Protokoll der 64. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. V, S. 279-283

[Datum: Mi, 09.12.1925 - Protokollant: Walter Jandt]


Zur Einleitung der Abendaussprache spielte Peter Völkner auf dem Flügel zwei von ihm selbst erdachte Melodien.

Unter dem Punkte Mitteilungen überbringt uns Herr Blume Grüße von Metz, der sein Wiedererscheinen aus dem Sanatorium nach Weihnachten in Aussicht gestellt hat, ebenfalls Grüße von B. Opalka, der, wie aus dem verlesenen Briefe hervorging, seine Nasenbeinoperation vertagt hat und noch in dieser Woche zu erscheinen gedenkt. Aus dem verlesenen Briefe einer Mutter, die im Anschluß an einen Punkt der letzten Schulgemeinde "Was soll Ostern '26 werden?" noch einmal schriftlich ihre Meinung äußert, ging hervor, daß zu Ostern an eine Aufnahme gesagter Sextaner noch längst nicht gedacht werden könne, da nach all dem Gehörten in der letzten Schulgemeinde bewiesen worden sei, daß die jetzigen Scharfenberger nicht einmal als ältere Mitglieder auf die Jüngeren erzieherisch wirken können. Eine weitere Sorge der Mutter, ebenfalls im besagten Briefe beschrieben, daß bei der Überfahrt ein Aufbehalten der Rucksäcke umso gefährlicher werden könnte, da aus verständlichen Gründen das Gleichgewicht um ein Bedeutendes vermindert wird, läßt darauf schließen, daß ein Ubertreten des in dieser Richtung hin längst gefassten Gemeinschaftsbeschlusses vorgekommen ist. Der Verlesung des Briefes schließt sich ein kürzerer Bericht von Blume an über seinen von dort aus gewünschten Besuch im Provinzial-Schulkollegium. Es handelte sich nur um eine Orientierung über die Scharfenberger Verhältnisse, die Blume dem neuberufenen Schulrat bieten mußte. Eine Änderung der Abituriumsfrage wurde bis auf weiteres vertagt. Dem Bibliothekswart übergibt Blume zwei Bücher in der Art von

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größeren Zeitschriften, einen Führer der Stadt Berlin und von der Frankfurter Zeitung freundlicherweise zugeschickt ihre jährliche Zeitungsschrift über die Volkswirtschaft Europas in Wort und Bild.

Zum zweiten Punkt, die Chorfragen betreffend, weist Blume darauf hin, daß dieser Punkt von der Schulgemeinde besprochen sei, und man sich dahin geeint hätte, es der Abendaussprache zu überlassen, näher darauf einzugehen und im Falle der Anerkennung eines gemischten Chores an die Eltern ein Rundschreiben zu richten, um nach zukünftigen Chormitgliedern zu forschen. Nach längerer Überlegung ergreift A. Fritz das Wort und meint, daß der Chor nur in unserem engen Kreise bestehen bleiben müsse. Noeggerath fragt an, ob im größeren Kreise der Eltern die lang gesuchten Tenöre zu finden seien. Röhrborn und Berisch unterstützen A. Fritz in seinen Ausführungen und verstehen nicht recht, warum wir Fremde in unseren Kreis ziehen wollen und wozu die Zuziehung der Eltern angebracht sei. Man könne ebensogut nur zweistimmige Lieder singen. Dagegen wundert sich Herr Bandmann und erklärt, daß die Gründung eines vierstimmigen Chores aus musikalischen Gründen aussichtsreicher sei, denn mit den einfachsten Volksliedern angefangen, könnte man es mit der Zeit zum Verständnis größerer Musikwerke bringen, und zweitens wäre eine größere Auswahl beim Singen gestattet. Schramm betont, daß wir singen wollen, um nur unsere Freude zu haben. Warum wolle man immer gleich nach dem höchsten streben? Dagegen spricht Bandmann, daß wir ruhig beides nebeneinander unterhalten können, das Singen von polyphonen Liedern und den gemischten Chor; er zieht zum Vergleich die alte Schule heran, in der bekanntlich neben den

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Musikstunden ein Chor besteht; als Insulaner hätten wir sowieso wenig Gelegenheit, gute Musikwerke zu hören, und so fühle er sich beim Fehlen eines vierstimmigen Chores auch als Musiklehrer allzu gebunden. Abermals erhebt sich Schramm und erklärt mit Pathos, wenn alle nicht einmal in der Lage sind, einstimmig zu singen, wie könnte man daran überhaupt nur denken, gleich mit dem vierstimmigen Gesange zu beginnen. "In der Beschränkung zeige sich der Meister!" lst die Gelegenheit gegeben, mit dem einstimmigen Gesange gute Fortschritte zu machen, so ist die Entwicklungsmöglichkeit, späterhin einen vierstimmigen Chor zu bilden, durchaus nicht genommen. Die Musik größerer Werke verstehe man auch durch das mehrmalige Hören derselben Musik. Als Beispiel zieht er Bach heran, der in letzter Zeit im Mittelpunkt des Musikunterrichts der Oberstufe stand und ebenfalls nach Meinung von Herrn Bandmann durch öfteres Hören empfunden werden könne. So verstehe er Herrn Bandmann nicht, warum ihm seine Hände gebunden sein sollten. Es kommt garnicht darauf an, Aufführungen zu machen, sondern nur schlicht in unserem Kreise zu singen. Man solle nur Positives vorschlagen. Man denkt an ein gemeinsames einstimmiges Singen unter stärkerem Eingehen auf das Musikalische, wie es der Deutschkurs eine Zeitlang mit dem Textlichen gemacht habe, und daneben an eine besondere polyphone Gruppe. Blume betont in einem zusammenfassenden Worte, daß er im Gegensatz zu Berisch glaube, die Eltern noch nicht genügend aktiv an unserem Leben beteiligt zu haben. Andererseits sucht er Herrn Bandmann damit zu trösten, daß es unmögliches Wollen heiße, aus unserer geringen Schülerzahl richtige Chorwerte zu besetzen. Diese natürliche Folge aus der gegebenen Zahl habe sich auch bei unserem

