Protokoll der 66. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. V, S. 32--325

[Datum: So, 21.03.1926 - Protokollant: Erwin Oeser]


Zur Einleitung sangen Jenke, Opalka und Pewesin uns ein Mailied aus dem 16. Jahrhundert vor.

Blume erklärte: Der lange Zeitraum zwischen der 65. und 66. Abendaussprache erklärt sich daraus, daß keine Anträge an den Ausschuß eingegangen sind. Der Ausschuß hat aber trotzdem diese Abendaussprache einberufen, um noch einmal, bevor die 12 Abiturienten abgehen, einige Zukunftsfragen zu behandeln.

Der 1. Punkt der Tagesordnung ist die Wahl des Vorsitzenden der Abendaussprache. In der vorigen Abendaussprache sind bereits 2 Anträge gestellt worden. Der eine lautet: Der Ausschuß soll den Vorsitzenden aus seinen Mitgliedern von Fall zu Fall wählen. Der Gegenvorschlag war, die Abendaussprache soll sich immer am Schluß den Vorsitzenden zur nächsten Abendaussprache wählen. Berisch stellte einen 3. Antrag. Der Vorsitzende soll doch bei seinem Amt lernen, deshalb ist eine längere Dauer unerläßlich. Er beantragt also, daß der Vorsitzende als Amt gewählt wird, das alljährlich wechselt. Die Wiederwahl soll ausgeschlossen sein. Es wird gesagt, daß dieser Vorsitzende dann beim Ausschuß mit dabei sein müßte, wenn dieser die Tagesordnung zusammenstellt. Man befürchtet auch, daß es eine Mitgliedsvermehrung des Ausschusses bedeuten würde, die den Ausschuß an

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Bedeutung gewinnen ließe. Berisch sagt: Der Ausschuß soll dann nicht mehr die Tagesordnung feststellen, sondern der Vorsitzende. Blume meint: Der Ausschuß soll gar nicht die Tagesordnung zusammenstellen. Das ist eine Arbeit von wenigen Minuten, die Hauptsache ist, daß er alles durchberät und dabei keine 3 mehr Arbeit leisten, als einer. Außerdem ist ja zwischen den Ausschuß- und Vorsitzendeneigenschaften gar kein so grundlegender Unterschied. Zu beiden Ämtern gehört Vertrauen; die Geschicklichkeit zur Leitung der Abendaussprache ist erst eine sekundäre Eigenschaft. Berisch sagt: Der Ausschuß soll gar nicht durchberaten, sondern die Gemeinschaft; wir brauchen keinen Kommentar. Völkner meint, daß die eigene Meinung ganz durch die Meinung des Ausschusses erdrückt werde. Auch andere glauben, daß man zu viel Vertrauen in den Ausschuß setze. Dagegen wird gesagt, daß oft eine sachliche Opposition gegen den Ausschuß vorhanden sei; deshalb kann er gar nicht so erdrückend wirken. Der Vorsitzende soll sozusagen als Ausschußkandidat fungieren und Gelegenheit haben sich bei diesem Amte zu bewähren. Der Ausschuß soll dann die Anträge auch nicht früher kennen als wir. Damit sich aber jeder über den Antrag rechtzeitig informieren kann, schlägt Herr Wolff vor, daß auf der Tagesordnung auch noch der Wortlaut der Anträge an die Saaltür angeschlagen werden soll. Jaesrich vergleicht Scharfenberg mit dem Reichstag oder einem Verein. Das Parlament kontrolliert die Regierung und den Ministerpräsidenten. Ebenso soll die Gemeinschaft durch den Vorsitzenden den

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Ausschuß kontrollieren. Sind wir aber ein Verein, so ist der Vorstand ein Vertrauensvorstand, der immer bleibt. Im Staat finden sich Leute ganz zufällig zusammen, die fast keine gemeinsamen Interessen haben. Im Verein ist man zusammengekommen, um der selben Interessen willen. Das Ganze sollte aber nur zur Klärung beitragen, da man natürlich schwer sagen kann, ob wir dem Verein oder dem Staate näher stehen. Blume faßt noch einmal zusammen. Bis jetzt konnte theoretisch jeder Vorsitzender der Abendaussprache werden. In [der] Praxis wurde allerdings immer Blume gewählt. Daß es theoretisch auch anders sein konnte, zeigt der Vorschlag von andern zum Vorsitzenden, der manchmal aufleuchtete. Jetzt ist vielleicht der Zeitpunkt gekommen, wo man ohne Sorge um die alte Tradition es wagen kann einem ungeübten Gemeinschaftsmitglied den Vorsitz der Abendaussprache zu übertragen. Da stellt Blümel den Antrag, der zu fassende Beschluß soll nur als Stimmungsabstimmung gelten, damit die Neuen den alten Zustand noch miterleben. Erst nach 3-4 Abendaussprachen soll das Neue in Wirksamkeit treten. Berisch ist auch dafür. Es bestehen also jetzt 3 Anträge, über die abgestimmt werden muß. Der 1. ist: Das Amt soll unter dem Ausschuß wechseln; der 2.: die vorhergehende Abendaussprache wählt den Vorsitzenden der nächsten. Der 3. Antrag ist: Der Vorsitzende soll zum Amt erklärt werden, das 1/2 Jahr unter Ausschluß der Wiederwahl läuft. Der Vorsitzende stellt die Tagesordnung allein ohne Ausschuß zusammen. Man glaubt aber, daß sich der Einfluß des Ausschusses dadurch mehr geltend macht, weil er sich keine Zurückhaltung mehr, wie jetzt, aufzu-

