herr Glasenapp läßt sein Fernbleiben entschuldigen, da dringende Arbeiten ihn in Anspruch nehmen. -

Zu dem vom Ausschuß angesetzten Punkt I (Mitteilungen) ergreift niemand das Wort. Blume will seinen Bericht über die "Schule am Meer" erst in der nächsten Abendaussprache in auch für die Kleineren verständlichen Formen fortsetzen [Anm. 1]. Erst im Laufe anderer Debatten teilt Blume von dem Besuch einer Hospitantin mit, die auf ihrer 7 wöchigen Studienreise von der Stadt Frankfurt a.M. aus, die sie mit verschiedenen modernen Schulversuchen bekannt machen soll, auch bei uns einige Tage verbringen möchte. An anderer Stelle erzählt Blume von seiner Abmachung mit den Eltern der neuen Schüler, diese nur alle 14 Tage nach Hause fahren zu lassen.

Da Gegengründe für den II. Punkt (Antrag Blume über andere Wertung der Mißtrauensvoten - nach 3 Mißbilligungen erfolgt automatischer Abgang) nicht vorgebracht werden, erklärt der Antragsteller selbst, daß er früher dagegen gewesen sei; denn diese Einrichtung wäre doch nur ein recht äußerliches Druckmittel. Wir brauchten aber eine Handhabe, weil wir durch die Unterstützungen der Stadt und unserer Gönner in sozialer Hinsicht verpflichtet seien, Überdurchschnittliches (natürlich nicht schulmäßig gemeint) [Anm. 2] hervorzubringen. Selbstverständlich wird jedes Mißtrauensvotum noch strenger gewertet werden. Man fragt, ob für die 3. Abstimmung nicht 2/3 aller Stimmen nötig wären, die doch bei jedem Ausschlußantrag gebraucht würden. Man stellt richtig, daß ein Ausschlußantrag meist ohne Vorbereitung auftrete, während hier genügend gewarnt sei. Nach der

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Feststellung, daß nur die Abendaussprache, nicht der Ausschuß allein ein solches Mißtrauensvotum aussprechen könne, ergibt die folgende Abstimmung 22 Stimmen für, 7 gegen den Antrag.

III. Punkt (Änderung des Fährdienstes). Blume beantragt, eine Fährdienstordnung einzurichten, nach der sich Besucher und Inselbewohner zu richten haben. Er führt näher aus, wie er sich diesen Fahrplan vorstellt. Etwa um 9 Uhr, um 11, 1/2 1 Uhr, beim Aufbruch und bei der Rückkehr des Postdienstes (also ca. um 2 und um 3/4 3-3 Uhr), am Nachmittag bald nach Ankunft einer bestimmten Straßenbahn und gegen Abend wird übergesetzt. Am anderen Ufer wird eine Tafel angebracht, die die Besucher auf diese Fahrzeiten verweist. Zwei Gründe unterlegt Blume seinem Antrag: Verhütung von Unfällen und Zeitersparnis. An Hand möglicher Fälle bestreitet man den letzten Grund und will erst einen Plan vorgelegt haben. Franke erkennt die praktische Möglichkeit, von der Insel aus den Plan innezuhalten an, ist aber von der Unmöglichkeit, ihn von drüben aus zu befolgen überzeugt. Nach langem, ungeordneten Suchen nach neuen Plänen, das verrät, wie wenig und zwecklos man zu diesem Punkt überlegt hat, kommt man zu einem Vorschlag, von hier aus nach dem Fahrplan überzufahren und den Besuchern am anderen Ufer durch ein Schild zu orientieren, daß nur in dringenden Fällen und dann gegen Zahlung eines erhöhten Fährgeldes außer der Zeit übergeholt wird. Der Antragsteller geht nicht weiter auf diese Anregung ein und zieht in der Hoffnung, daß die Debatte bewirken würde, die Zahl der Überfahrten einzuschränken, seinen Antrag zurück, nachdem er um praktische Ausführung eines Fahrplans gebeten hat. Angeregt durch die Diskussion stellt Franke den Antrag, von Sonnabend mittag bis Sonntag abend wegen des regen Wasserverkehrs Extrafährdienste anzusetzen, die nach ihren Kräften vom Ausschuß bestimmt werden sollten. Man nimmt sich vor, alle Fähigen einmal an die Reihe kommen zu lassen, um die Hierbleibenden nicht durch allzu häufige Ernennung zum Extrafährdienst zu vertreiben. Der Antrag Franke wird mit überwiegender Stimmenmehrheit angenommen.

