Protokoll der 65. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. V, S. 297-301 und S. 301-303: Nachtrag zum Protokoll von W. Blume

[Datum: Do, 14.01.1926 - Protokollant: Egon Rehse]


P. I. Die Abendaussprache begann ohne musikalische Einleitung mit der Besprechung von Antrag Arnold Fritz (betreffend Herabsetzung des Petroleumgeldes). Der Antragsteller bittet, den Satz von 10 Pf. für längere Benutzung der Gemeinschaftslampen zu ermäßigen. Er hält es für unbillig, wenn speziell den älteren Mitgliedern, die sich für die Prüfung vorbereiten, vielleicht für die kurze Zeit von 1/2 Stunde Mehrarbeit Abend für Abend 10 Pf. abgenommen werden, die sich dann doch schließlich ganz ansehnlich summieren. - Herr Wolff schlägt vor, um die Sache rentabler zu machen, seltener und dann länger auf zu bleiben, was aber aus hygienischen Gründen

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von verschiedenen Seiten als ungeeignet zurückgewiesen wird. Fräulein Kalähne äußert sehr energisch, daß bei den geringen Verpflegungssätzen die kleine Beisteuer zur Lichtkasse wohl keine harte Belastung des Einzelnen darstelle und Herr Blume beendet die Debatte, indem er den Antrag als finanzielle Angelegenheit vor die Schulgemeinde verweist.

P. II. Mitteilungen. Herr Blume übermittelt der Gemeinschaft Grüße von Erich Ulm und Erwin Sommer. - Der Direktor der Treptower Sternwarte, Dir. Dr. Archenhold [Anm. 1] hat auf unsere Bitte, einen oder mehrere Vorträge für uns zu halten, geantwortet. Er ist geneigt, dieser Bitte zu entsprechen, jedoch soll uns nur die Hälfte des Reingewinns zufließen, gleichfalls haben wir zu bedenken, daß er in Spandau schon mehrfach Vorträge gehalten habe. Aus diesen und anderen Gründen hält Gerhard Metz es für riskant und nicht lohnend, auf seinen Vorschlag einzugehen. Karl Berisch äußert die entgegengesetzte Ansicht. Die Abendaussprache beschließt dann, auf Dir. Archenholds Anerbieten einzugehen. - Dr. Samter hat 40 M. gestiftet, die zu den Vorbereitungen zum Marionettenspiel verwandt werden sollen. - Walter Schramm teilt mit, daß nur Rudi Grieger die Vorbedingungen zur Buchbindergesellenprüfung erfüllt hat und als einziger zugelassen worden ist. Damit war Punkt II erledigt und es wäre nun

P. III. "Ausfüllung des Wahlzettels" an der Reihe

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gewesen. Zuvor wurden aber noch einige Vorbereitungen erledigt. So wurde der Posten eines 2. Entenwarts abgeschafft. - Dann verliest Blume die Ämter, für die keine neuen Vorschläge gemacht worden sind und deren Verwalter deshalb im Amte verbleiben. Herr Blume bedankt sich darauf für seine Wiederwahl als Leiter der Abendaussprache, schlägt jedoch vor, dieses Amt wechselnd durch die Ausschußmitglieder zu besetzen. Die Abendaussprache als feierlich-gehobene Zusammenkunft erscheint ihm genügend gesichert, um dieses gewagte Experiment zu machen, und für die betreffenden Ausschußmitglieder ist es natürlich eine feine Übung. Gerhard Metz schlägt vor, die Auswahl des Leiters nicht auf den Ausschuß zu beschränken. Seine Begründung blieb teilweise unverstanden, und auch Bruno Opalka bemühte sich vergeblich um ihre Interpretation. Fritz Blümel unterstützt Metz mit dem Hinweis, daß auch Leute, die nicht gerade Koryphäen sind, als Freude, Auszeichnung und Ansporn das verantwortungsvolle Amt zugewiesen bekommen könnten. Karl Berisch sieht in der Angelegenheit nicht so schwerwiegende Hintergründe wie Gerhard Metz, bittet die Sache als geschäftsordnungsmäßige Äußerung anzusehen und tritt dafür ein, daß auch Nichtausschüsse Zutritt zu dem Posten haben. Nach einigem Hin- und Herreden wird die Debatte abgebrochen und der Entscheid vertagt.

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Es folgt jetzt das Unterstreichen der Namen auf dem Wahlzettel und einige Bemerkungen Blumes über den Wahlmodus. Dazwischen wird noch ein Dringlichkeitsantrag von Karl Berisch verlesen, der vorschlägt, keine Stichwahlen mehr stattfinden zu lassen. Er glaubt, daß man in der Stichwahl schließlich zur Entscheidung zwischen zwei Leuten gedrängt wird und so Ausschußmitglieder gewählt werden, die doch nicht das starke Vertrauen der Majorität besitzen. Er schlägt deshalb vor eventuell den Posten des 3. Ausschusses unbesetzt zu lassen, wenn sich nicht in einer absoluten Majorität das entschiedene Vertrauen für eine bestimmte Person dokumentiert. Der Antrag findet entschiedenen Widerspruch von vielen Seiten. Man hält die Zahl 3 für notwendig und hält die Stichwahl für eine selbstverständliche parlamentarische Notwendigkeit, die schon in entlegensten Zeiten gebraucht wurde. Blümel hält geringe Stimmenzahl nicht für den Ausdruck mangelnden Vertrauens, sondern häufig eine Ursache zufälliger Zersplitterung. Walter Schramm fürchtet, daß bei dem Ausfall des 3. Mitgliedes häufig der Nachwuchs nicht zur Geltung kommt, wie diese Wahl voraussichtlich schon zeigen dürfte. - Der Antrag Berisch wird darauf abgelehnt. -

P. IV. Während die Zettel vom alten Ausschuß gezählt wurden, spielte Herr Bandmann den 1. und 2. Satz von Beethovens 2. Symphonie, darauf den "Moment musicale" von Schubert. Diese Darbietungen fan-

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den ein sehr "andächtiges und aufmerksames" Auditorium, das nicht die geringste Spur von "Langeweile und Schlafsucht" zeigte.