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erlegen braucht. Herr Bandmann meint, daß der Vorsitzende sich dann, nachdem er auf Herrn Wolffs Vorschlag die Anträge an die Saaltür angeschlagen hat, mit einigen Gemeinschaftsmitgliedern berät. Dieser "Kronenrat" soll also dann die Arbeit leisten, die jetzt der Ausschuß verrichtet. Es wird jetzt abgestimmt: 12 sind dafür, daß der Wahlmodus jetzt gleich Beschluß sein soll und 6 dafür, daß er nur als Stimmungsabstimmung gelten soll. Mit großer Mehrheit wird aber der 3. Antrag angenommen, nachdem das jetzt Beschlossene in 1/4 Jahr in Kraft tritt. Nun wird abgestimmt, ob Blume nicht mehr Vorsitzender sein darf; 22 sind dafür, 15 dagegen. Nun muß noch entschieden werden, wer nun den Vorsitzenden wählen soll. Es sind 3 Möglichkeiten, die schon oben angeführt sind. Es besteht zuerst noch einige Unklarheit über die Anträge, die aber geklärt wird. Der Antrag, daß der Ausschuß unter seinen Mitgliedern den Vorsitzenden wählt, wird mit 26 Stimmen angenommen. Der andere Antrag, daß der Vorsitzende zum Amt erklärt werden soll mit den bekannten Klauseln erhält 16 Stimmen; der dritte nur eine. Dieser Beschluß tritt also nach den großen Ferien in Kraft. Metz stellte den Antrag, daß jedes Ausschußmitglied ein 1/4 Jahr lang Vorsitzender sein soll, er nahm aber den Antrag wieder zurück, da dann das unbegabteste Ausschußmitglied überhaupt nicht drankommt.

Die anderen Punkte der Tagesordnung wurden auf die nächste Abendaussprache verschoben, mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit. Blume deutet nur den Inhalt der Anträge an, nach der Anregung von Herrn Wolff. Der 2. Punkt sollte über den Modus der Probezeit bei

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Untertertianern handeln. Blume gibt zu bedenken, daß manche Aufbauer jetzt nicht hier säßen, wenn das Probevierteljahr schon damals bestanden hätte. Man könnte vielleicht nach 1/2 Jahr abstimmen oder jedem neuen Untertertianer erst auf einen Antrag das Stimmrecht verleihen. Wer dann nicht nach einem Jahr das Stimmrecht hat, müßte dann daraus die Konsequenzen ziehen. Diese Angelegenheit muß aber noch vor den Ferien erledigt werden. Fritz gibt zu überlegen, doch 2 Abstimmungen zu machen: nach 1/4 und nach 1/2 Jahr. Erst die Abstimmung nach 1/2 Jahr soll entscheidend sein. Man glaubt aber, daß die Feinfühligen, die bei der 1. Abstimmung nicht gleich mit dem Stimmrecht begabt sind, gehen würden, die vielleicht bei der 2. Abstimmung besser abgeschnitten hätten. Die weitere Verhandlung wird aber auf die nächste Abendaussprache verschoben.

Nun kommt der 3. Punkt Wahlfragen. Die Ämter, die bisher von den 12 Abiturienten verwaltet wurden müssen neu besetzt werden. Jeder Ausscheidende nennt sein Amt, das dann auf einem Zettel als Wahlvorschlag gleich neu besetzt wird. Einer schlägt vor, den Wahlvorschlagszettel erst am nächsten Morgen abzugeben. Dieser Vorschlag wird mit 26 gegen 17 abgelehnt. Mit großer Majorität wird aber angenommen, daß jeder Abgehende den nennt, den er gerne als seinen Nachfolger sehen möchte, außer dem Ausschuß. Einige Abiturienten machen aber von diesem Rechte keinen Gebrauch. Bei der Wahl erklärt Blume kurz Punkt 4 und 5 der Tagesordnung. Bei Punkt 4 handelt es sich um die Reorganisation der Feuerwehr, da auch da mehrere ausscheiden. Es ist zu unter-

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scheiden, ob die Feuerwehrmitglieder zuwählen sollen, oder ob Blume und Glasenapp privatim jemand damit beauftragen sollen. Im letzten Punkt handelt es um unsere Rheinreise. Sie kann zu Ostern natürlich nicht stattfinden. Sie soll aber auch nicht aufgegeben werden und der Termin darf ebenfalls nicht in allzu großer Ferne liegen, da dann sonst die Abiturienten nicht mitmachen können.

Als Schluß, um 10 Uhr, sangen wir alle zusammen 3-stimmig das Lied: Es blies ein Jäger wohl in sein Horn.

E. Oeser.



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