Protokoll der 56. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. V, S. 143-146

[Datum: , 27.03.1925 - Protokollant: Bruno Opalka]


Es wurde das d-Moll Andanate aus der D-Dur Sonate von Beethoven gespielt.

I. Als erster Punkt der Tagesordnung stand der Antrag Schramm auf Änderung der Tagesordnung des Spielnachmittags auf der Tagesordnung. Als Begründung führt der Antragsteller die geradezu lächerliche Beteiligung am Spielnachmittag an, dessen allgemeines Spiel oft nur durch die Dableibenden oder sich früher einfindenden Riegen aufrechterhalten werden kann. Die Änderung wolle nun ein obligatorisches Spiel für alle, die nicht in einer Riege sind. Astheimer und Frey traten dafür ein, daß Sport und Spiel zu trennende Dinge seine und das letzte freiwillig geschehen müsse. Auch Blume schließt sich dem an und sagt, daß das schöne Recht der Jugend, das freiwillige Spiel auf Scharfenberg wohl nicht so sehr durch Arbeitsüberlastung, sondern durch Trägheit zu einem solchen Fiasko heruntergesunken sei. Erneut tritt Astheimer für den Antrag Schramm ein mit der Meinung, daß Zwang das Spiel nicht erlahme, sondern nur eine Neubelebung des Spielnachmittags herbeiführe. Hier macht Reschke den Vorschlag, die Zwangsbeteiligung nur vorübergehend, etwa 4 Wochen lang, einzuführen. Mit der Versicherung des Spielwartes, daß auch er eine regere Tätigkeit entfalten werde, wird Reschkes Vorschlag zum Antrag erhoben und angenommen. Durch eine Erklärung Grundschöttels, daß das Ballspielen während des Besuchs des Schulplatzes hinderlich und unangenehm sei, werden die ballfreudigen Elemente auf den Spielplatz verwiesen.

II. Der Steller des zweiten Antrages, der in der Abendaussprache einen Bericht über die Erfahrung der jüngsten Sportbetätigung erstrebe, betont, daß der Versuch noch einmal auf die Erfahrung hin geprüft werden müsse. Sein Eindruck sei, daß die Sportpause in den ersten Wochen sich sehr gut gestaltet hätte, als aber schlechtes Wetter eingetreten sei, eine allgemeine Erlahmung die Folge gewesen sei, die bis heute andauere. Es ergeht jetzt der Aufruf an die Sportgruppenführer, über ihre Gruppen zu berichten. Als Vertreter der Gymnastikgruppe wiederholt und bestätigt Reschke die Aussagen Grotjahns und tritt für einen Wechsel nach 4 wöchentlicher Beteiligung an einer Gruppe ein. Es sei gedacht als ein freies, jeder Möglichkeit offenes Wechseln des einzelnen. Die Laufgruppe mit dem

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Vorläufer Wernecke spricht von einem günstigen Ergebnis in gesundheitlicher Beziehung. Es sei zum Beispiel eine Dehnung des Brustkorbes und ein Erstarken der Beinmuskeln eingetreten, zwei Faktoren, die die Scharfenberger für den Dauerlauf widerstandsfähiger gemacht. Er tritt für einen zweimonatlichen Wechsel ein. In der Springgruppe scheint die Begeisterung bis heute angehalten zu haben, denn ein Mitglied berichtet, daß immer alle da gewesen seien. Um keinen Neid zu erregen, meint Hans Woldt, daß nicht immer alle dagewesen seien. An dieser Stelle bringt Blume die Mitteilung an, daß ihm heute auf seiner Berliner Reise 300 Mark gestiftet worden seien zur Anschaffung von Lern- und Unterrichtsmitteln. Es bleiben natürlich die Reflektanten auf Geld nicht aus. Da die Wurfgruppe, die, so sagt einer, ebenfalls wie die Springgruppe durchgehalten hätte, wenn nicht der Ger gebrochen wäre, um Ersatz bittet, schlägt Blume den Kauf von Spielgeräten vor. Die Biologie meldet sich. Da fällt das Wort Projektionsapparat. Dieser alte Wunsch könnte jetzt vielleicht verwirklicht werden, darum wird er allen anderen vorgezogen und Erkundigungen über Preis und sonstiges sollen schon am nächsten Tag angestellt werden. Nach dieser erfreulichen Ausschweifung kehrt man zum Punkt der Tagesordnung zurück und in einem "Einmütigen Beschluß" wird das Weiterbestehen der Sportpause angenommen. Man kommt überein, daß 4 Wochen als geringstes Maß des Wechsels von Gruppe zu Gruppe als gegebene sei.

III. Der dritte Punkt der Tagesordnung, die Neubesetzung der durch die abgehenden Abiturienten frei gewordenen Ämter, wird, da eine Stimme für Stimmzettelwahl ist, ans Ende des Abends gesetzt. Das Wahlergebnis wird nach dem Abiturium verkündet werden.