P. V. Der Ausschuß erscheint dann wieder und verkündet das Wahlergebnis. Zur Feststellung des 3. Ausschußmitgliedes war eine zweimalige Stichwahl notwendig, während deren Herr Bandmann einige kleinere Stücke von Schumann spielte.

Die Wahlergebnisse waren [Anm. 2]:

Ausschuß: Herr Wolff (36 Stimmen), W. Schramm (38), Fr. Geister (35) - Stichwahl zwischen Blümel, Röhrborn, Opalka, Pewesin brachten im 2. Wahlgang Blümel 24 Stimmen und damit genau die absolute Majorität.

Die Ämter, bei denen durch die Vorschlagsliste Wahl gewünscht wurde, waren folgende:



Das Amt des Malerwarts ist infolge der Gruppenkonstituierung überflüssig geworden.

Protokollführer: Egon Rehse.


[Anhang: Nachtrag zum Protokoll von Wilhelm Blume (S. 301f.)]

Beim Verlesen dieses Protokolls sind Stimmen laut geworden, die meinten, bei der Wiedergabe der Debatten über den Stichwahlantrag und über die Neubesetzung des Amts des Abendaussprachevorsitzenden sei Wesentliches nicht zum Ausdruck gebracht; einige haben sich am meisten aufgerichtet an den Worten Hans Woldts, die

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der Protokollführer für unwichtig hielt; da Hans Woldt selbst lange im Ausschuß war und das Wesen des Ausschusses zu erfassen für die Tradition wichtig ist, sollen sie hier noch nachgetragen werden: er hielt es durchaus für notwendig, daß möglichst ein Dritter bei den Wahlen erkürt würde, denn der Ausschuß sei eine fachliche Einrichtung, keine persönliche Auszeichnung; es hat sich im Ausschuß oft gezeigt, daß 3 mehr der Gemeinschaft Gutes zu sagen wußten als 2, daß der Dritte auch als Sprachrohr einer Minderheit oder gerade deshalb eine höchst willkommene Ergänzung gewesen sei. Und in der anderen mehr prinzipiellen Frage, die sich überraschend in einer sonst meist farblosen Wahlversammlung ergab, meinten die beiden Hauptredner wohl etwas, was in der gleichen Richtung lag: sie glaubten, daß durch eine wechselnde Vorsitzendenwahl Mitglieder, die trotz starker innerer Teilnahme an Scharfenbergs internen Geschicken eine Mehrheit bei der Ausschußwahl nicht bekämen, weil sie auf eine größere Masse zu wirken nicht geschickt seien, auf diese Weise auch Gelegenheit erhielten, an einflußreicher Stellung mitzutun. Es lag wohl wenn auch verschwommen der Gedanke eines Wynekeschen Kronrats im Hintergrund; und wie die Ausübung dieses Amtes, sporadisch versehen, die Möglichkeit bieten soll, tiefer in die ernstesten mehr hinter der Öffentlichkeit laufenden Dinge einzudringen und einzugreifen, ward freilich nicht klar, wie im obigen Protokoll mit Recht vermerkt ist. Es ist hier nur deshalb in einen sonst nicht üblichen Protokollnachtrag darauf eingegangen, weil sich mir an diesem Abend ganz deutlich eine Drittelung unserer gegenwärtigen Gemeinschaft abhob, die sich schon öfters andeutete: eine kleine Gruppe, die von der zweiten "die Männer der Tat" genannt werden (Schramm als Typus), die zweite, "Die innerlich gerichteten", sich rührend um die Aufrechterhaltung unserer Ursprungsideen Sorgenden (Metz, Opalka), denen es aber an Kraft und Weltläufigkeit fehlt und die dritte (zahlreichste) Gruppe der Neutralen, die mannigfache Nuancen einschließt: fröhlich oder auch gedankenlos Dahinlebende, Laue, und die in

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innerlicher Opposition Befindlichen, sei es, daß ihnen das ausschließliche Scharfenbergtum zu eng erscheint, daß sie in das "da draußen" zurückstreben und das Kunst- und Literaturtreiben oder das Unterhaltsame der Großstadt mit ihrem Flirten oder das Harmlos-Familiär-Philistische für unentbehrlich oder gar für wichtiger halten.


Anmerkungen::

Anm. 1:
Friedrich Simon Archenhold (1861-1939) war Begründer und Direktor der Treptower Sternwarte, zu deren Besucher seit deren Neubau 1909 u.a. zahlreiche Schulklassen gehörten. - Kurzbiographie: Friedrich Simon Archenhold, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 1, Berlin 1953, S. 335. - Bibliographie seiner Schriften: ARNIM, M., Internationale Personenbibliographie, Bd. 3, Stuttgart 1963, S. 16.

Anm. 2:
Eintragung von Blume.



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