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Auf die Frage, wann den Neuen Fährdienst erteilt werden könne, antwortet man, daß der Ausschuß einmai unauffällig erproben werde, wer rudern kann und daß diese dann angesetzt werden würden.

IV. Punkt (Antrag Faas, einen Sportsonntag zu veranstalten, um einen Anhaltspunkt für die Einteilung der Sportgruppen zu haben). Der Ausschuß schlägt, nachdem der Antrag selbst von den meisten gebilligt worden ist, den 8. Mai oder den 22. Mai als Termin vor. Gegen den ersten Vorschlag wird gesagt, daß die meisten der Neuen mit unseren mehr leichtathletischen Sportarten nicht vertraut genug seien, während für ihn konstatiert wird, daß Übung nicht nötig wäre, um die durchschnittliche Leistungsfähigkeit festzustellen. Der 22. Mai wird mit 21 Stimmen gegen 18 als Sportsonntag bestimmt. Bis dahin wird man eine provisorische Gruppeneinteilung vornehmen.

Als V. Punkt stand die Frage: Wann sollen Budenrevisionen stattfinden? zur Diskussion. Zu dem Antrag des Ausschusses, jeden Sonnabend und besonders durchgreifend am Sonnabend der Arbeitswoche eine Revision zu veranstalten, gesellte sich ein Antrag Herrn Radvanns, den Zeitpunkt einer solchen Durchsicht nicht festzulegen und ein Antrag Frankes, es dem Ausschuß überhaupt zu überlassen, auf Sauberkeit und Ordnung zu achten. Es wird bedauert, daß in den beiden letzten Füllen die pädagogische Anregung, die eine Fixierung des Zeitpunktes mit sich brächte, verloren ginge. Nachdem der Antrag Radvann mit 27 Stimmen (6 für den Ausschuß, 4 für den Frankeantrag) angenommen ist, erteilt sich der Vorsitzende zum

VI. Punkt (Anfragen und Anregungen) das Wort und bittet im Namen der Küche, sich in besonderen Fällen rechtzeitig für das Essen an- oder abzumelden. - Herr Blume bittet, sich zu überlegen, daß unsere Zeitungsberichte für die Älteren zugeschnitten seien und bei den Jüngeren, die jetzt in der Überzahl sind, kein Interesse hervorbrächten. Eine Anregung, je einen der Altersstufe angepaßten Berichterstatter für jede Abteilung zu wählen, wird erweitert,

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indem man jeden jüngeren Referenten seinen Bericht aus der Unterhaltung mit dem älteren, erfahreneren schöpfen lassen will.

Zum Schluß bringt Franke zur Sprache, neue "Wapoleute" zur Verstärkung der 4 noch verhandenen zu bestimmen, worauf 4 weitere Oberstüfler bereit sind, dies verantwortungsvolle Amt anzunehmen. Um die physische Eignung dafür zu erproben, schlägt man eine Extraprüfung für "Wapoleute" vor und zwar ein Brustschwimmen über die Distanz Badeplatz - Tegelort - Badeplatz. Es wird die Zweckmäßigkeit dieser Prüfung bestritten und vom Antragsteller wiederum bewiesen. Man regt weiterhin an, ein besonderes Rettungsverfahren zu üben. Bei vielen Stimmenthaltungen wird eine besondere Prüfung für die "Wasserpolizei" mit 12:8 Stimmen angenommen.

Auf eine weitere Frage Frankes, wann den Neuen das Baden gestattet werden solle, die mit dem Vorschlag, von morgen ab zu beginnen, ohne den Neuen das Hinausschwimmen zu gestatten, verbunden war, warnt Blume vor Verfrühung, und bittet die alten Scharfenberger, ihre Badelust noch ein wenig zurückzuhalten und sie für die Hochsaison aufzusparen. Man solle sozialer denken. Damit kommt Blume auf die Unsitte, beim morgendlichen Dauerlauf ein Wettlauftempo anzuschlagen, zu sprechen, da dadurch den Neuen der Lauf zu anstrengend und deshalb verleidet würde. Er wird von jetzt ab trotz persönlicher Beschwerden mitlaufen, um dies zu verhindern. Ein Vorschlag Heinz Wagners, eine kleine Erholungspause, in der man Atemübungen machen könne, während des Dauerlaufes einzulegen, wird probeweise angenommen.

Schluß gegen 9 Uhr.

Heinz Link.


Anmerkungen::

Anm. 1:
S. Protokoll der 73. Abendaussprache vom [März 1927]. - Fortsetzung der Behandlung des Themas nicht bekannt.

Anm. 2:
Der Zusatz "(natürlich nicht schulmäßig gemeint)" wurde von Blume in das Protokoll eingefügt.



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