IV. Der vierte Punkt ist eine Aufrollung des noch zu lösenden Wiedergutmachungsprinzips von Walter Schramm. Der Vorschlag geht von dem Grundsatz aus, daß der Schaden nicht durch Geld der Eltern, sondern durch eigene[s] erarbeit[en] von Werten ersetzt werden müsse, die aber nicht einer Strafarbeit ähnlich sein dürfe. Blume liest einen Bericht aus der Odenwaldschule vor, in der die uns jetzt bewegende [Frage] auch einmal akut gewesen war und der Schaden durch Kohlenkarren beglichen worden sei. Die Ersetzung des Wertes sei nach Walter Schramms Vorschlag vielmehr durch Verkauf von eigenen Handfertigkeitserzeugnissen zu ermöglichen, die im eigenen Staate, in Tegel, im Verwandtenkreis und in Verbindung mit Verkaufsgesellschaften für

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Heimarbeit abgesetzt werden können. Also nicht durch dem Mittwochnachmittag ähnliche Arbeit, durch die die Gemeinschaft in ihrem jetztigen Ansehen sinken würde, sondern durch Werkerzeugnisse sei der Wert zu ersetzen. Es sei ferner keine moralische Abbüßung, sondern ein positiver praktischer Wertersatz. Auch Wolff stellt sich auf den Boden des Schrammvorschlages und Bandmann denkt sich schon so stark in die Tage der Erfüllung der Frage hinein, daß er der eventuellen Organisation auf die Gefahr des durch allzustarke Produktivität angeschwollenen Taschengeldes aufmerksam macht. Blume gibt die Anregung, daß jeder Scharfenberger ein Handwerk erlernen solle. Da man sah, daß alleine der Vorschlag soviele Anregungen gab und praktische und ethische Ausblicke, stand man vor einer Entscheidung ab, und mit der Aufforderung an die Gemeinschaft, in der Richtung des Vorschlages weitere Überlegungen anzustellen, wurde er auf die nächste Zeit verschoben.

V. Der fünfte Antrag erstrebte die Aufhebung eines in der vorigen Abendaussprache angenommenen Antrag[s] über die Rückkehr von einem offiziellen Abendbesuch außerhalb Scharfenbergs, wo in einem solchen Falle der Unterricht erst um 9 Uhr am nächsten Tage beginne. Als Begründung des Gegenantrages wird angeführt, daß solch ein Antrag wie der in der letzten Abendaussprache angenommene nicht zur Stärkung unseres Willens beitrage, die doch auf Scharfenberg gerade angestrebt werde, zweitens er eine Unstimmigkeit zumindest im Stundenplan hervorrufen würde, da die beiden ersten Stunden nach einem offiziellen Besuch ausfallen müßten. Drittens sei er auch gegen die Hausdisziplin, alles Momente, die durchaus nicht mit den sechs Novemberpunkten im Einklang ständen. Viertens hatte sich in der Besprechung des ursprünglichen Antrages ergeben, daß, wenn auch nur einer einen offiziellen Besuch mache, der Unterricht für alle ausfallen würde. Gegen diese Vormachtstellung des Einzelnen richtet sich der neue Antrag entschieden, denn es sei bisher unser Prinzip gewesen, daß der einzelne sich der Gemeinschaft unterordnen zu habe. Nach dieser langen Begründung meldet sich Berisch zu Wort und sagt, daß die Stellung eines Gegenantrages durchaus nicht geschäftsordnungsgemäß sei, wohingegen Wolff betont, daß das Stimmverhältnis 20:19 für den Antrag Bandmann einen Gegenantrag gestatte. Bandmann erklärt, daß ihm die Aufrollung seines Antrages lieb sei, denn er scheine mißverstanden worden zu sein. Er habe nämlich keinen Stundenausfall, sondern nur eine Stundenverlegung im Sinne gehabt. Es wird die Gemeinschaft gefragt, wer von ihnen an

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einen Stundenausfall geglaubt habe, und die Abstimmung ergibt, daß tatsächlich über die Hälfte den Bandmannantrag mißverstanden habe. Berischs Einwand ist somit hinfällig geworden und der Gegenantrag erfordert einen Entscheid, der dann mit 19:13 für den Antrag ausfällt. Nach der Abstimmung betont Blume, daß er nicht der wahre Antragsteller sei und es zu begrüßen sei im Hinblick auf die Neueintretenden, daß die Tradition gewahrt worden ist.

VI. Er legt dann noch einige Schriften des Vereins für Naturschutz auf den Tisch des Hauses, es wird die Anschaffung einer Kunstzeitschrift neben der Umschau beschlossen, Bandmann bittet um möglichst bald abzugebende Vorschläge für die Neugestaltung des Musikunterrichtes und Wernecke schlägt, da die Baracke so gut wie sicher ist, eine Absperrung des mittleren Tümpels vor, da er vor allen anderen der wertvollste Naturbesitz auf Scharfenberg sei; Beethoven beschloß die Abendaussprache.

Opalka.



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