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Orchesterversuch früher als stärker erwiesen. Blume stellt die Frage, ob das in Aussicht gestellte Rundschreiben an die Eltern abgeschickt werden solle oder nicht. Die Anregung wird abgelehnt, indem nur 10 Stimmen dafür sind.

Zum 3. Punkt "Der Fährdienst" schlägt Blume zur Besserung des augenblicklichen Mißstandes der Fährangelegenheiten vor, daß 1. die Klingelleitung vom Braun- zum Bollehaus in Stand gesetzt werden müsse; da aber hierdurch dem Grundübel noch nicht abgeholfen worden sei, solle sich jeder künftig dazu verpflichten, einem drüben Rufenden sofort zu antworten und nicht eher davon abzulassen, bis der Fährdienst herbeigeholt worden sei, oder aber, wenn der Fährdienst nicht zur Stelle sei, selbst Hand anzulegen. Um die Wichtigkeit dieser eigentlich selbstverständlichen Anstandspflicht für jedermann sichtbarer heraus zu heben, forderte Blume auf, die Verpflichtung mit einem Ehrenhandschlag an ihn selber zu bezeugen, was dann auch geschah.

A. Fritz stellt unter dem 4. Punkt der Tagesordnung, Anfragen und Anregungen, den Antrag auf Dauerlaufumstellung. Er erklärt, daß es bei dem jetzigen Übelstand nicht weiter gehen könne und eine Neueinrichtung oder Wiederbelebung unbedingt notwenig sei. Noeggerath regt an, den gemeinsamen Dauerlauf wieder einzuführen. Astheimer sieht in dem augenblicklichen Übelstand ein Versagen der Kontrolle, die doch immer nach dem Läuten verabredungsgemäß durch die Buden gehen solle. Schramm gibt zu bedenken, daß ja nach Beschluß der Budenälteste solange warten solle, bis der letzte das Zimmer verlassen habe. Astheimer betont, daß er als Bewohner des Braunhauses mit H. Woldt bei geschlossenen Fenstern selten ein Läuten vernommen habe und sei in der letzten Zeit kurz vorher aufgestanden. Einige müssen diesem

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beistimmen, die ebenfalls als feste Schläfer ein Läuten nicht hören. Astheimer meint, daß das Wecken wieder eingeführt werden und der alte Modus bestehen bleiben könnte. Jenke schlägt vor, bis Ostern gemeinsam zu laufen. Blume: "Es ist lächerlich, daß junge Leute alle halbe Jahr über das rechtzeitige Aufstehen debattieren. Bei Überhandnahme einer solchen Schlappheit fürchte ich für die deutsche Zukunft!" Für den Antrag Blümel - Jenke, den Dauerlauf gemeinsam zu machen, stimmen 13 dafür und 23 dagegen. - Da im Braunhaus vielfach das Läuten nicht gehört worden sei, regt H. Woldt zur Besserung der Situation an, daß der Landwirt nach gehörtem Läuten in sein Jagdhorn blasen solle, um alle Festschläfer aus dem Schlummer zu wecken; der Landwirt erklärt sich dazu bereit.

Ein weiterer Antrag Jenke, daß alle, seien es Heizer, Hühner- und Entenwarte, ohne Ausnahme den Morgenlauf mitzumachen haben, wird mit 31 Stimmen angenommen. H. Woldt regt an, daß der Fährdienst mit einem im Kultursaal Plazierten für die Dienstwache den Platz wechsele um ein geregeltes Übersetzen zu bewerkstelligen. Landwirt Glasenapp gibt zu bedenken, daß bei der jetzigen strengen Kälte die Ruder des Morgens schwerlich zu gebrauchen seien und fordert den Fährdienst auf, die Ruder allabendlich ins Haus zu stellen. Da diese Vorsichtsmaßregel aber für immer notwendig ist, erklärt sich Kroll dazu bereit, es für Sommer und Winter zu übernehmen.

Mit dem Liede Feldeinsamkeit von Brahms, gesungen von P. Völkner und von Herrn Bandmann auf dem Flügel begleitet, wird die 64. Abendaussprache beschlossen.

Walter Jandt.



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